Lexikon der Kartographie und Geomatik: Deutsche Kartographie
Deutsche Kartographie
Werner Stams, Wolf Günther Koch, Dresden
Anfangs die im deutschen Sprachraum (etwa mit Mitteleuropa identisch) überwiegend in deutscher Sprache als Manuskriptkarten geschaffenen, später im Druck publizierten kosmographischen und kartographischen Erzeugnisse. Mit der staatlichen Verselbständigung der Schweiz (1499), der Niederlande (1581 bzw. 1648), von Elsass und Burgund (17. Jh.) sowie Lothringen und Belgien (18. Jh.) die in den Ländern und Territorien des Deutschen Reiches – mit wechselnden Grenzen zu Frankreich – Altes Reich bis 1806, Deutscher Bund bis 1867 hergestellten Landkarten. Nach 1871 ist unter Ausschluss Österreich-Ungarns (Österreichische Kartographie) die Deutsche Kartographie auf die zivile, behördliche und militärische Kartenproduktion von Deutschland (Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich/NS-Staat) beschränkt. Nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1990 getrennte Entwicklung in den westlichen Besatzungszonen bzw. ab 1949 in der Bundesrepublik Deutschland (Westdeutschland) und in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. ab 1949 DDR (Ostdeutschland); seit 1990 einheitlich strukturiert.
1. Von den Anfängen bis 1648 Frühe Vermessungen sind für die Mitte des 13. Jhs. durch Landmesser im preußischen Ordensstaat nachweisbar; erhalten geblieben sind Grenzskizzen des 15. und 16. Jhs. Bei der mittelalterlichen deutschen Ostsiedlung östlich von Elbe und Saale sind im 12. und 13. Jhs. Gemarkungen und die Hofstellen der Dörfer nach einheitlichem Maß in Feldruten abgesteckt worden, die als Flurgrenzen bis in die jüngste Zeit Bestand hatten.
Im Spätmittelalter bildeten sich im 15. und 16. Jh. an Universitäten (Wien, Erfurt, Basel, Tübingen und vor allem Wittenberg), in Klöstern (Regensburg) und in der Reichsstadt Nürnberg neben und unabhängig von der Pflege des christlichen Erd- und Weltbildes im Rahmen der Mathematik und Astronomie mit der Kosmographie Ansätze einer Gelehrtenkartographie unter Humanisten heraus (Cusanus-Karte). Nach Meilenzeigern und der Ortskenntnis von Fernhandelskaufleuten gestaltete E. Etzlaub in Nürnberg ein bemerkenswert reichhaltiges und in den Grundzügen richtiges Kartenbild Mitteleuropas. Solche eigenständigen Leistungen wurden auf früher Entwicklungsstufe von der seit 1477 in Druckausgaben verbreiteten Ptolemäus-Tradition überlagert. In den deutschen Ptolemäus-Ausgaben wurden bald den als historische Karten aufgefassten 27 Originaltafeln in zunehmender Anzahl moderne Länder- und Erdteilkarten beigefügt (Ulm 1482, 1486, 5 Tab. mod.; Straßburg 1513, 20 Tab. mod. als eigener Teil "Supplementum" und weitere), die zusammen mit einigen Karten der Wiegendruckzeit (Karteninkunabel) und ersten als Einblattdrucke hergestellten Regional- und Länderkarten am Anfang der in Holzschnitt oder Kupferstich vervielfältigten Karten stehen. Bis zur Mitte des 16. Jhs. entstanden mindestens 15 erste Länderdarstellungen; bis 1570 folgten weitere 20. Zusammenfassende Darstellungen mit Beschreibungen lieferten Sebastian Münster 1550 und G. Mercator in seiner Europakarte 1554. 1570 publizierte A. Ortelius im "Theatrum Orbis Terrarum" unter 80 Karten 16 deutsche Regionalkarten; bei G. Mercator sind es im Deutschlandteil seines Atlas 1585 bereits 25. Eine gehaltvolle mehrblättrige Deutschlandkarte stellte daraus Rumold Mercator zusammen (1590). M. Waldseemüller (Weltkarte von 1507) sowie M. Lud und W. Ringmann leisteten bedeutende Beiträge zur Überwindung des traditionellen ptolemäischen Erdbildes und zur Verbreitung des neuen Weltbildes. Zeitgleich entstanden von Südwestdeutschland ausgehend seit Anfang des 16. Jhs. in rasch wachsender Anzahl Manuskriptkarten, die als gemalte Bildkarten oder meist kolorierte Federzeichnungen im Anblick des Geländes (Augenscheinkarten) zumeist für Rechtsstreite von Vermessungskundigen und/oder Künstlern entworfen und gestaltet wurden. Als