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Lexikon der Mathematik: Holomorphiegebiet

zentraler Begriff in der Funktionentheorie, der wie folgt definiert ist:

Ein Gebiet G ⊂ ℂ heißt das Holomorphiegebiet einer in G holomorphen Funktion f, falls für jeden Punkt z0G die Konvergenzkreisscheibe der Taylor-Reihe von f mit Entwicklungspunkt z0 in G enthalten ist.

Ist G das Holomorphiegebiet von f, so ist G das maximale Existenzgebiet von f, d. h. ist \(\hat{G}\subset {\mathbb{C}}\) ein Gebiet mit \(\hat{G}\supset G\) und \(\hat{f}\) eine in \(\hat{G}\) holomorphe Funktion mit \(\hat{f}|G=f\), so ist \(\hat{G}=G\).

Falls eine offene Kreisscheibe das maximale Existenzgebiet von f ist, so ist sie auch das Holomorphiegebiet von f.

Betrachtet man die in der geschlitzten Ebene ℂ = ℂ \ (−∞, 0] holomorphe Funktion \(f(z)=\sqrt{z}\) oder f(z) = log z, so ist ℂ das maximale Existenzgebiet, aber nicht das Holomorphiegebiet von f, denn für z0 ∈ ℂ ist \({B}_{|{z}_{0}|}({z}_{0})\) die Konvergenzkreisscheibe der Taylor-Reihe von f um z0, und für Re z0 < 0 gilt \({B}_{|{z}_{0}|}({z}_{0})\not\subset {{\mathbb{C}}}^{-}\).

Es gilt folgender Existenzsatz.

Zu jedem Gebiet G ⊂ ℂ existiert eine in G holomorphe Funktion f derart, daß G das Holomorphiegebiet von f ist.

Zur Konstruktion einer solchen Funktion f gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste stammt von Goursat. Zu ihrer Erklärung sind einige Vorbereitungen nötig. Ein Randpunkt ζ ∈ ∂G heißt sichtbar aus G, falls es eine offene Kreisscheibe VG mit ζ ∈ ∂V gibt. Die Scheibe V heißt dann Sichtkreis zu ζ. Es gibt Gebiete mit nicht sichtbaren Randpunkten; zum Beispiel sind in einem Quadrat die Eckpunkte nicht sichtbar. Eine Menge M von sichtbaren Randpunkten von G heißt gut verteilt, falls gilt: Zu jedem z0G und jeder offenen Kreisscheibe B mit Mittelpunkt z0 und B ∩ ∂G ≠ ∅ existiert in der Zusammenhangskomponente von BG, die z0 enthält, ein Sichtkreis V zu einem Punkt bMB. Ist G ≠ ℂ, so existieren stets gut verteilte, abzählbare Randmengen M ⊂ ∂G. Damit gilt folgender Satz.

Es sei G ⊂ ℂ ein Gebiet mit G ≠ ℂ und {bn : n ∈ ℕ} ⊂ ∂G eine gut verteilte, abzählbare Randmenge. Weiter sei (an) eine Folge in ℂ \ {0} mit \(\displaystyle {\sum }_{n=1}^{\infty }|{a}_{n}|\lt \infty \)und \begin{eqnarray}f(z)=\displaystyle \sum _{n=1}^{\infty }\frac{{a}_{n}}{z-{b}_{n}}.\end{eqnarray}

Dann ist diese Reihe in G normal konvergent und G ist das Holomorphiegebiet de99r Funktion f.

Bei der zweiten Möglichkeit benutzt man den Weierstraßschen Produktsatz. Dazu konstruiert man eine abzählbare Menge AG ohne Häufungspunkt in G derart, daß jeder Randpunkt ζ ∈ ∂G ein Häufungspunkt von A ist. Anschließend bestimmt man eine in G holomorphe Funktion f mit f(a) = 0 für alle aA und f(z) ≠ 0 für alle zG \ A. Dann ist G das Holomorphiegebiet von f.

Im wichtigen Fall des Einheitskreises \({\mathbb{E}}\) gibt es weitere Möglichkeiten, Funktionen f zu konstruieren, deren Holomorphiegebiet \({\mathbb{E}}\) ist. Wir listen einige davon im folgenden auf.

  1. Die Potenzreihe \(f(z)=\displaystyle {\sum }_{n=0}^{\infty }{z}^{{2}^{n}}\) hat \({\mathbb{E}}\) zum Holomorphiegebiet. Weitere Beispiele liefert der Hadamardsche Lückensatz (Hadamard, Lückensatz von).
  2. Ist \(a\in {\mathbb{E}}\) und ω ∈ ℝ \ πℚ, so ist \({\mathbb{E}}\) das Holomorphiegebiet der Goursatschen Reihe \begin{eqnarray}f(z)=\displaystyle \sum _{n=1}^{\infty }\frac{{a}_{n}}{z-{e}^{in\omega }}.\end{eqnarray}
  3. Die Potenzreihe \begin{eqnarray}f(z)=\displaystyle \sum _{n=1}^{\infty }\frac{{a}_{n}}{1-{e}^{1+in}}\end{eqnarray} hat \({\mathbb{E}}\) zum Holomorphiegebiet.
  4. Das unendliche Produkt \begin{eqnarray}f(z)=\displaystyle \prod _{n=0}^{\infty }(1-{z}^{2^n})\end{eqnarray} hat \({\mathbb{E}}\) zum Holomorphiegebiet.

Eine weitere Konstruktionsmethode liefert der folgende Liftungssatz.

Es sei \(\tilde{G}\subset {\mathbb{C}}\)ein Gebiet, φ eine ganze Funktion und G eine Zusammenhangskomponente des Urbilds \({\phi }^{-1}(\tilde{G})\). Falls \(\tilde{G}\)das Holomorphiegebiet einer Funktion \(\tilde{f}\)ist, so ist G das Holomorphiegebiet der Funktion \(f:=\tilde{f}\circ \phi |G\).

Wählt man \(\tilde{G}={\mathbb{E}}\), so kann man diesen Satz benutzen, um Funktionen f zu konstruieren, die einen Cassini-Bereich zum Holomorphiegebiet haben.

Bei der Untersuchung der Fortsetzbarkeit holomorpher Funktionen mehrerer Veränderlicher ist der Begriff des Holomorphiegebiets ebenfalls von zentraler Bedeutung. Auch hier sagt man in Analogie zum univariaten Fall, ein Bereich (bzw. Gebiet) X ⊂ ℂn heißt Holomorphiegebiet bzw. Holomorphiebereich, wenn es eine Funktion \(f\in {\mathscr{O}}(X)\) (Algebra der holomorphen Funktionen auf X) gibt, die nicht holomorph fortsetzbar in einen Punkt y außerhalb von X ist.

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  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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