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Lexikon der Mathematik: Modelltheorie

Die Modelltheorie bezeichnet ein Grenzgebiet zwischen mathematischer Logik und universeller Algebra bzw. allgemeiner Strukturtheorie, wo insbesondere die Beziehungen zwischen (problemorientierten) formalen Sprachen und den sie interpretierenden (Interpretation) Strukturen studiert werden.

Aufgrund der „gut handhabbaren“ Eigenschaften der elementaren Prädikatenlogik, bei der nur Elemente, nicht aber gleichzeitig Elemente und Mengen von Elementen quantifiziert werden dürfen, untersucht die Modelltheorie vorwiegend solche Probleme, die sich in elementaren Sprachen formulieren lassen. Sie benutzt jedoch dort, wo es hilfreich erscheint, auch erweiterte Sprachen (mathematische Logik). Insbesondere geht es in der Modelltheorie um Fragen nach den möglichen Modellen formalisierter Theorien (elementare Sprache) oder um Klassen von Strukturen mit bestimmten Eigenschaften, die sich als Modellklassen solcher Theorien charakterisieren lassen. Es werden u. a. Methoden und Verfahren entwickelt, mit denen sich aus vorhandenen Modellen neue Modelle konstruieren oder ihre Existenz beweisen lassen.

Die Modelltheorie befaßt sich prinzipiell mit den gleichen Fragestellungen wie andere Teilgebiete der Mathematik (insbesondere Algebra), jedoch mit der Einschränkung, daß sich die aufgeworfenen Probleme in einer geeigneten formalen Sprache formulieren lassen, und daß zur Lösung der Probleme Hilfsmittel und Methoden der mathematischen Logik hilfreich erscheinen.

Bei sog. nicht-elementaren Sprachen, die eben-falls für modelltheoretische Untersuchungen herangezogen werden, kommen zu den Ausdrucksmitteln der elementaren Sprache weitere hinzu, sodaß die Ausdrucksfähigkeit der Sprache erhöht wird. Die Verbesserung der Ausdrucksfähigkeit wird jedoch „erkauft“ mit dem Verlust wichtiger modelltheoretischer Hilfsmittel (wie z. B. Kompaktheitssatz), die für erweiterte Sprachen im allgemeinen nicht mehr zur Verfügung stehen.

Im wesentlichen gibt es drei Methoden, die Ausdrucksfähigkeit der elementaren Sprachen zu erhöhen. Erstens können unendlich lange Zeichenreihen als Ausdrücke zugelassen sein, man erhält auf diese Weise infinitäre Sprachen (infinitäre Logik). Des weiteren kann neben der Quantifizierung von Elementen auch die von Mengen, Relationen und Funktionen zugelassen sein. Dies führt zu Logiken höherer Stufe (Prädikatenlogik höherer Stufe). Schließlich können zu den üblichen Grundzeichen noch weitere Quantoren hinzugenommen werden, wie z. B. „es gibt unendlich viele, es gibt höchstens endlich viele, es gibt überabzählbar viele“ (mathematische Logik).

Da erweiterte Sprachen aufgrund ihrer relativ schwerfälligen Handhabung nur geringen Einfluß auf die allgemeine Entwicklung der Modelltheorie ausübten, beschränken wir uns jetzt auf elementare Sprachen (auch Sprachen erster Stufe oder erster Ordnung genannt), woraus sich auch die Bezeichnung elementare Modelltheorie oder Modelltheorie erster Stufe oder erster Ordnung ableitet.

In einer elementaren Sprache L sind die Ausdrücke oder L-Formeln über einem Alphabet gebildet, das aus den folgenden Grundzeichen besteht.

  1. Individuenvariablen: x1, x2, x3, ,
  2. Funktionszeichen: f1, f2, f3, ,
  3. Relationszeichen: R1, R2, R3,
  4. Individuenzeichen: c1, c2, c3,
  5. logische Zeichen: ¬, ∧, ∨, →, ↔, ∃, ∀, =,
  6. technische Zeichen: (,).

