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Metzler Lexikon jüdischer Philosophen: Moses Mendelssohn

Geb. 6.9.1729 in Dessau;

gest. 4.1.1786 in Berlin

Als Sohn eines Tora-Schreibers erhielt M. eine traditionelle Erziehung in seiner Heimatstadt. Im Jahr 1743 folgte er seinem Rabbi David Fraenkel nach Berlin, um auch eine allgemeine Ausbildung zu erwerben, wozu neben Deutsch und Hebräisch auch die Sprachen Latein, Griechisch, Englisch, Französisch und Italienisch gehörten. Während er sich mit Mühe seinen Lebensunterhalt als Hauslehrer und Buchhalter verdiente, setzte er seine Studien bei dem Mathematiker Israel Zamosc fort und wurde von dem Arzt Aaron Salomon Gumpertz in das intellektuelle Leben Berlins eingeführt. Im Jahr 1762 heiratete er Fromet Gugenheim, mit der er sechs Kinder hatte. Erst 1763 konnte M. das Ghetto verlassen und erhielt das Aufenthaltsrecht in Berlin. Er engagierte sich für Belange der Juden, publizierte auf philosophischem und literarischem Gebiet und war berühmt für einen Zirkel von Intellektuellen, der sich regelmäßig bei ihm zu Hause traf, um allgemeine wie jüdische Themen zu diskutieren.

Landläufig wird M. als der erste moderne Jude angesehen, und im jüdischen kulturellen Gedächtnis repräsentiert er die Möglichkeit, daß eine kreative Teilnahme der Juden an der modernen säkularen Kultur nicht mit der Verleugnung des traditionellen jüdischen Glaubens und seiner Praxis einhergehen muß. Er wurde von der Aufklärung als der deutsche Sokrates gefeiert und blieb dabei ein stolzer und frommer Jude. Seine Abhandlungen über Ästhetik, Epistemologie, Metaphysik und Psychologie machten ihn berühmt als Philosophen. Bezeichnenderweise gründete er seine Argumente allein auf die Vernunft; während er die metaphysischen Voraussetzungen der Naturreligion bejahte (besonders wie sie durch Leibniz und Christian Wolff vertreten wurden), unterließ er es strikt, das Zeugnis der historischen Offenbarung einzuschränken. Folglich hat er sich in seinen deutschen philosophischen Schriften nicht auf die hebräische Bibel und schon gar nicht auf das Judentum bezogen. In diesem Sinne war er kein jüdischer Philosoph. In der Tat enthalten seine Schriften implizit die Hypothese, daß sein Judentum als eine geoffenbarte Religion für das philosophische Geschäft vollständig irrelevant ist.

M. hielt seine jüdischen literarischen Aktivitäten, die ihn als hebräischen Stilisten berühmt machten, bewußt getrennt von seinem Engagement als Philosoph der Aufklärung. Parallel zu der Veröffentlichung seines ersten philosophischen Essays, Briefe über die Empfindungen (1755), arbeitete er bei einer der ersten jüdischen Periodika in Deutschland mit, Kohelet Musar, von der nur zwei Ausgaben erschienen sind. In makellosem Hebräisch geschrieben, spiegelte die Zeitschrift M.s aufklärerische Überzeugung wider, daß ästhetische Verfeinerung sowohl den Geist als auch die moralischen Empfindungen erheben könne. Indem er diese Lehre seinen jüdischen Zeitgenossen mitteilte, half er mit, die jüdische Aufklärung (Haskala) auf den Weg zu bringen. Er betrachtete aber die Haskala nicht als einen Vorwand, um europäische Ideen und Werte in das Judentum einzuschmuggeln. Im Gegenteil, er war der Auffassung, daß es eine grundsätzliche Verwandtschaft zwischen der Aufklärung und den klassischen Quellen des Judentums gebe, besonders zwischen den hebräischen Schriften und der mittelalterlichen jüdischen Philosophie. Diesen Quellen sollte man sich wieder zuwenden. Dementsprechend unternahm es M., das Denken des Maimonides (1138–1204) neu zu bewerten. Im Jahre 1761 veröffentlichte er einen hebräischen Kommentar zu den Millot ha-Higgajon (»Worte der Logik«) des Maimonides. Damit konnte er implizit seinen jüdischen Zeitgenossen beweisen, daß sie – darauf bedacht, ihre Treue zur Tora zu bewahren – den Intellekt nicht per se einzig und allein an religiöse Themen binden müßten. Ein frommer Jude kann, ohne befürchten zu müssen, die Integrität seines Glaubens anzutasten, die Vernunft in Anspruch nehmen, um die Ordnung von Gottes Schöpfung zu betrachten. M. suchte auch das Bibelstudium zu rehabilitieren, das von der rabbinischen Exegese des göttlichen Gesetzes überschattet worden war. Daher veröffentlichte er Kommentare zu verschiedenen Büchern der Bibel (Kohelet, Psalmen). Diese Anstrengungen erreichten mit der Übersetzung des Pentateuch ins Deutsche und seinem Kommentar ihren Höhepunkt. In Anbetracht der Tatsache, daß die meisten Juden die lateinische Schrift erst noch lernen mußten, war die Übersetzung in hebräischen Buchstaben geschrieben, während der Kommentar, bekannt als Bi’ur (»Erklärung«), auf Hebräisch abgefaßt war. Während er sich bemühte, seinen jüdischen Glaubensgenossen das Deutsche mit seiner Schönheit und Ausdruckskraft nahezubringen, versuchte er in der Übersetzung auch das, was er als Fehler oder theologisch voreingenommene Auslegungen in den christlichen Übersetzungen der Schrift wahrnahm, zu korrigieren. Der Kommentar hielt sich an die traditionelle rabbinische Exegese, nahm aber auch unterderhand moderne Vorstellungen und ästhetische Empfänglichkeit für die heiligen Texte auf.

