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Lexikon der Mathematik: elliptische Funktion

doppelt-periodische Funktion, eine in ℂ meromorphe Funktionf mit zwei über ℝ linear unabhängigen Perioden.

Zur genauen Definition benötigt man zunächst den Begriff des Gitters. Es seien ω1, ω2 ⊂ ℂ \ {0} linear unabhängig über ℝ, d.h. ω1/ω2 ∉ ℝ. Dann heißt die Menge \begin{eqnarray}L:={\mathbb{Z}}{\omega }_{1}+{\mathbb{Z}}{\omega }_{2}=\{m{\omega }_{1}+n{\omega }_{2}:m,n\in {\mathbb{Z}}\}\end{eqnarray} ein Gitter. Eine elliptische Funktion zum Gitter L ist eine in ℂ meromorphe Funktion f mit \begin{eqnarray}f(z+\omega )=f(z)\end{eqnarray} für alle ωL und z ∈ ℂ. Es genügt, diese Eigenschaft nur für die Erzeugenden ω1 und ω2 von L zu fordern, d. h. \begin{eqnarray}f(z+{\omega }_{1})=f(z+{\omega }_{2})=f(z)\end{eqnarray} für alle z ∈ ℂ. Die Menge L heißt auch Periodengitter von f, und die Menge \begin{eqnarray}P:=\{{t}_{1}{\omega }_{1}+{t}_{2}{\omega }_{2}:{t}_{1},{t}_{2}\in [0,1)\}\end{eqnarray} heißt Periodenparallelogramm. Jede Menge der Form \begin{eqnarray}F:=\{a+{t}_{1}{\omega }_{1}+{t}_{2}{\omega }_{2}:{t}_{1},{t}_{2}\in [0,1)\}\end{eqnarray} mit a ∈ ℂ heißt ein Fundamentalbereich des Gitters L. Das Periodenparallelogramm ist ein Fundamentalbereich, aber nicht umgekehrt.

Ist L ein Gitter und w, z ∈ ℂ mit wzL, so heißen w und z kongruent bezüglich des Gitters L. Man schreibt dafür wz (mod L).

Die grundlegenden Eigenschaften elliptischer Funktionen werden durch die Liouvilleschen Sätze beschrieben.

(1. Liouvillescher Satz): Eine elliptische Funktion ohne Polstellen ist konstant.

(2. Liouvillescher Satz): Es sei f eine elliptische Funktion zum Gitter L. Dann hat f nur endlich viele Polstellena1, …, anim Periodenparallelogramm P, und für dieResiduen gilt \begin{eqnarray}\displaystyle \sum _{v=1}^{n}\text{Res}(f,{a}_{v})=0.\end{eqnarray}

Ist f eine nichtkonstante elliptische Funktion zum Gitter L und sind a1, …, an die Polstellen von f im Periodenparallelogramm P mit den Polstellenordnungenm(f, a1), …, m(f, an), so heißt die natürliche Zahl \begin{eqnarray}\text{Ord}f:=m(f,{a}_{1})+\cdots +m(f,{a}_{n})\end{eqnarray} die Ordnung der elliptischen Funktion f. Aus dem 2. Liouvilleschen Satz folgt, daß eine nichtkonstante elliptische Funktion f im Periodenparallelogramm P mindestens zwei Polstellen oder mindestens eine mehrfache Polstelle besitzt. Insbesondere gilt Ord f ≥ 2.

(3. Liouvillescher Satz): Es sei f eine nichtkonstante elliptische Funktion zum Gitter L.

Dann nimmt f im Periodenparallelogramm P jeden Wert a ∈ ℂ genau m-mal an, wobei m = Ordf und die Vielfachheit zu berücksichtigen ist, d. h. zu jedem a ∈ ℂ gibt es genaukm verschiedene Punktez1, …, zkPmit f (zj) = a für j = 1, …, k und\begin{eqnarray}v(f,{z}_{1})+\cdots +v(f,{z}_{k})=m,\end{eqnarray}wobei v(f, zj) die Vielfachheit dera-Stelle zj bezeichnet.

Es gilt ferner der wichtige Satz:

Eine elliptische Funktion eines gegebenen Gitters ist bis aufeinemultiplikativeKonstantedurch die Angabe ihrer Pole und Nullstellen, nebst der Ordnungen, eindeutig bestimmt.

Es soll nun eine nichtkonstante elliptische Funktion f zu einem Gitter L konstruiert werden. Als einfachster Kandidat kommt eine Funktion der Ordnung 2 in Frage, und zwar

  1. eine Funktion mit genau einer Polstelle in P der Ordnung 2 und Residuum 0, oder
  2. eine Funktion mit genau zwei einfachen Polstellen in P und Residuensumme 0.

Es wird hier i.w. nur die 1. Möglichkeit betrachtet. Die Idee ist, eine unendliche Reihe der Form \begin{eqnarray}\displaystyle \sum _{\omega \in L}\frac{1}{{(z-\omega )}^{2}}\end{eqnarray} zu betrachten. Diese Reihe ist jedoch nicht konvergent. Daher fügt man sog. konvergenzerzeugende Summanden an und setzt \begin{eqnarray}\wp (z):=\frac{1}{{z}^{2}}+\displaystyle \sum _{\omega \in L\backslash \{0\}}\left[\frac{1}{{(z-\omega )}^{2}}-\frac{1}{{\omega }^{2}}\right].\end{eqnarray}

Dies ist dann tatsächlich eine elliptische Funktion mit der gewünschten Eigenschaft. Sie wurde von Weierstraß (1863) eingeführt und heißt daher auch Weierstraßsche elliptische Funktion oder Weierstraßsche ℘-Funktion. Sie ist in einem gewissen Sinne die wichtigste elliptische Funktion, und eine ausführliche Behandlung ist unter dem letztgenannten Stichwort zu finden.

Die Menge aller elliptischen Funktionen zu einem Gitter L bildet bezüglich der punktweisen Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division von Funktionen einen Körper, den man mit K(L) bezeichnet. Der Körper K(L) enthält alle konstanten Funktionen, und ist fK(L), so ist auch f′ ∈ K(L). Es ist möglich, diesen Körper algebraisch genau zu charakterisieren.

In der modernen Literatur wird die Theorie der elliptischen Funktionen in der Regel auf der Weierstraßschen ℘-Funktion aufgebaut. Der historisch erste Zugang erfolgte jedoch über die Jacobischen elliptischen Funktionen cosinus amplitudinis, delta amplitudinis und sinus amplitudinis (siehe hierzu auch das Stichwort Amplitudinis-funktion) bzw. über Thetafunktionen. Die Jacobischen elliptischen Funktionen sind Lösungen der o. g. zweiten Möglichkeit, denn sie haben genau zwei einfache Polstellen in P und Residuensumme 0.

Literatur

[1] Fischer, W.; Lieb, I.: Ausgewählte Kapitel aus der Funktionentheorie. Friedr. Vieweg&Sohn Braunschweig, 1988.

[2] Freitag, E.; Busam, R.: Funktionentheorie. Springer-Verlag Berlin, 1993.

[3] Tricomi, F.: Elliptische Funktionen. Akademische Verlagsgesellschaft Leipzig, 1948.

  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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