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Metzler Lexikon jüdischer Philosophen: Shimon ben Zemach Duran

(Akronym: Rashbaz)

Geb. 1361 auf Mallorca; gest. 1444 in Algier

Als Sohn von R. Zemach Astruc Duran auf Mallorca geboren, besuchte Sh. die dortige Jeshiva von Efraim Vidal, später die Jeshiva von Jonah Desmaestre in Aragon, dessen Tochter er heiratete. Sh. erwarb eine Bildung nach spanischer (und islamischer) Tradition, die nicht auf die rabbinische Lehre beschränkt war, sondern auch eine weitgehende Kenntnis der Wissenschaften (Mathematik, Astronomie, Philosophie und Medizin) umfaßte: Medizin wurde zu seinem Hauptberuf. Als Arzt war er bis 1391 in Palma auf Mallorca tätig. Nach dem Massaker von 1391 wanderte er mit seiner Familie nach Algier aus, wo Isaak bar Sheshet der Hauptrabbiner war. Da sich Sh. nach der Auswanderung in Not befand und die Einkünfte von seinem Beruf als Arzt wohl unzureichend waren, mußte er ein Amt als bezahlter Rabbiner annehmen, um sein Leben bestreiten zu können (laut Maimonides war es einem Rabbiner verboten, Geld für sein Amt anzunehmen). Als R. Sheshet noch lebte, war Sh. bereits ein angesehener Rabbi und Mitglied des rabbinischen Gerichtshofes (bet din). Sein Verhältnis zu R. Sheshet war aufgrund der Ernennung des R. Sheshet zum Hauptrabbiner ziemlich angespannt. Nach dem Tod von R. Sheshet (1408) trat Sh. an seine Stelle. Als Hauptrabbiner ging er gegen Bräuche der Einheimischen, die mit der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz, nicht übereinstimmten, sowie gegen die Vernachlässigung der halachischen Vorschriften seitens seiner Landsleute vor. Dabei war seine Auslegung der Halacha moderat und von dem Prinzip geleitet, jegliche unnötig erschwerende Vorschrift abzulehnen, die vom Talmud nicht begründet ist. Seine Responsen wurden auch von anderen Gemeinden beachtet und galten später als maßgebend.

Sh. werden folgende Werke zugeschrieben: Ohev Mishpat (»Freund des Rechtes«), ein Kommentar zu Hiob, zusammen mit dem Sefer Mishpat Ẓedeq (»Buch des gerechten Rechtes«) von R. Obadja Sforno (Venedig, 1589) gedruckt; Magen Avot (»Das Schild der Väter«), ein philosophisches Werk, in vier Teile untergliedert; die ersten drei Teile, ohne das vierte Kapitel des zweiten Teils (Livorno, 1785); der vierte Teil ist Magen Avot, Kommentar zum Traktat Avot (ebd., 1763); Qeshet u-Magen (»Bogen und Schild«; viertes Kapitel der zweiten Teils der Magen Avot ), Polemik gegen Christen und Muslime, gedruckt zusammen mit Milchemet Miẓwah (»Kampf des Gebotes«) von seinem Sohn Solomon (ebd., ca. 1785); die Teile, die sich auf Christen und Muslime beziehen, sind getrennt gedruckt worden.

Obwohl Sh. grundsätzlich der rationalen Philosophie des Maimonides folgte, nahm er auch neuplatonisch-kabbalistische Elemente auf. Im Unterschied zu Maimonides glaubte er etwa an die Astrologie und lehnte sich in diesem Zusammenhang an Abraham ibn Ezra an. Er betrachtete sich als Schüler der »Meister der Wahrheit« (Ohev Mishpat, »Freund/Liebhaber des Rechts«), nämlich der Kabbalisten. So weisen insbesondere sein Kommentar zu Hiob und seine Erläuterungen zum Bibelkommentar des Lewi b. Gershom kabbalistische Einflüsse auf. Er akzeptiert die naturalistische Auslegung des Maimonides bezüglich der Prophetie, betont dabei aber die Wirkung der göttlichen Gnade. Die Attribute Gottes sind – anders als bei Maimonides – nicht als negativ zu deuten und nicht mit dem Wesen Gottes identisch. Er lehnt wie Crescas die maimonidische Unsterblichkeit des erworbenen Intellekts ab und ersetzt sie mit der kabbalistischen Unsterblichkeit der aus Gott stammenden immateriellen Seele (neshamah) als Trägerin der Erkenntnis und macht sie wie Nachmanides abhängig vom ethischen Gehorsam dem göttlichen Gebot gegenüber. Die Heilige Schrift (Tora) ist absolute Wahrheit. Wer zwischen wichtigen und bedeutungslosen Wahrheiten unterscheidet, ist ein Ungläubiger.