Als Philosoph der Aufklärung folgte M. Leibniz in dem Gedanken, daß ewige, metaphysische Wahrheiten in der Vernunft selbstevident sind. Unter diesen Wahrheiten war auch der Glaube an einen allwissenden und gütigen Gott und an die Unsterblichkeit der Seele. Er entwickelte diese These vor allem in zwei gefeierten Werken, dem Phaidon (1767), geformt nach Platons Dialog gleichen Titels, und den Morgenstunden (1785). Die erstere Arbeit brachte dem Bewohner des Ghettos den liebevollen Ehrennamen des »deutschen Sokrates« ein. Er hätte das ehrenvolle Adjektiv »deutsch« auch für seinen einzigartigen Beitrag zur Erhebung der deutschen Sprache zur Sprache des gebildeten Diskurses verdient. In einer Epoche, in der am königlichen Hof wie auch an der Preußischen Akademie der Wissenschaften und Literatur (Académie Royale des Sciences et des Belles-Lettres), wie schon der Name dieses ehrwürdigen Instituts anzeigt, noch immer das Französische bevorzugt wurde, trat er mit einer kleinen Zahl von Schriftstellern, angeführt von Lessing und dem Verleger Friedrich Nicolai (1733–1811) für die deutsche Sprache ein. Als König Friedrich II. einen Gedichtband auf Französisch, Poésies diverses (1760), veröffentlichte, wagte es M. ihn zu kritisieren: »Welcher Verlust für unsere Muttersprache, daß sich dieser Prinz die französische geläufiger gemacht! Sie würde einen Schatz besitzen, um den sie ihre Nachbarn Ursache hätten zu beneiden« (Literaturbriefe, 24. April 1760).

M. betrachtete seine unverbrüchliche Loyalität zum Judentum als Glauben und Lebensart nicht als eine Beeinträchtigung seines gleichzeitigen Wirkens als Philosoph und deutscher Literat. Diese Überzeugung war getragen von der Ansicht, daß die Vernunft universell und damit transkulturell sei, und daß damit die spezifischen kulturellen und religiösen Zugehörigkeiten derjenigen, die am Projekt der Vernunft, der Aufklärung, teilhatten, höchstens marginale Bedeutung haben konnten. Nichtsdestoweniger wurde M. zu seinem großen Kummer wiederholt herausgefordert, seine fortdauernde Hingabe an den Glauben seiner Vor fahren zu verteidigen – eine Treue, die vielen seiner Zeitgenossen im schreienden Widerspruch zu seiner aufgeklärten philosophischen Kultur zu stehen schien. Obwohl er niemals sein Judentum verbarg oder seine Zugehörigkeit zur jüdischen Tradition verheimlichte – in seiner Kleidung und rituellen Praxis blieb er, was man heute einen orthodoxen Juden nennen würde –, hatte M. naiv und trotzig gehofft, eine Konfrontation in dieser Angelegenheit vermeiden zu können. Nachdem der Schweizer Geistliche Johann Casper Lavater (1741–1801) ihn öffentlich herausgefordert hatte, seine offenkundig widersprüchliche Loyalität zum Judentum und zur Aufklärung zu verteidigen, sah M. sich schließlich gezwungen zu antworten. Anfänglich berief er sich entschieden auf das Toleranzprinzip: »Die verächtliche Meinung, die man von einem Juden habet, wünsche ich durch Tugend, und nicht durch Streitschriften widerlegen zu können« (Schreiben an den Herrn Diaconus Lavater zu Zürich, 1770). Seine Herausforderer gaben sich jedoch nicht zufrieden und er mußte schließlich nachgeben, so daß er seine berühmte Verteidigung seiner doppelten Loyalität zur Aufklärung und zum Judentum niederschrieb: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum (1783). Diese drei Jahre vor seinem Tod veröffentlichte Abhandlung war seine erste an die Allgemeinheit gerichtete umfassende Stellungnahme zum Wesen des Judentums.