geistige Zentren traten die Universität Wittenberg (gegr. 1502, seit 1517 protestantisch) und die Metropole Nürnberg, in der Humanisten (Regiomontanus, J. Schöner), Künstler (A. Dürer), (Kunst-)Handwerker und Instrumentenbauer (E. Etzlaub) sowie Frühdrucker (Koberger u. a.) zusammenwirkten, hervor. Auf mathematischer Grundlage wurden Methoden der Ortsbestimmung, der Geländeaufnahme nach Strecken und Winkelmessung und der Kartendarstellung (Kartennetzentwürfe) entwickelt, mit hier gefertigten Instrumenten Kartenaufnahmen praktiziert und in Lehrbüchern (P. Apian "Cosmographicus liber") publiziert. In Nürnberg schuf J. Stöffler 1493 einen Himmelsglobus, M. Behaim 1492 einen ersten Erdglobus (Behaimglobus) und J. Schöner 1515 Erdgloben mit gedrucktem Kartenbild (Globus).
Neben der weltumspannend betriebenen Kosmographie bildete sich die Chorographie als Grundlage der Regionaldarstellung heraus, die in repräsentativen, großformatigen Landtafeln (z. B. von Meißen 1566) und ersten Landesaufnahmen (Bayern 1554-63, Württemberg 1556-96, Kftm. Sachsen 1585-1628) ihre Höhepunkte fand. Seit Mitte des 16. Jhs. wurde das dezentral Geschaffene zusammengeführt und zu neuartigen Kartenwerken vereinigt, die einen sich rasch ausweitenden Markt fanden (Ortelius 1570, Mercator 1554 Europakarte, 1569 Weltkarte, 1585 Atlas). Seit Anfang des 17. Jhs. konzentrierten sich Produktion und Vertrieb in den jetzt selbstständigen Niederlanden (Niederländische Kartographie). In Deutschland vollzog sich die weitere Entwicklung dezentral in den deutschen Ländern Bayern, Baden, Brandenburg/Preußen, Rheinland, Sachsen, Württemberg.
2. Von 1648 bis 1870 Landkarten wurden in Deutschland erst wieder vom Ende des 17. Jhs. an gewerbsmäßig gestochen, gedruckt und gehandelt; inhaltlich meist Nachstiche niederländischer, bald auch französischer Originalausgaben. Homann in Nürnberg und Seutter in Augsburg führten im 18. Jh. die deutsche Verlagskartographie zur Blüte. Einzelkarten, oft thematisch geprägt (Postkarten und Reisekarten), und Stadtdarstellungen nennen zunehmend auch andere Druckorte. Die Aufklärung bewirkte mit ihren Ideen und verwirklichten Bildungskonzepten mit allgemein steigender Buchproduktion in der 2. Hälfte des 18. Jhs. auch eine progressive Ausweitung von Bildgraphik und Kartenvervielfältigung in den traditionellen Kupferstichtechniken. Neue Produktions- und Verlagsstandorte entstanden in Leipzig (J.G. Schreiber ab 1720), in Weimar (F.J. Bertuch seit 1791, mit F.L. Güssefeld und F.W. Streit; bis 1832 ca. 2000 Karten), in Berlin (Akademie der Wissenschaften mit J. H. Lambert, L. Euler mit Verlag, z. B. Schulatlas, sowie Kartenhandlung von S. Schropp), Frankfurt a.M. (Jäger "Atlas von Deutschland", 81 Bl. ca. 1 : 22 000, vollendet 1789) und Wien (vgl. Österreichische Kartographie). Die wissenschaftliche Durchdringung der geodätischen, topographischen und kartographischen Arbeiten wurde vertieft, zahlreiche Lehrbücher und erste Musterblätter publiziert (z. B. J.G. Lehmann "Darstellung einer neuen Theorie ... der Situationszeichnung der Berge", Leipzig 1799). Von den überwiegend von Militäringenieuren ausgeführten ersten topographischen Landesaufnahmen, so in Preußen 1767-87 (1 : 50 000), Kurhessen 1764-86 (1 : 21 333), Kurfürstentum Sachsen 1780-1806 (1 : 12 000, Meilenblatt) und Westfalen (unter franz. Einfluss 1 : 86 400) wurde in den vielblättrigen, meist nur handgezeichneten topographischen Karten eine neue inhaltliche, lagemäßige und graphische Qualität erreicht. Untersuchungen zu mathematischen Methoden der Verebnung des Gradnetzes (Lambert 1772, Euler 1777, J.C. Albers 1805, Mollweide 1805) vollendeten ein System der Kartennetzentwurfslehre. Die aufstrebenden Geowissenschaften, aber auch die Kameralwissenschaften und Statistik bezogen in die Fachdarstellung neu ersonnene graphische Methoden für thematische Karten ein (geologische Karte, Produktenkarten als frühe Wirtschaftskarten, Bevölkerungskarten, Geschichtskarten).
