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Lexikon der Mathematik: Klassifikation partieller Differentialgleichungen

Einteilung von partiellen Differentialgleichungen zweiter und höherer Ordnung zum Zweck geeigneter Lösungsfindung und für Eindeutigkeitsaussagen.

Ausgangspunkt ist die allgemeine quasilineare Gleichung der Form \begin{eqnarray}\displaystyle \sum _{ij}^{n}{a}_{ij}{u}_{{x}_{i}{x}_{j}}\,+\,F({x}_{1},\,\ldots \,,\,{x}_{n},\,u,\,{u}_{{x}_{1}},\,\ldots \,,\,{u}_{{x}_{n}})\,=\,0\end{eqnarray}

mit unbekannter Funktion u in n Koordinaten x1, …, xn in einem Gebiet G. Auch die aij können von den xi abhängen. Die auftretenden Ableitungen seien als stetig vorausgesetzt, woraus insbesondere die Symmetrie uxixj = uxjxi und somit aij = aji folgt. Zur eigentlichen Klassifikation betrachtet man die quadratische Form \begin{eqnarray}Q({\xi }_{1},\,\ldots \,,\,{\xi }_{n})\,=\,\displaystyle \sum _{i,j=1}^{n}{a}_{ij}{\xi }_{i}{\xi }_{j}\end{eqnarray}

und die Eigenwerte λi der zugehörigen, aus den aij gebildeten Matrix A, welche alle reell sind. Die Differentialgleichung heißt dann elliptisch, wenn alle λi ≠ 0 sind und dasselbe Vorzeichen haben. Sie heißt hyperbolisch, wenn alle λi ≠ 0 sind und außer genau einem dasselbe Vorzeichen haben. Sie heißt ultrahyperbolisch, falls alle λi ≠ 0 sind und mindestens je zwei positiv und negativ sind (nur möglich für n ≥ 4). Schließlich heißt sie parabolisch, wenn mindestens ein λi = 0 ist.

Falls die aij nicht konstant sind, kann der Typ innerhalb des Definitionsgebiets G variieren. Beispielsweise ist die Gleichung \begin{eqnarray}{x}_{2}{u}_{{x}_{1}{x}_{1}}\,+\,2{x}_{2}{u}_{{x}_{1}{x}_{2}}\,+\,({x}_{1}\,+\,{x}_{2}){u}_{{x}_{2}{x}_{2}}\,+\,F\,=\,0\end{eqnarray}

im ersten und dritten Quadranten der x1x2-Ebene elliptisch, im zweiten und vierten Quadranten hyperbolisch, und auf den Koordinatenachsen parabolisch. Eine solche Gleichung heißt auch von gemischtem Typ.

Für n = 2 (bzw. für Gleichungen mit konstanten Koeffizienten) läßt sich darüberhinaus eine sogenannte Normalform bestimmen, die im wesentlichen aus einer Hauptachsentransformation der Matrix A entsteht. In diesem Zusammenhang interessiert man sich für die sogenannten charakteristischen Flächen w(x1, …, xn) = 0, die die charakteristische Differentialgleichung \begin{eqnarray}\displaystyle \sum _{i.j=1}^{n}{a}_{ij}{w}_{{x}_{i}}{w}_{{x}_{j}}\,=\,0\end{eqnarray}

erfüllen. Es sind dies die einzigen Flächen, auf denen die zweiten Ableitungen von u Unstetigkeiten haben können. Beispielsweise gibt es für elliptische Gleichungen keine reellen charakteristischen Flächen. Somit sind alle ihre Lösungen glatt.

Aus der Äquivalenz der Existenz von charakteristischen Flächen mit den einzelnen Gleichungsklassen zweiter Ordnung lassen sich die Klassifizierungsbegriffe auch auf Gleichungen höherer Ordnung übertragen. Ebenso finden sich diese Begriffe bei der Klassifizierung von Systemem partieller Differentialgleichungen erster Ordnung in zwei unabhängigen Variablen der Form \begin{eqnarray}{\boldsymbol A}{\boldsymbol{u}}_{x}\,+\,{\boldsymbol B}{\boldsymbol u}_{y}\,=\,{\boldsymbol C \boldsymbol u}\,+\,{\boldsymbol d}\,,\end{eqnarray}

wobei A, B und C (n × n)-Matrixfunktionen der Variablen x und y sind und d und u Vektorfunktionen der Dimension n. Ist etwa B regulär, so kann die Gleichung mit B−1 multipliziert werden und man kann o.B.d.A. von einer Gleichung der Form \begin{eqnarray}{\boldsymbol u}_{y}\,+\,{\boldsymbol A}{\boldsymbol u}_{x}\,=\,{\boldsymbol C \boldsymbol u}\,+\,\boldsymbol d\end{eqnarray}

ausgehen, nach der sich das System wie folgt klassifizieren läßt: Falls alle Eigenwerte von A reell sind und es n linear unabhängige Eigenvektoren dazu gibt, dann heißt das System hyperbolisch. Falls es mehrfache reelle Eigenwerte und weniger als n linear unabhängige Eigenvektoren gibt, heißt das System parabolisch. Falls alle Eigenwerte komplex sind, heißt das System elliptisch. Im Falle, daß B singulär ist (und damit nicht invertierbar), kommt man zu analogen Definitionen durch Betrachtung des verallgemeinerten Eigenwertproblems.

Eine weitere Art der Klassifikation, die unabhängig von der bisher betrachteten ist, kommt aus der Stabilitätstheorie partieller Differentialgleichungen. Dabei betrachtet man zunächst lineare homogene Gleichungen zweiter Ordnung in zwei Variablen der Form \begin{eqnarray}A{u}_{xx}\,+\,2B{u}_{xt}\,+\,C{u}_{tt}\,+\,D{u}_{x}\,+\,E{u}_{t}\,+\,Fu\,=\,0\end{eqnarray}

mit reellen Konstanten A, B, …, F. Gesucht seien exponentielle Lösungen der Form \begin{eqnarray}u(x,\,t)\,=\,a(k){e}^{ikx+\lambda (k)t}\end{eqnarray}

mit reellem Parameter k, konstantem a(k) und zu wählendem λ(k). Untersucht wird das Verhalten für wachsendes t, wofür sich der Term Re λ(k) als der bestimmende erweist. Setzt man \begin{eqnarray}\unicode{x003A9}\,\,:=\,\mathrm{lub}\,\mathrm{Re}\,\lambda (k)\end{eqnarray}

(lub=größte obere Schranke) als den sogenannten Stabilitätsindex, so nennt man eine Gleichung instabil, falls (Ω > 0; stabil, falls (Ω < 0; neutral stabil, falls Ω = 0; konservativ, falls Re λ(k) = 0 für alle k; dispersiv, falls sie konservativ ist und die zweite Ableitung von Im λ(k) nicht verschwindet; dissipativ, falls Ω ≤ 0 und Re λ(k) < 0 bis auf endlich viele k. Diese Unterscheidungen lassen sich auf lineare Gleichungen höherer Ordnung und auf Systeme mit konstanten Koeffizienten erweitern.

[1] John, F.: Partial Differential Equations. Springer-Verlag, New York, 1986.
[2] Zauderer, E.: Partial Differential Equations and Applied Mathematics. John Wiley & Sons, New York, 1989.

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  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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