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Lexikon der Mathematik: Auswahlaxiom

AC, Axiom der axiomatischen Mengenlehre, das besagt, daß es zu jeder Menge \( {\mathcal M} \), deren Elemente sämtlich nichtleere Mengen sind, eine sogenannte Auswahlfunktion gibt, die jeder Menge N aus \( {\mathcal M} \) ein Element aus N zuordnet. Formal bedeutet das, man fordert für jede Menge \( {\mathcal M} \) die Gültigkeit der Formel

\begin{eqnarray}\rlap{/}{0}\notin {\mathcal M} \Rightarrow \mathop{\displaystyle \vee }\limits_{f: {\mathcal M} \to \mathop{\cup }\limits_{M\in {\mathcal M} }M}(\mathop{\wedge }\limits_{N\in {\mathcal M} }f(N)\in N).\end{eqnarray}

Es sind zahlreiche Aussagen bekannt, die in der Zermelo-Fraenkelschen Mengenlehre (ZF) zum Auswahlaxiom äquivalent sind. Die wichtigsten werden im folgenden vorgestellt. Ein Beweis der Äquivalenz befindet sich z. B. in [2].

Hausdorffsches Maximalitätsprinzip:

Sei \({\mathscr{A}}\)eine Menge von Mengen und \({\mathscr{N}}\)eine Teilmenge von \({\mathscr{A}}\), auf der die Inklusion „⊆” eine konnexe Ordnungsrelation darstellt.

Dann gibt es bezüglich dieser Eigenschaft eine ⊆-maximale Teilmenge \( {\mathcal M} \)von \({\mathscr{A}}\), die \({\mathscr{N}}\)enthält. Das heißt, \({\mathscr{A}}\supseteq {\mathcal M} \supseteq {\mathscr{N}}\), wird durch „⊆“ konnex geordnet, und es gibt keine Teilmenge von \({\mathscr{A}}\), die \( {\mathcal M} \)echt enthält und durch „⊆“ konnex geordnet wird.

Kuratowski-Lemma:

Ist (&Ngr;, ≤) eine Ordnungsrelation und KN eine Kette, so ist K in einer maximalen Kette M enthalten, das heißt, es gibt eine Menge KMN so, daß M eine Kette ist, daß jedoch keine echte obermenge von M, die in N enthalten ist, eine Kette ist.

Maximalitätsprinzip:

Sei \({\mathscr{A}}\)eine Menge von Mengen mit der Inklusion „⊆“ als Ordnungsrelation. Weiterhin gebe es zu jeder Teilmenge \({\mathscr{N}}\)von \({\mathscr{A}}\), auf der die Inklusion konnex ist, ein Element \(A\in {\mathscr{A}}\), das alle Elemente von \({\mathscr{N}}\)als Teilmengen enthält. Dann enthält \({\mathscr{A}}\)ein ⊆-maximales Element, das heißt ein Element, das in keinem anderen Element von \({\mathscr{A}}\)echt enthalten ist.

Minimalitätsprinzip:

Sei \({\mathscr{A}}\)eine Menge von Mengen mit der Inklusion „⊆“ als Ordnungsrelation. Weiterhin gebe es zu jeder Teilmenge \({\mathscr{N}}\)von \({\mathscr{A}}\), auf der die Inklusion konnex ist, ein Element \(A\in {\mathscr{A}}\), das in allen Elementen von \({\mathscr{N}}\)als Teilmenge enthalten ist. Dann enthält \({\mathscr{A}}\)ein ⊆-minimales Element, das heißt ein Element, in welchem kein anderes Element von \({\mathscr{A}}\)echt enthalten ist.

Tukey-Lemma:

Sei \({\mathscr{A}}\)eine nichtleere Menge von Mengen mit der Inklusion „⊆“ als Ordnungsrelation, \({\mathscr{A}}\)habe die Eigenschaft, daß eine Menge A genau dann ein Element von \({\mathscr{A}}\)ist, wenn jede endliche Teilmenge von A ein Element von \({\mathscr{A}}\)ist. Dann enthält \({\mathscr{A}}\)ein ⊆-maximales Element, das heißt ein Element, das in keinem anderen Element von \({\mathscr{A}}\)echt enthalten ist.

Wohlordnungssatz von Zermelo:

Auf jeder Menge gibt es eine Wohlordnung.

Dabei heißt eine lineare Ordnungsrelation (M, R), RM × &Mgr; eine Wohlordnung auf der Menge M genau dann, wenn jede nichtleere Teilmenge von M ein kleinstes Element (bezüglich R) besitzt.