Der Hauptverdienst von Sh.s Lehre besteht darin, die Grenzen der Philosophie abgesteckt zu haben, um die (religiöse) jüdische Tradition zu bewahren. Er beschränkt das jüdische Dogma auf drei Grundsätze, die von jedermann akzeptiert werden müssen: erstens die Existenz Gottes, zweitens die Offenbarung und drittens die Vergeltungslehre. Als Apologet kämpfte Sh. gegen Karäer, die Mitglieder einer antirabbinischen Sekte, und Christen. Gegen die Karäer bemühte er sich, die Bedeutung und die göttliche Herkunft der mündlichen Tradition, also der nicht-schriftlichen Tora – ihre Auslegung nämlich –, zu beweisen. In seinem Streit mit den Christen zeigt Sh. eine sehr gute Kenntnis ihrer Literatur, die wiederum auch ihn beeinflußt hat, etwa im Fall der thomistischen Attributenlehre. Er widerlegt die christliche Behauptung, die Tora sei trotz ihrer göttlichen Herkunft von den Evangelien überholt worden. Christus selbst habe mehrmals betont, er sei gekommen, nicht um die Gebote abzuschaffen, sondern um sie zu ergänzen. Dabei weist Sh. auf Mißverständnisse und Fehler in der lateinischen Übersetzung der Bibel von Hieronymus hin und bestreitet, daß Christus der Messias und Sohn Gottes war. Auch der Koran kann aufgrund der zahlreichen Widersprüche und seiner sinnlichen Weltanschauung nicht von Gott inspiriert worden sein. Sh.s Wirkung liegt in der Auseinandersetzung über die Grundprinzipien des Judentums, die sich insbesondere auf spanischem Boden (Joseph Albo und Isaak Abravanel) entwickelte und erneut im 20. Jahrhundert eine Diskussionsgrundlage zur Debatte um das »Wesen des Judentums« (Leo Baeck) bildet.

Werke:

  • Sefer Mishpat Ẓedeq, Venedig 1589.
  • Magen Avot, Livorno 1785.
  • Qeshet u-Magen.
  • viertes Kapitel des zweiten Teils der »Magen Avot« gedr. zusammen mit Milchemet Miẓwah, Livorno ca. 1785. –

Literatur:

  • H. Julus, Sh. Ein Zeit- und Lebensbild, in: MGWJ 23 (1874), 241–259, 308–317, 355–366, 398–412, 447–463, 499–514 und 24 (1875) 160–178.
  • J. Guttmann, Die Stellung des Sh. in der Geschichte der Religionsphilosophie, in: MGWJ 52 (1908), 46–79 und 53 (1909), 46–79, 199–208.
  • N. Arieli, The Philosophy of Sh., Diss. Jerusalem 1976.
  • J. D. Bleich, Duran’s View of the Nature of Providence, in: JQR 69 (1979), 208–225.
  • S. J. Spiro, The Principles of Judaism According to Sh., Diss. Ann Arbor 1980.
  • M. Kellner, Sh. on the Principles of Judaism »Ohev Mishpat«, chapters 8 and 9, in: PAAJR 48 (1981), 231–265.

Giuseppe Veltri

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Die Herausgeber

Otfried Fraisse, promovierte an der FU Berlin zu mittelalterlicher jüdisch-arabischer Philosophie; freier Mitarbeiter des Simon-Dubnow-Instituts an der Universität Leipzig.

Andreas B. Kilcher, Hochschuldozent am Institut für Deutsche Philologie II (neuere deutsche Literatur) in Münster. Bei Metzler ist erschienen: »Die Sprachtheorie der Kabbala als ästhetisches Paradigma« (1998) und »Metzler Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur« (Hg., 2000).

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