Der genaue Anlaß, der zur Abfassung von Jerusalem führte, war eine anonyme Broschüre, die Aufschluß über seine Beziehung zum Glauben seiner Vorfahren forderte. Diese Herausforderung wurde als die Antwort auf eine von M. verfaßte Einleitung vorgetragen, die er 1782 zu der deutschen Übersetzung von Manasse ben Israels Vindiciae Judaeorum (1656) geschrieben hatte. Dieses Buch war von dem holländischen Rabbiner gegen alle geschrieben worden, die die Juden und ihre Religion beleidigten. M. nutzte diese Einleitung, um die Angelegenheit der jüdischen Bürgerrechte voranzutreiben, und bemerkte, daß die Juden ihrerseits ihre Einstellungen und Institutionen anpassen müßten, um den Erfordernissen der ökonomischen und politischen Integration entgegenzukommen. Unter den institutionellen Änderungen, die er vorsah, nannte er die Abschaffung der Rechtsautonomie, die die jüdische Gemeinde unter dem rabbinischen Recht genoß. Er hob besonders die Notwendigkeit hervor, das Recht der Rabbiner zur Exkommunikation (cherem) aufzuheben. Diese weitreichende Forderung zur Beschneidung rabbinischer Befugnisse deutete der anonyme Autor der Broschüre als Eingeständnis, daß das Judentum in M.s Augen bereits eine dem Untergang geweihte Religion sei. Denn wenn das Judentum gemäß seiner biblischen Ursprünge von Natur aus eine reine Theokratie sei, dann komme der Ruf M.s nach einer selbst auferlegten Aufhebung der rabbinischen Gerichtsbarkeit und damit der politischen Macht der Anerkennung gleich, daß das Judentum bedeutungslos geworden ist: »Das bewaffnete Kirchenrecht ist immer einer der vorzüglichsten Grundsteine der jüdischen Religion selbst, und ein Hauptartikel in dem Glaubenssystem Ihrer Väter. Inwiefern können Sie, mein theurer Herr Mendelssohn, bei dem Glauben Ihrer Väter beharren, und durch Wegräumung seiner Grundsteine das ganze Gebäude erschüttern, wenn Sie das durch Moses gegebene, auf göttliche Offenbarung sich berufende Kirchenrecht bestreiten?«

Um diese Frage zu beantworten, entwickelte M. erst ein systematisches Argument, welches für den Idealfall – d.h. auf rationale Weise – die politische und rechtliche Macht von Religionen im allgemeinen darstellen soll. Mit Spinozas Kritik am biblischen Judentum als einer von Natur aus theokratischen Religion im Hinterkopf, führt M. aus, daß die Ziele von Staat und Religion faktisch identisch seien. Beide wollten die »Glückseligkeit« des Menschen fördern, denn weltliche und ewige Glückseligkeit seien letztlich eins; beide strebten nach Erfüllung ihrer öffentlichen und ethischen Pflichten in dieser Welt. Aber es gibt dennoch einen fundamentalen Unterschied zwischen Staat und Religion. Der Staat hat das Vorrecht, seine Untertanen zur Pflichterfüllung zwingen zu können, während die Religion sich (im Idealfall) auf Überzeugung beschränkt. Religion erhält ihre Macht nicht aus der Ausübung von Rechtszwang auf ihre Gläubigen, sondern eher durch deren innere Überzeugung.