Die Menge der Individuenvariablen ist stets abzählbar, von den Funktions-, Relations- und Individuenzeichen können in L beliebig viele (endlich viele, abzählbar oder auch überabzählbar viele) vorkommen. Aus diesen Grundzeichen werden durch Aneinanderreihung endliche Zeichenreihen gebildet. Nur bestimmte Zeichenreihen sind sinnvoll, sie werden induktiv als Menge der Terme bzw. der Ausdrücke von L ausgesondert. Elementare Sprachen sind geeignet, Aussagen über algebraische Strukturen zu machen. Dies setzt voraus, daß die Sprache Namen für die Objekte der Struktur enthält. Ist A = ⟨ A, FA, RR, CA⟩ eine algebraische Struktur, dann enthält eine für A geeignete elementare Sprache für jede Funktion \({f}_{i}^{A}\in {F}^{A}\) ein Funktionszeichen fi ( fi ist ein Name für die Funktion \({f}_{i}^{A}\) ), für jede Relation \({R}_{i}^{A}\in {R}^{A}\) ein Relationszeichen Ri und für jedes Element \({c}_{i}^{A}\in {C}^{A}\) ein Individuenzeichen oder Konstantensymbol ci. Funktions- und Relationszeichen sind mit den gleichen Stellenzahlen versehen wie die entsprechenden Objekte (Funktionen bzw. Relationen), die durch sie bezeichnet werden.

Das Tripel σ = (Fσ, Rσ, Cσ ), bestehend aus den Familien Fσ bzw. Rσ aller Stellenzahlen der Funktions- bzw. Relationszeichen und der Anzahl Cσ aller Individuenzeichen von L, heißt Signatur von 𝒜. Stimmt die Signatur einer gegebenen algebraischen Struktur 𝒜 mit der der elementaren Sprache L überein, dann ist die Sprache geeig-net, um Aussagen über die Struktur zu formulieren. Werden den Funktions-, Relations- und Individuenzeichen entsprechende Funktionen, Relationen bzw. Elemente aus CA zugeordnet, dann ist die Sprache in der Struktur interpretiert (oder 𝒜 ist eine Interpretation von L). Verschiedene elementare Sprachen unterscheiden sich höchstens in den Funktions-, Relations- und Individuenzeichen, die häufig die nichtlogischen Zeichen genannt werden. Die Individuenvariablen variieren immer über dem Individuenbereich von 𝒜, die Gleichheit wird in der Regel zu den logischen Zeichen gezählt, da sie stets als Identität aufgefaßt wird und damit in jeder Struktur vorhanden ist. Terme (oder L-Terme) werden wie folgt induktiv definiert:

  1. Alle Individuenvariablen und Individuenzeichen sind Terme.
  2. Ist f ein n-stelliges Funktionszeichen und sind t1, …, tn Terme, dann ist f(t1, …, tn) ein Term.
  3. Keine weiteren Zeichenreihen sind Terme.

Beispiele für Terme sind (x+y) · z, a·x2 +b·x+c. Mit Hilfe der Terme werden Ausdrücke (oder L-Formeln) induktiv definiert:

  1. Ist R ein n-stelliges Relationszeichen und sind t1, …, tn Terme, dann ist R(t1, …, tn) ein Ausdruck; weiterhin sind Termgleichungen der Gestalt t1 = t2 Ausdrücke. (Zeichenreihen dieser Art sind als Ausdrücke nicht weiter zerlegbar, sie heißen daher atomare oder prädikative Ausdrücke oder Atomformeln).
  2. Sind φ und ψ Ausdrücke, dann sind auch ¬φ, φψ, φψ, φψ, φψ Ausdrücke.
  3. Ist φ ein Ausdruck, in dem die Zeichenreihen ∃x oder ∀x nicht vorkommen, dann sind auch ∃ und ∀ Ausdrücke.
  4. Keine weiteren Zeichenreihen sind Ausdrücke.

Elementare Sprachen sind dadurch charakterisiert, daß sie Quantifizierungen nur für Elemente und nicht zugleich für beliebige Teilmengen von Elementen zulassen. Zur Quantifizierung von Elementen und Mengen benutzt man Sprachen zweiter Stufe.

Aussagen sind spezielle Ausdrücke, die keine freien Variablen enthalten. Über die Kompliziertheit eines Ausdrucks wird das freie Auftreten einer Variablen induktiv definiert. Die Individuenvariable x kommt in dem Ausdruck φ genau dann frei vor, wenn

  1. φ atomar ist und x in φ vorkommt, oder
  2. φ die Gestalt ¬ψ besitzt und x in ψ frei vorkommt, oder
  3. φ die Gestalt ψχ, ψχ, ψχ oder ψχ besitzt und x in ψ oder χ frei vorkommt, oder
  4. φ die Gestalt ∃ oder ∀ besitzt, und x in ψ frei vorkommt und x, y verschiedene Individuenvariablen sind.

In dem Ausdruck ∃x(x > 0 ∧ x + y = z) kommen z. B. die Variablen y, z frei vor, und x ist durch den Quantor ∃ gebunden. Das freie Vorkommen von x in φ wird durch φ(x) gekennzeichnet.

