Direkt zum Inhalt

Lexikon der Mathematik: Prämienkalkulationsprinzipien

Kalkulationsregeln, nach denen Prämien für ein gegebenes Risiko berechnet werden.

Beschreibt man, wie in der Risikotheorie üblich, Risiken durch nichtnegative Zufallsvariable auf einem Wahrscheinlichkeitsraum, so ist ein Prämienberechnungsprinzip ein nichtnegatives Funktional H auf der Menge der nichtnegativen Zufallsvariablen X.

Alle gängigen Prämienprinzipien erfüllen folgende Eigenschaften:

(E1) H(X) ≥ E(X), d. h., die Prämie besitzt einen nichtnegativen Sicherheitszuschlag zu der sogenannten Nettorisikoprämie oder einfach Nettoprämie, die durch den Erwartungswert E(X) des Risikos X definiert ist.

(E2) H(X) ≤ inf {x|P(Xx) = 1}, d. h., die Prämie übersteigt nicht den Maximalschaden.

Im Fall der Gleichheit in (E2) spricht man vom Maximalschadenprinzip oder auch von dem Prinzip des maximalen Schadens. Gilt für die Verteilungsfunktion F(x) := P(Xx) von X \begin{eqnarray}H(X)\ =\ {F}^{-1}\ (1\ -\ \varepsilon )\end{eqnarray} mit einem festen ε > 0, so erhält man H(X) als das Infimum der (1 − ε)-Quantile, und damit das sogenannte Perzentil-Prinzip: Dieses ist gerade so bemessen, daß die Wahrscheinlichkeit dafür, daß der tatsächliche Schaden die Prämie übersteigt, nicht größer als ε ist.

Berechnet sich der nach (E1) berechnete Sicherheitszuschlag zur Nettorisikoprämie für das einzelne Risiko X als konstantes Vielfaches des Erwartungswertes, heißt H(X) Erwartungswertprinzip, berechnet er sich als Vielfaches der Standard-abweichung (bzw. der Varianz) von X, spricht man von einem Standardabweichungs- bzw. Varianz-Prinzip.

Das Esscher-Prinzip berechnet die Prämie für die ein Risiko repräsentierende Zufallsvariable X zu \begin{eqnarray}\frac{E(X\ \cdot \ {e}^{cX})}{E({e}^{cX})}\end{eqnarray} mit c > 0, d. h. man berechnet den Erwartungswert der Zufallsvariablen Xc, die sich aus X durch Anwendung der Esscher-Transformation zum Parameter c ergibt.

Neben den oben beispielhaft erwähnten explizit angegebenen Kalkulationsprinzipien existieren auch eine Reihe von implizit definierten Prämienprinzipien, wie beispielsweise die folgenden:

  • Das Nullnutzen-Prinzip: Man unterstellt, daß der Versicherer seine ökonomischen Entscheidungen unter Verwendung einer Nutzenfunktion trifft. Gegeben sei also eine zweimal differenzierbare Nutzenfunktion u auf ℝ. Die sogenannte Nullnutzen-Prämie berechnet sich dann aus der Forderung, daß der erwartete Nutzen der Einkünfte des Versicherers nach Übernahme des Risikos X für die Prämie H(X) mit dem Nutzen bei Nichtübernahme identisch sein sollte: \begin{eqnarray}E(u(H(X)\ -\ X))\ =\ u(0).\end{eqnarray} Für die spezielle Nutzenfunktionen \begin{eqnarray}u(x)\ =\ \frac{(1\ -\ \exp (-ax))}{a}\end{eqnarray} mit a > 0 ergibt sich das Exponential-Prinzip.
  • Das Orlicz-Prinzip: Zu einer gegebenen Funktion ϕ mit ϕ′ > 0, ϕ ≥ 0, berechnet sich die Prämie für das Risiko X nach der Gleichung \begin{eqnarray}E(\phi (X/H(X)))\ =\ \phi (1).\end{eqnarray}
  • Das Schweizer Prinzip: Zu einer gegebenen Funktion v mit v′ > 0, v ≥ 0 und 0 ≤ z ≤ 1 berechnet sich die Prämie für das Risiko X nach der Gleichung \begin{eqnarray}E(v(X\ -zH(X)))\ =\ v((1\ -\ z)H(X)).\end{eqnarray} Im Spezialfall z = 0 ergibt sich das sogenannte Mittelwertprinzip (auch Sicherheitsäquivalentprinzip): \begin{eqnarray}H(X)\ =\ {v}^{-1}\ (E(v(X))).\end{eqnarray}
  • In der Risikotheorie werden wünschenswerte Eigenschaften wie z. B. die Additivität oder die Robustheit der Kalkulationsprinzipien studiert. Bei der Frage nach der Robustheit geht es etwa darum, daß Prämienprinzipien unempfindlich gegen statistische Ausreißer, aber auch gegen Schätz- und Prognosefehler anderer Art sind. Interessant ist, daß das Esscher-Prinzip aus einem ökonomischen Gleichgewichtsmodell gewonnen werden kann.

    In der Literatur besteht allerdings keine Einigkeit darüber, nach welchen Kriterien man die Güte eines Kalkulationsprinzips beurteilen soll. Angewendet werden einige der oben beschriebenen Prämienkalkulationsprinzipien in der Schadenversicherung. Andere in der klassischen Personenversicherung benutzte Verfahren zur Erhebung von Sicherheitszuschlägen, wie zum Beispiel die Alterserhöhung bei der Prämienberechnung von Todes- oder Erlebensfallversicherungen, haben allerdings meist keine stringente risikotheoretische Begründung.

    [1] Goovaerts, M.J.; de Vylder, F.; Haesendonck, H.: Insurance Premiums. North Holland Amsterdam, 1984.
    [2] Heilmann, W.-R.: Grundbegriffe der Risikotheorie., Karlsruhe 1987.

    Schreiben Sie uns!

    Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

    • Die Autoren
    - Prof. Dr. Guido Walz

    Partnerinhalte

    Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.