Zahlreiche Experimente zur Vereinfachung der Graphik- und Kartenvervielfältigung (Typometrie, Landkartensatz von Breitkopf) führten 1797/98 zur Erfindung und Anwendung von Lithographie und Steindruck durch A. Senefelder. Zusammen mit Tief- und Hochätzung (Strichätzung), Stahlstich, Galvanoplastik, und nach 1840 Umdruck und Reproduktionsphotographie sowie ab 1860 Schnellpressen für den Flachdruck veränderten und rationalisierten Kartenherstellung und -druck; lithographische Techniken ermöglichten den mehrfarbigen Kartendruck. Damit wurden die wissenschaftlichen und technischen Grundlagen gelegt für die Führungsrolle der Deutschen Kartographie im 19. Jh. Aus dem traditionellen Kartenverlag gingen kartographische Betriebe hervor, in denen von spezialisierten Fachkräften ein arbeitsteiliger Kartenherstellungsprozess unter Leitung wissenschaftlicher Kartographen bis zu Druck und Weiterverarbeitung praktiziert wurde: zum "Geographischen Institut" in Weimar kam Justus Perthes in Gotha (ab 1855 unter A. Petermann), das "Bibliographische Institut in Hildburghausen" (ab 1874 in Leipzig), D. Reimer in Berlin, Flemming in Glogau, Georg Westermann Verlag in Braunschweig, Ravenstein in Frankfurt sowie Wagner & Debes (seit 1872) und Velhagen & Klasing (seit 1873 in Leipzig). Neben Offizieren (E.v. Sydow) befruchteten Geographen an den Universitäten (in Berlin C. Ritter, H. Kiepert), Leiter statistischer Büros (H. Lange in Berlin) und Geowissenschaftler (A. Humboldt) die Entwicklung der topographischen, thematischen und Atlaskartographie in methodischer und praktischer Hinsicht. Die topographischen Landesaufnahmen wurden im 19. Jh. unter den Bedingungen des losen Deutschen Bundes weiterhin dezentral in den Ländern durch Landestriangulation, Gradmessung, Schweremessungen und geeignete Abbildungsmethoden für geodätische Koordinaten (J.G. Soldner, C.F. Gauß, J.A. Kaupert) auf exakte wissenschaftliche Grundlagen gestellt. Landesweite Nivellementnetze ermöglichten über Höhenfestpunkte die Ablösung der Schraffen durch Höhenlinien (in Kurhessen seit 1840).
