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Lexikon der Kartographie und Geomatik: Raum

Raum, E space, Bezugsrahmen für die Anordnung und Abbildung materieller und geistiger Gegenstände mithilfe von Positionen, Distanzen, Nachbarschaften und Verbindungen. Die Definition des Raumes ist abhängig von den Eigenarten der in ihm vorkommenden oder ihm zugeordneten Gegenständen, sowie den mit diesen verbundenen Fragestellungen, Zielen und Handlungen. Von der Wahrnehmung und dem Erleben in der Alltagswelt aus betrachtet, ist der Raum das äußere Erlebnisfeld der Gegenstände und die mit dem Raum verbundene Zeit die innere Erfahrung von Veränderungen der Gegenstände und Bewusstseinsinhalte. I. Kant definiert Raum und Zeit als Formen der Ausdehnung, da sie als unendliche Größen vorgestellt und als Ganzes, nicht als Einheit vieler Teile, aufgefasst werden. Ein Großteil moderner Wissenschaften stützt sich in Abhängigkeit von ihren Erkenntnisgegenständen und ihren Zielen der Erkenntnisgewinnung bei der räumlichen Einordnung von Erkenntnissen auf unterschiedlich definierte Raumkonzepte. N. Hartmann versteht den Raum als Kategorie der Dimension (gleichfalls wie die Zeit). Raum und Zeit haben beide eine Ausdehnung, und die Dinge sind im räumlichen und zeitlichen Kontinuum eindeutig lokalisierbar. Sowohl als räumliche Ausdehnung wie als zeitliche Dauer sind die Dimensionen messbar. Er unterscheidet drei Konzepte des Raumes: 1. den geometrischen Raum oder Idealraum; er gehört nicht der realen Welt an. Dazu gehört der euklidische Raum, der als einziger anschaulicher ist. Merkmale des geometrischen Raumes sind: Er ist ein Dimensionssystem für Formen und Lageverhältnisse und er ist homogen und stetig, er ist unbegrenzt, aber nicht unendlich, er hat keinen Größenmaßstab und seine Dimensionen sind gleichartig, vertauschbar und isometrisch; sämtliche Ausdehnungen haben eine bestimmte Richtung. 2. den Realraum; er umfasst reale Dinge und real-physische Geschehnisse. Unterschiede zum geometrischen Raumkonzept sind: es gibt nur einen Realraum, er hat immer drei Dimensionen und er umfasst die Teile der realen Welt. 3. den Anschauungsraum; er ist der Raum der sinnlichen Wahrnehmung, der Vorstellung, des persönlichen Erlebens, der empirischen Erfahrung und des denkenden Begreifens (vgl. Raumvorstellung). Unterschiede zu den Raumkonzepten 1 und 2 sind: er ist weniger homogen, d. h. er wird deformiert, beispielsweise auf den Standort des Subjektes ausgerichtet, er hat Vorzugsrichtungen und -gegenden, er ist nur begrenzt stetig, er ist sowohl endlich als auch begrenzt, seine Dimensionen sind nicht isometrisch.
Aus diesen Raumkonzepten resultiert u. a. eine Unterscheidung von Räumen nach H. Couclelis (1992) für die verschiedenen Bereiche der Geographie. Es werden unterschieden: mathematische Räume mit diskreten und fraktalen Strukturmerkmalen, physikalische Räume in absoluter und relativer Form, sozioökonomische Räume, definiert nach entsprechenden Aktionen und Beziehungen, Verhaltensräume, geprägt durch psychologische Effekte sowie Erfahrungsräume, bestimmt durch alltagsgeprägte physiologische, psychologische und Erlebnissituationen. Allen Raumkonzepten ist eine Einordnung als Modell gemeinsam, was für die Kartographie besonders relevant ist. So wird beim Terminus Raummodell der räumliche Aspekte bei dem Modelloriginal (System) und nicht unbedingt bei dem abbildenden Modell gesehen. Beim Terminus räumliches Modell dagegen, tritt der räumliche Aspekt nicht zwangsläufig beim Modelloriginal sondern beim abbildenden Modell als Mittel der Veranschaulichung auf.
