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Lexikon der Mathematik: Eichfeldtheorie

H.-J. Schmidt

Die Grundidee der Eichfeldtheorie besteht darin, daß man physikalische Felder beschreiben will, deren Zustände mehr Freiheitsgrade enthalten als physikalisch tatsächlich gemessen werden können. Es gibt dann natürlich auch verschiedene Zustände, die sich physikalisch nicht unterscheiden lassen; solche Zustände heißen äquivalent, und sie lassen sich durch eine Um-Eichung ineinander überführen. Diese Begriffsbildung geht auf H. Weyl zurück, sprachlich lehnt sie sich an den alten Begriff „Eichmaß“ an.

In der mathematischen Physik ist es manchmal unvorteilhaft, nur physikalisch meßbare Größen zu benutzen, sondern man führt besser auch irrelevante Größen ein, die anschließend wieder entfernt werden müssen. Oft ist es einfach eine Frage der rechnerischen Zweckmäßigkeit, in welcher Eichung der Zustand am sinnvollsten beschrieben wird; in anderen Fällen geht es jedoch um Umsetzung bestimmter Prinzipien wie der Lokalität: Während z. B. die Newtonsche Gravitationstheorie eine Fernwirkungstheorie ist (die Gravitation wirkt sofort, auch bei entfernt liegenden Massen), gibt es in der Feldtheorie (man denke z. B. an das Magnetfeld) nur eine Nachbarschaftswechselwirkung (Lokalität), u. a., da sich nach spezieller Relativitätstheorie die Kraftwirkungen höchstens mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten können. Dieses Lokalitätsprinzip läßt sich jedoch im Rahmen der Elektrodynamik nur umsetzen, wenn die Quellen des Feldes (also Ladungen) an das (irrelevante Bestandteile enthaltende) Vektorfeld koppeln, nicht aber, wenn sie nur an den (nur relevante Bestandteile enthaltenden) Feldstärketensor koppeln.

Genauer: Die Zustände in der Elektrodynamik werden durch das Vektorfeld Ai beschrieben, gemessen werden können aber nur die Komponenten des Feldstärketensors Fij, der durch

\begin{eqnarray}{F}_{ij}={A}_{i,j}-{A}_{j,i}\end{eqnarray}

definiert wird. Addiert man zu Ai den Gradienten eines Skalars Φ, also

\begin{eqnarray}{A}_{i}\to {A}_{i}+{\Phi }_{,i},\end{eqnarray}

ändert sich der Tensor Fij nicht.

Praktisch heißt das, daß man diesen Skalar Φ beliebig wählen kann. Der Lagrangian der zugehörigen Theorie wird dann mit dem Quadrat des Feldstärketensors, also mit FijFij, gebildet. Durch Variation dieses Lagrangians erhält man die Maxwellschen Gleichungen der Elektrodynamik.

Hier bei der Elektrodynamik gibt es also nur einen Eichfreiheitsgrad, entsprechend ist die Eichgruppe die eindimensionale, folglich kommutative, Lie-Gruppe U(1). Bei höherdimensionalen Eichgruppen spricht man von Yang-Mills-Feldern, und man unterscheidet kommutative und nichtkommutative Theorien, je nachdem, ob die unterliegende Gruppe (die stets eine Lie-Gruppe ist, auch wenn dies oft nicht explizit gesagt wird), kommutativ oder nichtkommutativ ist. (Teilweise wird in der Literatur der Begriff der Yang-Mills-Theorie nur auf den nichtkommutativen Fall angewandt.) Bei nichtkommutativen Theorien muß man, um die Eichinvarianz zu gewährleisten, die eichkovariante Ableitung benutzen, die im kommutativen Fall mit der kovarianten Ableitung übereinstimmt.

Je nach den Transformationseigenschaften der Felder unterscheidet man lokale Eichtheorien und nichtlokale Eichtheorien. Anders als in vielen mathematischen Begriffen bedeutet hier „lokal“ aber nicht „auf eine kleine Umgebung des Punktes bezogen“, sondern daß die Eichtransformation ortsabhängig sein darf. Dagegen ist bei den nichtlokalen Theorien (auch: globale Theorien genannt) der Eichparameter eine Konstante.

Das Analogon des o.g. Feldes Ai ist jetzt das Yang-Mills-Feld, und das Analogon der Maxwellschen Gleichung ist die Yang-Mills-Gleichung.