3. Kartographie im Deutschen Reich 1871 bis 1945 Die 1875 auf Anregung von H.v. Moltke im preußischen Generalstab gegründete "Königlich Preußische Landesaufnahme" koordinierte zunehmend die amtliche Kartographie der deutschen Länder, leitete die Herausgabe der "Karte des Deutschen Reiches 1 : 100 000" (674 Bl. in Kupferstich mit Umdruckausgaben), schuf Folgekarten 1 : 200 000 (1893-1913), organisierte die deutsche Kolonialkartographie und entwickelte neue Verfahren der Kartentechnik, die im ersten Weltkrieg ihre quantitative und qualitative Leistungsfähigkeit unter Beweis stellten. Das in Potsdam eingerichtete "Geodätische Institut" wurde unter Baeyer (1794-1885) und Helmert (1843-1917) führend in der Erdmessung (höhere Geodäsie). Das deutsche Seekartenwesen erfuhr erst mit der Einrichtung des "Hydrographischen Bureaus" 1861 in Berlin mit Seevermessungen der Nord- und Ostsee und der Herausgabe von (preußischen) Admiralitätskarten ein eigenständiges Profil. Vom Ende des 19. Jhs. an wurden ozeanographische Forschungen und die Seekartenherstellung auf alle Meeresräume ausgedehnt. Marksteine der thematischen Kartographie bildeten der "Physikalische Atlas" von H. Berghaus (Perthes Gotha. 1.A. 1838-48, 3. A. 1886-92), geologische Kartenwerke (Lepsius "Geologische Karte von Deutschland 1 : 500 000") sowie der "Physikalisch-statistische Atlas des Deutschen Reiches" (1876). Weltweiten Absatz hatten die großen Handatlanten von J. Perthes ("Stielers Handatlas", 9. Ausgabe 1900-1905 in Steindruck), Velhagen & Klasing ("Andrees Handatlas" 1881 in 150 000 Ex. in Buchdruck) und Wagner & Debes ("Debes Neuer Handatlas" 1894). 1921 wurde die "Preußische Landesaufnahme" mit Einschluss von Sachsen in das Reichsamt für Landesaufnahme (RfL) mit Sitz in Berlin umgewandelt; in den süddeutschen Ländern bestanden weiterhin eigene Landesvermessungsämter, die erst im Dritten Reich 1938 zu Hauptvermessungsabteilungen des RfL wurden. Sie stellten dezentral die Topographischen Kartenwerke 1 : 25 000 der Länder und die "Deutsche Grundkarte 1 : 5 000" her, während die Reichskartenwerke 1 : 100 000 bis 1 : 1 Mio. in Berlin hergestellt und fortgeführt wurden. Das im ersten Weltkrieg entstandene Luftbildwesen fand Verbreitung (z. B. Hansa Luftbild GmbH, Luftbildkarten 1 : 25 000). 1937 wurde in Leipzig die "Deutsche Kartographische Gesellschaft" gegründet, um die amtliche Kartographie, die Verlagskartographie und die kartographische Ausbildung (Kartolithograph, Landkartenzeichner, Ingenieurkartograph) sowie die wissenschaftliche Kartographie gemeinsam zu fördern. Im zweiten Weltkrieg wurden alle Kapazitäten auf die Kriegskartographie, geleitet von Heeresplankammer und Kriegskartenhauptamt, gelenkt. Die großenteils in den letzten Kriegsjahren aus Berlin ausgelagerten Kartenoriginale samt technischer Einrichtungen nahmen 1945 die Siegermächte in Verwahrung.
4. Westliche Besatzungszonen und Bundesrepublik Deutschland 1945-1990
In den drei westlichen Besatzungszonen setzten neugeschaffene Landesvermessungsämter die Arbeit der behördlichen Kartographie fort. Zur Vereinheitlichung wurde 1949 die "Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltung der Länder der Bundesrepublik Deutschland" (AdV) gebildet; zur wissenschaftlichen Durchdringung 1950 die Deutsche Geodätische Kommission. Die 1954 gegründete Bundeswehr verlangte die forcierte Fertigstellung der Topographischen Karte 1 : 50 000 (TK50). Gestaltung und Blattschnitt des vorläuferfreien Kartenwerks wirkte sich auf die Neugestaltung der TK 25 und TK 100 aus. Das "Institut für Angewandte Geodäsie" in Frankfurt a. M. (IfAG) wurde 1952 Bundesbehörde; es übernahm die Herstellung der neuen Kartenwerke 1 : 200 000 und kleiner: ab 1962 wieder die deutschen Blätter der Internationalen