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Lexikon der Mathematik: Borel, Emile

Mathematiker, geb. 7.1.1871 Saint-Affrique (Aveyron), gest. 3.2.1956 Paris.

Borel, Sohn eines Dorfpfarres, besuchte ab 1882 die Schule in Montauban, studierte 1889-1893 an der Ecole Normale Superieure in Paris, promovierte 1894 und lehrte dann drei Jahre an der Universität Lille. 1897 kehrte er als Professor an die Ecole Normale zurück. Ab 1909 hatte er gleichzeitig eine Professur für Funktionentheorie an der Sorbonne inne. Nach dem ersten Weltkrieg legte er alle offiziellen Ämter an der Ecole Normale nieder und wechselte an der Sorbonne 1920 auf den Lehrstuhl für Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik, den er bis zur Emeritierung 1940 inne hatte.

Borel liefert grundlegende Beiträge zur Funktionentheorie und zur Wahrscheinlichkeitsrechnung und verfaßte zahlreiche wichtige Lehrbücher, in denen er seine Ideen darstellte. In seiner 1895 publizierten Dissertation und den nachfolgenden Arbeiten entwickelte er, ausgehend von der Cauchy-Riemannschen Begründung der Funktionentheorie, wichtige Ansätze zur Theorie quasianalytischer Funktionen.

In diesem Zusammenhang mußte Borel Mengen eine Maßzahl zuordnen, für die bisherige Verfahren, etwa von Jordan, versagten, und entschloß sich, statt endlich viele, abzählbar unendlich viele Intervalle für die Überdeckung und damit unendliche Summen für die Bestimmung der Maßzahl einer vorgegebenen Menge zuzulassen.

Den Begriff Maß benutzte er erst ab 1898. Mit diesen Resultaten hat Borel die Entwicklung der Analysis maßgeblich beeinflußt. Weitere beachtliche Leistungen zur Funktionentheorie betrafen Borels Verallgemeinerung der Summation unendlicher Reihen und die Wertverteilung meromorpher Funktionen.

1897 führte er den Begriff der Ordnung einer meromorphen Funktion ein, und 1906 gelang ihm ein „elementarer” Beweis des Picardschen Satzes.

In der Wahrscheinlichkeitsrechnung umfassen Borels bedeutende Beiträge u. a. den Hinweis auf die Anwendung der Maßtheorie in der Wahrscheinlichkeitsrechnung, wobei er Elemente der Kolmogorowschen Vorstellungen zur Begründung dieser Disziplin vorwegnahm, die Definition des Begriffs der abzählbaren Wahrscheinlichkeit und eine Verallgemeinerung des starken Gesetzes der großen Zahlen. In den 20er Jahren wurde Borel zum Mitbegründer der Spieltheorie, er definierte den Begriff des strategischen Spiels und zeigte das MinimaxTheorem für drei Spieler.

Borel bekleidete häufig wichtige öffentliche Ämter, 1914-1918 war er im Forschungsbeirat des Kriegsministeriums, 1924-1936 linksbürgerliches (radikalsozialistisches) Mitglied der Abgeordnetenkammer, 1925 Marineminister. 1941 wurde er kurzzeitig von den deutschen Besatzern inhaftiert, blieb aber auch danach in der Widerstandsbewegung aktiv. Borel war außerdem wissenschaftsorganisatorisch tätig, so 1934 als Präsident der Académie des Sciences und in den 20er Jahren als ein Initiator zur Gründung des Centre National de la Recherche Scientifique und des Institut Poincarè in Paris. In vielen seinen Aktivitäten wurde er tatkräftig von seiner Frau Marguerite, einer Tochter des Mathematikers P. Appell, unterstützt.

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  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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