Zermelo-Postulat:

Sei \({\mathscr{A}}\)eine Menge von nicht leeren Mengen, die alle paarweise disjunkt sind. Dann gibt es eine Menge C, so daß gilt

\begin{eqnarray}\mathop{\wedge }\limits_{A\in {\mathscr{A}}}\#(A\cap C)=1,\end{eqnarray}

das heißt, C schneidet alle Elemente von \({\mathscr{A}}\)in genau einem Punkt.

Zornsches Lemma:

Ist (M, P), PM × M eine Ordnungsrelation und hat jede Kette KM eine obere Schranke in M, so gibt es in M ein P-maximales Element.

Es sei noch erwähnt, daß auch die Aussage, daß jeder Vektorraum eine Basis besitzt, sowie der Satz von Tychonow zum Auswahlaxiom äquivalent sind. Weitere Informationen und Quellenangaben zu einer Vielzahl von Äquivalenzen zum Auswahlaxiom finden sich in [4].

Häufig wird die Existenz von Auswahlfunktionen, das heißt die Gültigkeit des Auswahlaxioms, als intuitiv evident betrachtet. Um so erstaunlicher ist die Tatsache, daß sich das Auswahlaxiom nicht aus den Axiomen von ZF beweisen läßt. Es zeigt sich, daß das Auswahlaxiom sogar von ZF unabhängig ist, das heißt, unter der Voraussetzung, daß ZF selbst widerspruchsfrei ist, kann man sowohl das Auswahlaxiom, als auch seine Negation zu ZF hinzunehmen, und das entstehende Axiomensystem bleibt widerspruchsfrei (Axiomatische Mengenlehre). Für einen Beweis siehe z. B. [3].

Die Unabhängigkeit des Auswahlaxioms von ZF steht in engem Zusammenhang mit der sogenannten Inkonstruktivität des Auswahlaxioms. Im allgemeinen lassen sich die durch das Auswahlaxiom als existent geforderten Mengen nicht in ZF konstruieren, da sich andernfalls die Gültigkeit des Auswahlaxioms in ZF beweisen ließe. Um ein Gefühl für den inkonstruktiven Charakter des Auswahlaxioms zu bekommen, kann man zum Beispiel versuchen, ohne das Auswahlaxiom eine Wohlordnung auf den reellen Zahlen anzugeben oder auf der Potenzmenge der reellen Zahlen eine Auswahlfunktion zu definieren. Man kann zeigen, daß beides unmöglich ist.

Es zeigt sich, daß manche Konsequenzen des Auswahlaxioms weit weniger intuitiv einsichtig sind als das Auswahlaxiom selbst. Eine solche Konsequenz ist das Banach-Tarskische Kugelparadoxon. Dabei handelt es sich um die Tatsache, daß sich die Einheitskugel im ℝ3 mit Hilfe des Auswahlaxioms in endlich viele (nicht Lebesgue-meßbare) Teilmengen zerlegen läßt, die sich nach einer Be- wegung zu einer Vollkugel doppelten Volumens zusammensetzen lassen.

Die Frage, ob das Auswahlaxiom zu den die Mengenlehre begründenden Axiomen hinzugenommen werden soll oder nicht, hat in der Mathematik dieses Jahrhunderts zu vielen Kontroversen geführt. So wird es von einer Richtung der mathematischen Logik, die sich Intuitionismus nennt, abgelehnt. Die meisten Mathematiker akzeptieren jedoch gegenwärtig das Auswahlaxiom und betrachten ZFG, das heißt das aus ZF und dem Auswahlaxiom bestehende Axiomensystem als das Standardaxiomen- system der Mengenlehre. Dabei ist es üblich, in Beweisen, wenn möglich, auf das Auswahlaxiom zu verzichten und andernfalls ausdrücklich auf den Gebrauch des Auswahlaxioms hinzuweisen. Weitere Informationen zum Auswahlaxiom findet man in [1].

[1] Jech, T. J.: The Axiom of Choice. North-Holland, Amsterdam, 1973.
[2] Kelley, J. L.: General Topology. Van Nostrand Reinhold, New York, 1955.
[3] Kunen, K.: Set Theory. An Introduction to Independence Proofs. North-Holland, Amsterdam, 1980.
[4] Rubin, H.; Rubin, J. E.: Equivalents of the Axiom of Choice, II. North-Holland, Amsterdam, 1985.

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  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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