Weltkarte 1 : 1 Mio. und ab 1976 der "Topographischen Übersichtskarte 1 : 500 000". Für spezielle Militärkarten war seit 1955 das "Militärgeographische Amt" zuständig. Neue Verfahren der Kartenherstellung (Kunststofffolien als Originalträger, Schichtgravur, Photosatz, Folienkopie) deckte den rasch wachsenden zivilen Bedarf an Autokarten (z. B. "Deutsche Generalkarte 1 : 200 000" von Mair), Wanderkarten, Stadtplänen sowie Schul- und Weltatlanten, dokumentiert in "Deutsche Kartographie der Gegenwart" (1970 und 1984). Noch 1980 arbeiteten dafür 51 kartographische Betriebe mit Verlag und 87 kartographische Anstalten und Büros. Dem standen 1100 Institutionen der behördlichen Kartographie gegenüber (vgl. "Kartographie der Gegenwart in der BRD", 3. Bd. 1984). In mindestens 160 Städten bearbeiteten Stadtvermessungsämter topographische und thematische Stadtkartenwerke; in über 400 Vermessungs- und Katasterämtern wurden Flurkartenwerke geschaffen und laufendgehalten. Die 1947 gegründete "Akademie für Raumforschung und Landesplanung" betreute Gestaltung und Herstellung von 10 Länderbänden des "Deutschen Planungsatlas"; die "Bundesforschungsanstalt für Landeskunde" in Bonn-Bad Godesberg gab 1965-69 den Atlas "Die Bundesrepublik Deutschland in Karten" in 1 : 1 Mio. und 1980 den "Atlas zur Raumentwicklung" heraus. Thematische Kartenwerke schufen und betreuten die Geologischen Landesämter (geologische, hydrogeologische und Bodenkarten), die "Bundesanstalt für Bodenforschung" bzw. "Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe" in Hannover (internationale geologische Kartenwerke, Karten für Entwicklungshilfevorhaben); das bereits 1945 in Hamburg als vierzonale Dienststelle gebildete "Deutsche Hydrographische Institut" betreute Seevermessung, Herstellung nautischer Instruktionen und Seekarten. Karten für Straßenplanung und -bau, für Luftfahrt, für Natur- und Landschaftsschutz, für Klima uns Wetter, für Wasserwirtschaft und Forst (Forstkarte) gaben nahezu 500 Bundes-, Länder- und nachgeordnete Ämter in wachsender Anzahl heraus. An über 50 Hochschuleinrichtungen entstanden, überwiegend von geographischen und anderen geowissenschaftlichen Disziplinen betreut, Einzelkarten, Kartenwerke und Atlanten. Die 1950 gegründete " Deutsche Gesellschaft für Kartographie" war bestrebt, alle kartographisch Tätigen zu erfassen. Sie steuerte mit Arbeitskreisen den wissenschaftlich-technischen Fortschritt in der Kartographie, betreute die kartographische Aus- und Weiterbildung und gibt seit 1950 die "Kartographischen Nachrichten" als Fachzeitschrift heraus. Der Reise- und Verkehrsverlag schuf für seinen Landkartenhandel "GeoCenter" Geokataloge mit einer weltweit einzigartigen, ständig aktuell gehaltenen Dokumentation aller lieferbaren topographischen und thematischen Karten einschließlich geowissenschaftlicher und Reiseliteratur. Das deutschsprachige Schrifttum verzeichnet "Bibliotheca Cartographica" 1957-1972, seit 1974 "Bibliographia Cartographica", den Forschungsfortschritt dokumentierte das Internationale Jahrbuch für Kartographie (1961-1990). Die seit etwa 1970 laufenden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zur Automatisierung der Kartographie führten erst mit der Verfügbarkeit leistungsfähiger PC mit Grafik Software zu praxisverwertbaren Lösungen (digitale Kartographie).
Die kartographische Ausbildung war durch die Einrichtung der Studiengänge für Kartographie an den Fachhochschulen in Berlin, München und Karlsruhe sowie durch die Gründung kartographischer Lehrstühle an den Universitäten in Berlin (FU), Hannover, Bonn, München und Trier deutlich aufgewertet worden. Die kartographische Forschung, die vorrangig im Institut für Angewandte Geodäsie konzentriert war, profitierte gleichfalls von dieser Entwicklung.