Im zweiten Teil von Jerusalem versucht M. zu zeigen, daß der jüdische Glaube alles andere als von Natur aus theokratisch, sondern vielmehr ein eminent rationaler Glaube sei, der seinen reinsten Ausdruck tatsächlich dann erreiche, wenn er vom Staat getrennt sei und sich von allen Ansprüchen auf politische und Zwang ausübende Macht distanziere. In diesem Zusammenhang geht er auf die Anschuldigung ein, daß der philosophische Glaube an die universal zugänglichen Wahrheiten einer natürlichen, d.h. rationalen, Religion ernsthaft durch seine ungebrochene Loyalität zu einer auf eine historische Offenbarung gegründeten Religion gefährdet sei. Auch seiner Überzeugung nach könne in der Tat menschliche Glückseligkeit ohne göttliche Offenbarung, durch Vernunft allein, erwoben werden – eine Position, die aber für das Judentum kein besonderes Problem darstelle. Denn der Glaube Israels ist, wie er sich ausdrückt, »keine geoffenbarte Religion, sondern eine geoffenbarte Gesetzgebung«. Im Unterschied zum Christentum gründet sich das Judentum nicht auf Dogmen und erlösende Wahrheiten, sondern auf »Gesetze, Verordnungen, Lebensregeln und Vorschriften«. M. schlägt vor, diese Vorschriften, besonders die ältesten zeremoniellen Gesetze, als symbolische Akte zu deuten, die an die ewigen Wahrheiten der Vernunft erinnern und so die Juden davor bewahren, der Idolatrie falscher Ideen zu verfallen. Hierin liege die weitreichende Bedeutung von Israels Erwähltheit: »Und nun waren diese ihre Nachkommen von der Vorsehung ausersehen, eine priesterliche Nation zu seyn; das ist, eine Nation, die durch ihre Einrichtung und Verfassung, durch die Gesetze, Handlungen, Schicksale und Veränderungen immer auf gesunde unverfälschte Begriffe von Gott und seinen Eigenschaften hinweise, solche unter Nationen gleichsam durch ihr blosses Daseyn, unaufhörlich lehre, rufe, predige und zu erhalten suche.«

Auf diese Weise wurde das Judentum auf einen Bestand zeremonieller Gesetze reduziert und gleichzeitig erweitert zu einer universalen Religion der Vernunft. M.s diesbezügliches Bemühen steht exemplarisch für das moderne jüdische Denken: im Gegensatz zu den mittelalterlichen jüdischen Philosophen, die die Offenbarung mit der Vernunft als zwei unterschiedliche, jedoch analoge corpora der Wahrheit zu versöhnen suchten, bemühen sich ihre modernen Nachfahren, die Bedeutung des Judentums innerhalb des allgemeinen Rahmens der menschlichen Vernunft und Kultur zu beweisen. M. nahm auch eine andere charakteristische Stoßrichtung des modernen jüdischen Denkens vorweg: Seine Verherrlichung von Israels ›Mission‹ für die anderen Völker ermöglichte eine universalistische Rechtfertigung für die andauernde Partikularität des jüdischen Volkes.

Jedoch war M.s Definition des Judentums nicht unproblematisch. Seine Darstellung der charakteristischen Essenz des Judentums als »geoffenbarte Gesetzgebung« setzte die Religion Israels dem Angriff aus – wie erstmals von M.s Freund Immanuel Kant (1724–1804) formuliert –, daß das Judentum eine »heteronome« Religion sei, die ihren Ausdruck vor allem in einem ausgefeilten System von verpflichtenden rituellen und zeremoniellen Vorschriften gefunden habe. In seiner Schrift Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793) argumentiert Kant, daß die authentische Religion die Entwicklung der moralischen Autonomie sei und demnach der Ritus und die Zeremonie als »Afterdienst« Gottes zu erachten sei. Das Judentum ist seiner Meinung nach ein herausragendes Beispiel einer falschen Vorstellung von der göttlichen Wissenschaft und folglich als ein heteronomes zeremoniales und rituelles System nur »religiöser Wahn«. Kants Anklage des Judentums, die weitgehend auf seiner Lesart von M. (und Spinoza) beruhte, wurde auf die eine oder andere Weise von vielen modernen Denkern wiederholt, besonders von denen, die Kants philosophische Voraussetzungen teilen. Außerdem konnte M.s Definition des Judentums nur wenige Juden zufriedenstellen. Die traditionellen Juden fühlten, daß er den unverwechselbaren Kern des jüdischen Glaubens ignorierte, die liberalen Juden waren unglücklich (nicht nur wegen Kants Kritik) über seinen Nachdruck auf Ritus und Zeremonie des Gesetzes. Dennoch steht M.s Jerusalem noch immer als ein Monument eines Juden, der die Integrität des Judentums sichern und sich gleichzeitig an der modernen Kultur beteiligen wollte.