Die Gültigkeit einer Aussage φ aus einer Sprache L in einer Struktur 𝒜 gleicher Signatur wird wiederum induktiv definiert. Dazu wird L durch Hinzunahme neuer Individuenzeichen zu L(𝒜) erweitert, und zwar wird für jedes Element a der Trägermenge von A ein Zeichen a zu L hinzugenommen (a ist ein Name für das Element a). Ein Element darf auch zwei Namen tragen, wenn es für a in L schon einen Namen gab. Die Gültigkeit von φ in der Struktur A wird gekennzeichnet durch Aφ. Damit definiert man:

  1. Ist φ eine atomare Aussage, dann ist𝒜 ⊨ φ schon durch die Interpretation definiert.
  2. 𝒜 ⊨ ¬φφ gilt nicht in 𝒜,𝒜 ⊨ φψ ⇔ 𝒜 ⊨ φ und 𝒜 ⊨ φ,𝒜 ⊨ φψ ⇔ 𝒜 ⊨ φ oder 𝒜 ⊨ φ,𝒜 ⊨ φψ ⇔ wenn 𝒜 ⊨ φ, so 𝒜 ⊨ φ,𝒜 ⊨ φψ ⇔ 𝒜 ⊨ φ genau dann, wenn 𝒜 ⊨ φ.
  3. 𝒜 ⊨ ∃(x) ⇔ es gibt ein Element a in 𝒜, so daß 𝒜 ⊨ φ(a),𝒜 ⊨ ∀ (x) ⇔ für alle Elemente a in 𝒜 ist 𝒜 ⊨ φ(a).

Damit sind die Konnektoren ¬, ∧, ∨, →, ↔ und die Quantoren ∃, ∀ der Reihe nach als Negation, Konjunktion, Alternative, Implikation, Äquivalenz, Existenzquantor und Allquantor interpretiert. Ein Ausdruck φ(x1, …, xn) ist in A gültig, wenn \(A\models \phi (\underline{a}_{1},\ldots,{\underline{a}}_{n})\) für alle Elemente a1, …, an in 𝒜 zutrifft, d. h., wenn die Aussage ∀x1 … ∀xnφ(x1, …, xn) in 𝒜 gilt. Eine Menge T von Ausdrücken oder Aussagen aus L, die deduktiv abgeschlossen ist (deduktiver Abschluß), heißt elementare Theorie. Ist z. B. &Sgr; die Menge der Körperaxiome, formuliert in der Sprache L der Körper, dann ist T ={φ : &Sgr;φ} die elementare Theorie der Körper.

Ist T eine in L formulierte Theorie und 𝒜 eine Struktur für L, d. h., 𝒜 und L besitzen die gleiche Signatur, dann ist 𝒜 ein Modell von T, falls alle Aussagen oder Ausdrücke aus T in 𝒜 gültig sind (im Zeichen 𝒜 ⊨ T).

Einige typische Beispiele für klassische Theoreme der Modelltheorie sind:

  1. Wenn X, Y ∈ 𝒰, so XY ∈ 𝒰.
  2. Wenn X ∈ 𝒰 und XYI, so Y ∈ 𝒰.
  3. Für jede Teilmenge XI ist entweder X ∈ 𝒰 oder IX ∈ 𝒰.

Ist 𝒜i die Trägermenge der Struktur 𝒜i, dann ist das kartesische Produkt \(A=\displaystyle {\prod }_{i\in I}{A}_{i}\) (:= Menge aller Auswahlfunktionen \(g:\{{A}_{i}:i\in I\}\to \displaystyle {\cup }_{i\in I}{A}_{i}\)mit g(Ai) ∈ Ai) die Trägermenge des direkten Produkts \(A=\displaystyle {\prod }_{i\in I}{A}_{i}\) oder kurz \(A=\displaystyle {\prod }_{i\in I}{A}_{i}\), deren Operationen und Relationen wie folgt definiert sind:

Sind f und Rn-stellige Funktions- bzw. Relationszeichen in L und \({f}^{{A}_{i}}\) bzw. \({R}^{{A}_{i}}\) die entsprechenden Interpretationen in Ai, und ist \(\overline{a}\) := (a1, …, an) mit \(\overline{a}\) (i) = (a1(i),…,an(i)), dann definiert man:

\begin{eqnarray}\begin{array}{l}\begin{array}{ll}{f}^{A}(\overline{a})=b\iff {f}^{{A}_{i}}(\overline{a}(i))=b(i) & \text{und}\end{array}\\ {R}^{A}(\overline{a})\iff \pm {R}^{{A}_{i}}(\overline{a}(i))\end{array}\end{eqnarray}

für alle a1, …, an, bA und alle iI.