5. Sowjetische Besatzungszone und Deutsche Demokratische Republik 1945-1990
In den nach den Kriegszerstörungen verbliebenen Kapazitäten kartographischer Betriebe, insbesondere J. Perthes in Gotha, begann neben Gotha bald auch in Leipzig und Berlin, verstärkt nach Bildung volkseigener Betriebe und Verlage, die Herausgabe von Stadtplänen, Touristenkarten und Schulatlanten. In weitergeführten Einrichtungen des Reichsamts für Landesaufnahme wurde anfangs an Aufnahme und Herausgabe von Blättern der Deutschen Grundkarte 1 : 5 000 gearbeitet (für Sachsen entstanden von 1949 bis 1956 über 700 Blätter) und eine einfarbige Umdruckausgabe der Messtischblätter vom Gebiet der DDR insbesondere für Planungsorgane hergestellt. Die "Verwaltung Vermessung und Kartenwesen" (VVK) beim Ministerium des Innern der DDR leitete die vier Betriebe "VEB Geodäsie und Kartographie" in Berlin, Erfurt, Dresden und Schwerin an bei den Vermessungsarbeiten und der Herstellung der Topographischen Karte 1 : 10 000, hergestellt nach entzerrten Luftbildern 1957-1969, und den Folgekarten bis 1 : 200 000 mit hoher und höchster "Vertraulichkeit". Der VEB Kartographischer Dienst Potsdam produzierte nichtöffentliche thematische Kartenwerke (z. B. Planungsatlanten), Blätter der Weltkarte 1 : 2,5 Mio. und ein in seinen geometrischen Eigenschaften absichtlich eingeschränktes bzw. verzerrtes aber für alle Benutzer zugängliches (Grundlagen-)- Kartenwerk 1 : 200 000; als Gemeinschaftsarbeit mit der Verlagskartographie entstand der Atlas Deutsche Demokratische Republik. Der Militärkartographische Dienst in Halle versorgte die Volksarmee (DDR-Streitkräfte) mit speziellen topographischen Karten, dem Seehydrographischen Dienst der DDR in Rostock oblagen Vermessung der Küstengewässer und Herausgabe von Seekarten und nautischen Dokumenten; interne thematische Kartenwerke entstanden im VEB Geologische Forschung und Erkundung, im VEB Geophysik und in der Forstverwaltung.
Seit 1971 sind alle topographischen Kartenwerke mehrfach in einer zeit- und kostensparenden Technologie laufendgehalten worden; der dritte Fortführungszyklus der gesamten Maßstabsreihe war 1988 abgeschlossen. Die vorangegangenen Auflagen aller Kartenblätter wurden, teilweise ohne Erhaltung eines Archivexemplars, vernichtet.
Dem VEB Hermann Haack Gotha oblag die Herstellung und Vertrieb aller schulkartographischen Erzeugnisse sowie von Karten und Atlanten für den Buchhandel. Es entstanden "Atlas der Staaten der Erde und ihre Wirtschaft" (8 Aufl. mit über 500 000 Ex.), "Haack Großer Weltatlas" (1965) mit weltweiter Darstellung der Waldflächen, "Atlas zur Geschichte" (2 Bde. 1973 und 1975), ferner Taschenatlanten, Kartenbücher und thematische Weltatlanten. Der VEB Tourist Verlag in Berlin gab Straßenatlanten ("Atlas für Motortouristik", anfangs 1 : 250 000, später 1 : 200 000), Stadtpläne, Wanderkarten und Touristikliteratur heraus.
Die Ausbildung von Facharbeitern für Kartographie erfolgte in speziellen Berufsschulen, von Ingenieuren in der Ingenieurschule für Geodäsie und Kartographie in Dresden und von Diplomingenieuren für Kartographie im Institut für Kartographie der TU Dresden (Lehrstuhl für Kartographie seit 1958). Als Berufs- und Fachorganisationen bestanden die "Wissenschaftlich-Technische Gesellschaft für Geodäsie, Photogrammetrie und Kartographie" (WTG GPhK) der Kammer der Technik und die Fachsektion Kartographie der Geographischen Gesellschaft der DDR. Die kartographische Forschung war konzentriert im Forschungszentrum des Kombinats Geodäsie und Kartographie in Leipzig, im Militärkartographischen Dienst in Halle, in Einrichtungen der Akademie der Wissenschaften (Institut für Geographie und Geoökologie in Leipzig und im Zentralinstitut für Physik der Erde in Potsdam) und am Institut für Kartographie der TU Dresden; die Geräteentwicklung im VEB Carl Zeiss Jena.
Publikationsorgane für kartographische Beiträge waren "Vermessungstechnik", "Petermanns Geographische Mitteilungen" und die "Geographischen Berichte" sowie die "Arbeiten aus dem Vermessungs- und Kartenwesen der DDR". Nach 1990 wurden die Institutionen überwiegend in neue Strukturen der Bundesrepublik Deutschland überführt, teilweise aufgelöst.