Der Feynmansche Pfadintegralzugang (so benannt nach dem Physiknobelpreisträger R. Feynman) spielt zunehmend eine wichtige Rolle bei der Quantisierung der Eichfelder.

Für diese Quantisierung erfolgt eine Brechung der Eichinvarianz, um aus den verschiedenen physikalisch äquivalenten Zuständen (die ja durch Eichtransformationen auseinander hervorgehen), jeweils einen auszuwählen; dies geschieht durch Hinzufügung eines eichbrechenden Terms sowie entsprechender Felder (sogenannte Geisterfelder nach Faddeev und Popov) in der Lagrangefunktion.

Die nach der Elektrodynamik wichtigste Eichfeldtheorie ist die Quantenchromodynamik, deren unterliegende Lie-Gruppe die nichtkommutative SU(3) ist, und die die Wechselwirkung von Quarks und Leptonen beschreibt.

Weitere Beispiele: Die elektroschwache Wechselwirkung, beschrieben durch die Gruppe U(1) × SU(2), sowie die Supergravitation, in der es neben dem Spin 2-Graviton der Allgemeinen Relativitätstheorie noch ein Spin 3/2-Gravitino gibt.

Ein weiteres Anwendungsgebiet der Eichfeldtheorie ist unter der Bezeichung Gittereichfeldtheorie verbreitet: Es geht um die Renormierung von Divergenzen, die bei der Quantisierung der Eichfelder auftreten. Man nennt sie eine Infrarotdivergenz, falls das Integral, das Wellenlängen λ von einem positiven λ0 bis ∞ überdeckt, unendlich wird, und eine Ultraviolettdivergenz, falls es bei λ → 0 zu undefinierten Werten des Integrals kommt. Durch Diskretisierung der Raum-Zeit und/oder der Felder wird dann das Integral durch eine endliche Summation ersetzt.

Auch Defekte in Kristallen lassen sich eichfeldtheoretisch beschreiben: Wenn aus einem reinen Kristall eine bestimmte Schicht entfernt wird (Fehlschicht) und die Teile wieder zusammengefügt werden, „heilt“ der Kristall wieder aus, und nur an den Enden bleibt eine Defektstelle (Versetzung genannt) übrig.

Es stellt sich heraus, daß das Ergebnis nur davon abhängt, wie und was herausgeschnitten wurde, nicht aber davon, an welcher Stelle die Schicht entfernt wurde. Das ist genau die Situation der Eichfelder: Das räumliche Verschieben der Fehlschicht ist die grundlegende Eichtransformation zur Beschreibung der Kristalldefekte. Ähnlich kann Supraleitung eichfeldtheoretisch behandelt werden.

Das Diracsche Modell für einen magnetischen Monopol kann man eichfeldtheoretisch wie folgt beschreiben: „Eigentlich“ gibt es keine einzelnen magnetischen Teilchen (magnetische Monopole genannt) im Gegensatz zu einzelnen eletrischen Ladungen, sondern es gibt immer nur Paare von magnetischen Polen, die durch eine magnetische Feldlinie verbunden sind. Wenn man aber jetzt den Grenzwert betrachtet, daß einer der zwei magnetischen Pole gegen „räumlich unendlich“ verschoben wird, bleibt zunächst nur der andere als Monopol übrig. Dazu kommt jedoch noch die Feldlinie, die von diesem Monopol nach unendlich führt. Der Eichfreiheitsgrad besteht darin, wo sich diese Feldlinie befindet. Nach Beseitigung dieser Eichfreiheit verbleibt eine linienartige topologische Anregung.

Schließlich sei noch erwähnt, daß es zu jeder Eichfeldtheorie eine duale Eichfeldtheorie gibt. Das bekannteste Beispiel ist: Die duale Theorie zum Elektromagnetismus ist wieder dieselbe Theorie, jedoch unter Austausch aller elektrischen mit allen magnetischen Größen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Begriffen, die als Internationalismen in vielen Sprachen ähnlich klingen, wird der Begriff „Eichfeld“wie folgt übersetzt: polnisch: pole cechowania; englisch: gauge field, diese Form stammt ab vom franz. Verb jauger und dem deutschen Wort „Feld“; russisch: kalibrovotschnoje pole, und dieses hat denselben Ursprung wie das deutsche Wort „kalibrieren“.

Literatur

[1] Kleinert, H.: Pfadintegrale. B.I.-Wissenschaftsverlag Mannheim, 1993.

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  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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