In dem kartesischen Produkt A wird bezüglich des Ultrafilters 𝒰 eine Äquivalenzrelation ∼ eingeführt, so daß für alle a, bA gilt:

\begin{eqnarray}a\sim b \iff \{i\in I:a(i)=b(i)\}\in U.\end{eqnarray}

Die Menge der entsprechenden Äquivalenzklassen sei A/𝒰, die Elemente aus A/𝒰 werden mit a/𝒰 bezeichnet und a/𝒰 sei das Tupel (a1/𝒰, …, an/𝒰). Aus A/𝒰 entsteht eine L-Struktur A/𝒰 = E Ai/𝒰, indem man festlegt, daß

\begin{eqnarray}\begin{array}{l}{f}^{A/U}(\bar{a}/U)=b/U\iff \\ \begin{array}{ll}\{i\in I:{f}^{{A}_{i}}(\bar{a}(i))=b(i)\}\in U & \text{und}\end{array}\\ {R}^{A/U}(\bar{a}/U)\iff \{i\in I:{R}^{{A}_{i}}(\bar{a}(i))\}\in U.\end{array}\end{eqnarray}

Die so definierte Struktur \(\displaystyle \prod {A}_{i}/U\) heißt Ultra-produkt der 𝒜i bezüglich des Ultrafilters 𝒰. Sind alle Strukturen 𝒜i untereinander gleich, dann nennt man das Ultraprodukt auch Ultrapotenz. Ultraprodukte und Ultrapotenzen verdanken ihre Bedeutung dem folgenden Satz von Los:

Sei {Ai : iI} eine Familie von L-Strukturen und 𝒰 ein Ultrafilter über I. Für alle Ausdrücke φ(x1, …, xn) und alle Elemente \({a}_{1},\ldots,{a}_{n}\in \displaystyle \prod {A}_{i}\)gilt dann:

\begin{eqnarray}\begin{array}{l}\displaystyle \prod {A}_{i}/U|=\phi ({a}_{1}/U,\ldots,{a}_{n}/U)\\ \iff \{i\in I:{A}_{i}|=\phi ({a}_{1}(i),\ldots,{a}_{n}(i))\}\in U.\end{array}\end{eqnarray}

Sind alle 𝒜i zueinander elementar äquivalent, dann ist \(\displaystyle \prod \mathcal{A}_{i}/\mathcal{U}\equiv \mathcal{A}_{j}\)für jedes j ∈ I.

Ultrapotenzen eignen sich hervorragend zur Konstruktion sog. Nichtstandard-Modelle. Ist z. B. ℕ = ⟨ N, +, ·, <,0, 1⟩ das Standardmodell für die Arithmetik (:= die Menge der natürlichen Zahlen mit den üblichen Operationen und der Kleiner-Relation), besteht die Indexmenge I ebenfalls aus der Menge der natürlichen Zahlen, und ist 𝒰 ein Ultrafilter über I, der kein Hauptfilter ist, der also nicht von einer Menge erzeugt wird, dann ist die Ultrapotenz \({{\mathbb{N}}}^{* }:=\displaystyle {\prod }_{i\in N}{\mathbb{N}}/U\) nicht archimedisch geordnet und damit nicht isomorph zu ℕ, jedoch sind ℕ und ℕ elementar äquivalent. Um elementare Eigenschaften für ℕ zu studieren, können die entsprechenden Eigenschaften an dem völlig anders gestalteten Nichtstandard-Modell untersucht und mittels der elementaren Äquivalenz auf ℕ übertragen werden.

Völlig analog lassen sich auch Nichtstandard-Modelle für andere Theorien, etwa für die Analysis, gewinnen. Hieraus ist ein völlig neuer Zweig der Analysis, die Nichtstandard-Analysis, entstanden.

Literatur

[1] Baldwin, J.T.: Fundamentals of Stability Theory, Perspectives in Math. Logic. Springer-Verlag New York, 1988.

[2] Barwise, J.: Handbook of Mathematical Logic, Vol. 90. North-Holland Amsterdam/New York/Oxford, 1977.

[3] Bell, J.L.; Slomson, A.B.: Models and Ultraproducts. An Introduction. North-Holland Amsterdam/London, 1969.

[4] Chang, C.C.; Keisler, H.J.: Model Theory. Studies in Logic and the Foundations of Mathematics, Vol. 73. North-Holland Amsterdam, 1973.

[5] Cherlin, G.: Model-Theoretic Algebra. Lecture Notes in Mathematics 521, Springer Berlin, 1976.

[6] Prest, M.: Model Theory and Modules. London Math. Lecture Notes series 130, Cambridge University Press, 1988.

[7] Shoenfield, J.R.: Mathematical Logic. Addison Wesley Reading (Massachusetts), 1967.

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  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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