6. Bundesrepublik Deutschland seit 1990 Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten erfolgte zu einer Zeit, die durch zunehmende technologische Veränderungen in der Kartographie gekennzeichnet war. Die Ablösung traditioneller Kartenherstellungsverfahren durch digitale Systeme und Technologien sowie die Entwicklung und Praxisnutzung von Geoinformationssystemen (GIS) prägte die Deutsche Kartographie der 1990er Jahre. Nach Wiedererrichtung der Länder im Osten Deutschlands (neue Bundesländer) wurden die vormals zentralistischen Strukturen in der behördlichen Kartographie, in der Verlagskartographie und in der kartographischen Ausbildung dem marktwirtschaftlichen und föderalistischen System Westdeutschlands (der alten Bundesländer) weitgehend angeglichen. In der übergeordneten behördlichen Kartographie (Landesvermessungsämter und Bundesamt für Kartographie und Geodäsie) wurde ATKIS als topographisches Basisinformationssystem mit Hilfe der kommerziellen Systeme ALK-GIAP von AED-Graphics, MGE von Intergraph und SICAD von Siemens-Nixdorf zügig realisiert, sodass im Jahr 2001 für nahezu die Gesamtfläche Deutschlands Vektordaten des DLM 25, DLM 250 und DLM 1000 zur Verfügung standen. Für die Maßstäbe 1 : 10 000 (nur neue Bundesländer), 1 : 25 000, 1 : 50 000, 1 : 100 000 und 1 : 200 000, 1 : 500 000 und 1 : 1 Mio. liegen die entsprechenden Rasterdaten vor. Teilweise ist bereits die Ableitung topographischer Karten (Digitale Topographische Karte) aus dem ATKIS-DLM realisiert. Flächendeckend auf CD-ROM ist die topographische Darstellung in 1 : 50 000 seit 2000 vorhanden. Die analogen topographischen Karten der neuen Bundesländer wurden im Zeichenschlüssel nur geringfügig verändert, jedoch bezüglich der geodätischen Grundlage, des Blattschnitts und der Kartenblattbezeichnungen an das System der alten Bundesländer angepasst. Die Höhenangaben der Kartenblätter in den neuen Bundesländern beziehen sich jedoch weiterhin auf den Kronstädter Pegel (HN).
Ende der 1990er Jahre wurde in allen deutschen Landesvermessungsämtern damit begonnen, in die Karten die UTM-Koordinaten als Gitternetz einzudrucken und die geodätische Grundlage auf WGS 84/ERTS umzustellen. Die Aufgaben der Landesvermessungsämter haben sich im kartographischen Bereich mehr und mehr hin zum Geodaten-Produzenten und -Lieferanten verschoben. Zur Zusammenführung der in den 1970er und 1980er Jahren auf kommunaler Ebene eingerichteten automatisierten Liegenschaftskarte ALK und des automatisierten Liegenschaftsbuches ALB wurde 1999 das Konzept ALKIS entwickelt und von der AdV bestätigt.
In den Behörden, Ämtern und Verwaltungen der thematischen Landesaufnahme (Geologische Landesämter, Landesämter für Bodenkunde, Landesforstverwaltungen usw.) wurden geowissenschaftliche Fachinformationssysteme aufgebaut. In diesem Sinne veränderte und erweiterte auch die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (früher: Bundesanstalt für Bodenforschung, Hannover) ihre Tätigkeit. In der Bundesanstalt für Seeschifffahrt und Hydrographie führte die technische Entwicklung zur elektronischen Seekarte im Projekt ECDIS.
Die gewerbliche Kartographie verzeichnete zahlreiche Neugründungen, andererseits hat die deutsche Verlagskartographie hat in den 1990er Jahren einen deutlichen Konzentrationsprozess durchgemacht. Bedeutende Verlage sind heute der RV Reise- und Verkehrsverlag, MAIRS Geographischer Verlag sowie Klett-Perthes und der Westermann Schulbuchverlag. Die Atlaskartographie hat neben zahlreichen Auto- und Reiseatlanten sowohl Weltatlanten für die breite Öffentlichkeit als auch thematische Atlanten verschiedener Zweckbestimmung und unterschiedlichen Inhalts hervorgebracht. Zu nennen sind hier das System von Weltatlanten "New World Edition" des RV-Verlages und der Bertelsmann Gruppe, der Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland (Spektrum Akademischer Verlag und Institut für Länderkunde Leipzig) sowie der "Hydrologische Atlas von Deutschland" (2000), herausgegeben vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in Verbindung mit geowissenschaftlichen Bundesbehörden. Diese Atlanten sind in der Regel als Printatlas und als elektronischer Atlas verfügbar.
