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Lexikon der Mathematik: Kettenbruch

ein Ausdruck der Form \begin{eqnarray}\begin{array}{l}{b}_{0}+\frac{\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,{a}_{1}\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,}{}\\ \,\,\,\,\,\,{b}_{1}+\frac{\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,a2\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,}{}\\ \,\,\,\,\,\,\,\,\,{b}_{2}+\\ \,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\ddots \\ \,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\,\frac{{a}_{n-1}}{{b}_{n-1}+\frac{{a}_{n}}{{b}_{n}}}\\ \end{array}\end{eqnarray}

Genauer heißt der Ausdruck (1) endlicher Kettenbruch mit Anfangsglied b0, Teilzählern a1, …, an und Teilnennern b1, …, bn. Pringsheim führte dafür die suggestive Bezeichnung \begin{eqnarray}{b}_{0}+\frac{{a}_{1}|}{|{b}_{1}}+\frac{{a}_{2}|}{|{b}_{2}}+\ldots +\frac{{a}_{n}|}{|{b}_{n}}\end{eqnarray} ein. Denkt man sich einen solchen unendlich fortgesetzt, so daß die Teilzähler und die Teilnenner unendliche Folgen bilden, so spricht man von einem unendlichen Kettenbruch.

Nach Perron heißt ein endlicher oder unendlicher Kettenbruch regelmäßig, wenn die Teilzähler alle gleich 1 und die Teilnenner positive ganze Zahlen sind; nur das Anfangsglied b0 darf eine beliebige ganze Zahl sein. Für regelmäßige Kettenbrüche führte Perron die Notation \begin{eqnarray}[{b}_{0},\,{b}_{1},\ldots,{b}_{n}]\end{eqnarray} ein, die durch [b0] = b0 und \begin{eqnarray}[{b}_{0},\,{b}_{1},\ldots,{b}_{n+1}]=[{b}_{0},\,{b}_{1},\ldots,{b}_{n-1,}{b}_{n}+\frac{1}{{b}_{n+1}}]\end{eqnarray} induktiv definiert ist.

Sind pk und qk gegeben durch \begin{eqnarray}\begin{array}{lll}{p}_{0}={b}_{0},\,\,\,\,\,\, & {p}_{1}={b}_{1}{b}_{0}+1,\,\,\, & {p}_{k}={b}_{k}{p}_{k-1}+{p}_{k-2},\\ {q}_{0}=1,\,\,\, & {q}_{1}={b}_{1},\,\,\, & {q}_{k}={b}_{k}{q}_{k-1}+{q}_{k-2},\end{array}\end{eqnarray} so gilt \begin{eqnarray}[{b}_{0},\,{b}_{1},\ldots,{b}_{n}]=\frac{{p}_{n}}{{q}_{n}}.\end{eqnarray}

Das bedeutet, daß der Euklidische Algorithmus, angewandt auf ein Paar r, s natürlicher Zahlen, sukzessive die Koeffizienten einer Darstellung des Quotienten r/s als regelmäßigen Kettenbruch erzeugt.

Der Kettenbruchalgorithmus verallgemeinert nun den Euklidischen Algorithmus dahingehend, daß er auch irrationalen reellen Zahlen einen regelmäßigen Kettenbruch zuordnet. Für beliebiges x ∈ ℝ setzt man zunächst x0 = x und b0 := ⌊x0⌋, die größte ganze Zahl ≤ x0. Sind xk und bk = ⌊xk⌋ konstruiert, und ist xk keine ganze Zahl, so setzt man \begin{eqnarray}{x}_{k+1}={({x}_{k}-{b}_{k})}^{-1}\end{eqnarray}

Sobald xn eine ganze Zahl ist, bricht man die Konstruktion ab. Der Kettenbruchalgorithmus liefert so zunächst eine ganze Zahl b0 und dann endlich oder unendlich viele natürliche Zahlen bn ≥ 1. Sind b0, …, bn−1 konstruiert, so gilt \begin{eqnarray}x=[{b}_{0},\,{b}_{1},\ldots,{b}_{n+1},{x}_{n}].\end{eqnarray}

Hieraus folgt nun das älteste Irrationalitätskriterium:

Eine reelle Zahl x ist genau dann rational, wenn der Kettenbruchalgorithmus, angewandt auf x, nach endlich vielen Schritten abbricht.

Im Falle einer irrationalen Zahl x ∈ ℝ\ℚ produziert der Kettenbruchalgorithmus eine unendliche Folge (bn)n≥0 mit einem Anfangsglied b0 ∈ ℤ und bn ≥ 1 für n ≥ 1. Anhand dieses Kriteriums wurde die Existenz irrationaler Zahlen erstmals nachgewiesen (Goldener Schnitt).

Sei nun umgekehrt eine solche Folge (bn) gegeben. Für n ≥ 0 nennt man die rationale Zahl \begin{eqnarray}{B}_{n}=[{b}_{0},\ldots,{b}_{n}]\end{eqnarray} den n-ten Näherungsbruch zum unendlichen Kettenbruch [b0, b1, …]. Diese Bezeichnung ist durch folgenden Konvergenzsatz gerechtfertigt:

Ist (bn)n≥0eine Folge ganzer Zahlen mit bn ≥ 1 für n ≥ 1, so konvergiert die Folge der rationalen Zahlen (Bn)n∈ℕgegen eine irrationale reelle Zahl. Dabei ist die Teilfolge mit geraden Indizes (B2n) monoton aufsteigend, während die Teilfolge mit ungeraden Indizes (B2n+1) monoton absteigt.

Ist die Folge (bn) durch Anwendung des Kettenbruchalgorithmus auf eine Zahl x ∈ ℝ \ ℚ entstanden, so gilt limn→∞Bn = x.

Daher nennt man die Folge der Näherungsbrüche zu einer reellen Zahl x auch Kettenbruchentwicklung von x.

Für die Kettenbruchentwicklung einer reellen Zahl x gilt:

  1. Sie ist eindeutig bestimmt, wenn man bei rationalen Zahlen x = [b0, …, bn] zusätzlich fordert, daß der letzte Koeffizient bn ≥ 2 sei.
  2. Sie wird genau dann periodisch, wenn x algebraisch vom Grad ≤ 2, also Wurzel einer quadratischen Gleichung mit rationalen Koeffizienten ist.
  3. Ist \(\frac{{p}_{n}}{{q}_{n}}=[{b}_{0},\ldots,{b}_{n}]\)der (gekürzte) n-te Näherungsbruch, und ist \begin{eqnarray}\frac{p}{q}\ne \frac{{p}_{n}}{{q}_{n}}\,\,\,mit\,\,\,0\lt q\le {q}_{n},\end{eqnarray}so gilt \begin{eqnarray}|{p}_{n}-{q}_{n}x|\,\lt \,|p-qx|.\end{eqnarray}

Die letzte Aussage bedeutet, daß die Kettenbruchentwicklung in gewissem Sinn die beste Approximation einer irrationalen x durch rationale Zahlen liefert.

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  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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