M.s Erbe ist symbolisch gegenwärtig in seiner Freundschaft zu dem Schriftsteller, Dramatiker und Philosophen Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781), eine Freundschaft, die letzterer in seinem Drama Nathan der Weise (1779) unsterblich machte, dessen Titelfigur gemeinhin als ein liebevolles Porträt M.s gilt. Es ist daher eine betrübliche Ironie, daß Lessings Name auch mit einem der Versuche in Verbindung gebracht wird, M. zu demütigen. Wieder bahnte sich alles in Gestalt eines offenen Briefes an. Friedrich Heinrich Jacobi (1743–1819) behauptete in seinem Brief Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (1785), daß M. eine Reihe von langen Gesprächen mit Lessing kurz vor dessen Tod gehabt habe, bei denen Lessing sich als Krypto-Anhänger Spinozas bekannt habe. Die weitreichende Bedeutung dieses verwirrenden Bekenntnisses in der Interpretation von Jacobi war, daß Lessing ein Atheist gewesen sei – wobei er den Spinozismus mit einer Zurückweisung eines transzendenten, persönlichen Gottes gleichsetzte. Jacobi forderte nun M. auf, entweder sich zu entschuldigen, daß er von dem schrecklichen Geheimnis seines Freundes nichts gewußt habe, oder die Kenntnis davon zuzugeben und sich damit selber in dieselbe Sünde mit einzuschließen. Auch wies Jacobi etwas unpassend auf die Tatsache hin, daß Spinoza jüdischen Ursprungs gewesen sei und daß M. den holländischen Philosophen gelobt habe und sogar seine eigene Position als einen »verfeinerten Spinozismus« dargestellt habe (Philosophische Gespräche, 1755). In einer Reihe von Briefwechseln mit Jacobi verteidigte M. tapfer den guten Namen seines toten Freundes und seinen eigenen. Sein letzter Versuch, die Anschuldigungen Jacobis zurückzuweisen war die Schrift An die Freunde Lessings. M.s Tod wurde weithin von Juden und Nicht-Juden betrauert, als der Verlust eines der Gründer des deutschen Humanismus und Verteidiger des politischen Liberalismus.

Werke:

  • Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, hg. I. Elbogen, Jul. Guttmann, E. Mittwoch, Berlin 1929–1932, Breslau 1938 (Nd. Stuttgart-Bad Cannstatt 1971–1974), fortgesetzt von A. Altmann u. E. J. Engel, Stuttgart-Bad Cannstatt, 1974ff..
  • M.M.s Frühschriften zur Metaphysik, hg. A. Altmann, Tübingen 1969. –

Literatur:

  • A. Altmann, M. M.: A Biographical Study, Alabama 1973.
  • N. Hinske (Hg.), Ich handle mit Vernunft. M. M. und die europäische Aufklärung, Hamburg 1981.
  • M. Albrecht, M. und die Kreise seiner Wirksamkeit, Tübingen 1994.
  • A. Arkush, M. M. and the Enlightenment, New York 1994.
  • D. Sorkin, M. M. und die theologische Aufklärung, Wien 1999.
  • M. Albrecht und E. Engel (Hg.), M. M. im Spannungsfeld der Aufklärung, Stuttgart-Bad Cannstatt 2000.
  • D. Martry (Hg.), M. M., Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum, Bieberfeld 2001.

Paul Mendes-Flohr (Übersetzung: Monika Brand und Otfried Fraisse)

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Die Herausgeber

Otfried Fraisse, promovierte an der FU Berlin zu mittelalterlicher jüdisch-arabischer Philosophie; freier Mitarbeiter des Simon-Dubnow-Instituts an der Universität Leipzig.

Andreas B. Kilcher, Hochschuldozent am Institut für Deutsche Philologie II (neuere deutsche Literatur) in Münster. Bei Metzler ist erschienen: »Die Sprachtheorie der Kabbala als ästhetisches Paradigma« (1998) und »Metzler Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur« (Hg., 2000).

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