Neubearbeitungen bzw. methodische Weiterentwicklungen von Schulatlanten legten die traditionsreichen Schulbuchverlage Klett-Perthes (Alexander Weltatlas), Westermann (Diercke Weltatlas) Cornelsen-Schroedel (Seydlitz Weltatlas) und Bayerischer Schulbuchverlag (Großer Historischer Weltatlas) vor.
Die Kartographieausbildung wird auf drei Niveaus durchgeführt: 1. Zum Kartograph als Facharbeiter; hierfür liegt seit 1992 ein den neuen digitalen Technologien entsprechender Ausbildungsleitfaden vor, der 2000 auf CD-ROM erschienen ist. 2. Zum Dipl.-Ing. für Kartographie (FH) mit dem Ausbildungsstandort HTW Dresden, FH Karlsruhe, FH München, TFH Berlin. 3. Zum Dipl.-Ing. für Kartographie, nur an der TU Dresden. Als Vertiefungsrichtung bzw. Nebenfach wird Kartographie zudem an weiteren Universitäten gelehrt, so u. a. in Bonn, Hannover und München (im Rahmen des Studiengangs Geodäsie) sowie in Berlin (FU), Bochum und Trier (als Nebenfach des Studiengangs Geographie). Geoinformatik wird als Studiengang von der Universität Münster und von verschiedenen Fachhochschulen angeboten. Bemühungen um die Einführung international passfähiger Bachelor/Master-Studiengänge sind im Gange.
Zentren der kartographischen Forschung sind die kartographischen Universitätsinstitute bzw. -lehrstühle in Berlin (FU), Bonn, Dresden (TU), Hannover, München (TU) und Trier.
Technologische Verfahrensentwicklungen werden z. T. auch bei den Landesvermessungsämtern, in den kartographischen Bereichen weiterer Bundes- und Landesämter und bei einschlägigen Firmen durchgeführt. Das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (bis 1997 "Institut für Angewandte Geodäsie") ist begrenzt mit angewandter kartographischer Forschung betraut.
Neben der führenden kartographischen Zeitschrift, den "Kartographischen Nachrichten" haben sich verschiedene GIS-Zeitschriften etabliert. Die Deutsche Gesellschaft für Kartographie gibt zudem seit 1993 eine Publikationsreihe "Kartographische Schriften" (bis 2000 fünf Bände) heraus. Wissenschaftliche kartographische Reihen gibt es auch an verschiedenen Universitätsinstituten. Die größte Karten- und Atlantensammlung Deutschlands ist nach wie vor die der Deutschen Staatsbibliothek Berlin, derzeit noch an zwei Standorten innerhalb Berlins untergebracht. Nach einem von L. Zögner und G. Mauer erarbeiteten Verzeichnis belief sich der Gesamtbestand aller Kartensammlungen Deutschlands um 1998 auf etwa 10 Millionen Karten.
Literatur: [1] NEUMANN, J. (1993): Entwicklungslinien deutscher Kartographiegeschichte. In: Kartogr. Nachrichten 43, 2, 41-98. [2] WILFERT, I. (1993): Kartographie in der DDR. In: Kartogr. Nachrichten, 43, 2, 48-53. [3] Kartographie der Gegenwart in der Bundesrepublik Deutschland, 3 Bde. (1984): 50 Jahre Deutsche Gesellschaft für Kartographie. Kartogr. Schriften, Bd. 5, Bonn 2000. [4] MEURER, P.H. (1985): Mappae Germaniae 1482-1803. Bad Neustadt. [5] SCHEEL, G. und MOHR, G. (1978): Die Entwicklung der deutschen Landesvermessung. Wiesbaden. [6] ZÖGNER, L. (1986): Deutsche Kartographie. In: Kretschmer, I. und Dörflinger (Hrsg.): Lexikon zur Geschichte der Kartographie. Wien, 162-167.
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