In der Kartographie wird der Begriff Raum, soweit er das Abbildungsobjekt Erde (vgl. Sphäroid) betrifft, als Georaum definiert und berücksichtigt damit grundsätzlich die Dimensionen und Bedingungen eines euklidischen Raumes. Für die geometrische Abbildung des Georaums in der Karte, reduziert sich der abzubildende Raum im Wesentlichen auf die dreidimensionale Oberfläche des Erdkörpers und als Abbildungsraum in der Karte auf deren zweidimensionalen Grundriss. Dieser kann wiederum durch die perspektivische Konstruktion der Höhe optisch auf die dritte Dimension erweitert werden. Zusätzlich werden substantielle oder inhaltliche Aspekte der auf der Oberfläche verteilten Geoobjekte oder Sachverhalte quasi als separate Raumkonstrukte in der Abbildungsfläche der Karte positioniert und abgebildet. Die Geoobjekte werden einerseits als Aufriss oder als dreidimensionaler Objektmantel, also in Form einer echten euklidischen Raumstruktur, reproduziert. Andererseits werden nicht räumliche Größen, wie etwa Werte oder Wertrelationen in visualisierte mathematische Raumstrukturen überführt und z. B. als Diagramme abgebildet. Damit werden in der Abbildungsebene der Karte also mehrere unterschiedliche Raumkonzepte verwendet. Bei bestimmten Anwendungen von Karten werden die Bedingungen des homogenen euklidischen Raumes z. T. nivelliert. So werden lokale Distanzen verkürzt oder verlängert wie etwa durch die partielle Variation des Maßstabes bei Kartenanamorphoten. Oder es werden Winkel verändert, um Nachbarschaften von Objekten im Raum erhalten zu können, wie etwa bei Streckennetzplänen. Darüber hinaus werden bei der visuell-kognitiven Verarbeitung von kartographischen Informationen die Bedingungen des euklidischen Raumes in die individuellen Bedingungen eines Verhaltensraumes überführt: Distanzen und Größen werden mit abnehmender Identifizierung verkürzt wahrgenommen oder Nachbarschaften von Objekten werden mental unterdrückt bzw. herausgestellt (vgl. auch kognitive Karte).
In der Regel sind Raumkonzepte, die in der Kartographie Verwendung finden, auf georäumliche also euklidische Dimensionen ausgerichtet. Zukünftig aber, gestützt auf rechnerbasierte Verfahren und in Verbindung mit Ansätzen der wissenschaftlichen Visualisierung, können Konzepte der Raumstrukturierung in der Kartographie in zweierlei Hinsicht erweitert werden.
Ziel dabei ist erstens die Abbildung von Sachverhalten, die nicht räumlich oder nicht durch euklidische Raumstrukturen eingebunden sind. Dies sind z. B. sozioökonomische, verhaltens- und erfahrungsorientierte oder naturwissenschaftlich-technologische Sachverhalte, die z. B. in Form von statistischen Flächen, Trendflächen oder Zeitflächen abgebildet werden. Für die Modellierung dieser Raumkonzepte werden also kartographische Methoden verwendet, obwohl die Themen ursprünglich nicht kartographisch ausgerichtet sind.
Ein zweites Ziel besteht in der Abbildung von Sachverhalten, die zwar übliche georäumliche Bezüge und Dimensionen aufweisen, zu deren Abbildung aber bestimmte und z. T. wesentliche Abbildungsbedingungen verändert oder nicht berücksichtigt werden. Dazu gehört beispielsweise die Überführung von euklidischen und topologischen Relationen in aggregierte Chorème, bei denen die Relationen durch strukturelle Metaphern ersetzt werden. Oder es werden ausgewählte Raumgrößen herausgestellt, wie etwa durch Vernachlässigung euklidischer Relationen mit dem Ziel der Betonung topologischer Relationen sowie Winkeln zur Steigerung der Vergleichbarkeit von Strecken vernachlässigt. In diesen Fällen werden georäumliche Themen mithilfe weiterentwickelter, ursprünglich nicht-kartographischer Raumkonzepte und Abbildungsformen graphisch reproduziert (vgl. kartenverwandte Darstellungen).

JBN

Literatur: [1] WIRTH, E. (1979): Theoretische Geographie. Stuttgart. [2] COUCELIS, H. (1992): Location, Place, Region and Space. In: Abler, R.F. (Hrsg.): Geography's inner worlds, New Jersey. [3] SEITELBERGER, F. (1997): Die Wahrnehmung von Raum und Zeit – Aspekte der Neurobiologie. In: Albertz, J. (Hrsg.): Wahrnehmung und Wirklichkeit, Freie Akademie, Bd.17.

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