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Lexikon der Mathematik: pseudoeuklidische Geometrie

die Geometrie eines pseudoeuklidischen Raumes.

Darunter versteht man die Gesamtheit von geometrischen Begriffen, Eigenschaften und Beziehungen, die aus den nicht ausgearteten symmetrischen Bilinearformen B : ℝn × ℝn → ℝ hergeleitet werden.

Als Standardbeispiele nicht ausgearteter symmetrischer Bilinearformen dienen die für \({{\mathfrak{x}}}\) = (x1 …, xn), 𝔶 = (y1 …, yn) durch \begin{eqnarray}{B}^{(k)}({\mathfrak{x}},{\mathfrak{y}})=\displaystyle \sum _{i=1}^{n-k}{x}_{i}{y}_{i}-\displaystyle \sum _{j=n-k+1}^{n}{x}_{j}{y}_{j},\end{eqnarray}

gegebenen symmetrischen Bilinearformen.

Ist eine umkehrbar eindeutige lineare Abbildung f: ℝn → ℝn gegeben, so definiert man mit \begin{eqnarray}(f* (B))({\mathfrak{x}},{\mathfrak{y}})=B(f({\mathfrak{x}}),f({\mathfrak{y}}))\end{eqnarray}

eine neue symmetrische Bilinearform, die man mit f(B) bezeichnet. Dann unterscheiden sich die geometrischen Eigenschaften von B und f(B) nur in ihrer analytischen Darstellung, und man kann B und f(B) als äquivalent ansehen. Nach dem Trägheitssatz von Sylvester gibt es immer eine eindeutig bestimmte natürliche Zahl k mit 0 ≤ kn und eine lineare Transformation f ∈ GL(ℝ, n) derart, daß f(B) = B(k) ist. Man nennt k den Index von B.

Präziser wird der Begriff ’Geometrie’ im Erlanger Programm von Felix Klein definiert, demzufolge die verschiedenen Geometrien, z. B. euklidische, affine oder konforme Geometrie, durch die jeweilige Gruppe, d. h., die euklidische, affine oder konforme bestimmt werden.

Ist G eine Lie-Gruppe und M eine Mannigfaltigkeit, so nennt man eine differenzierbare Abbildung \begin{eqnarray}w:(g,x)\in G\times M\to w(g,x)=g\cdot x\in M\end{eqnarray}

eine Gruppenwirkung von G auf M, wenn e · x = x für das Einselement eG und g · (h · x) = (g h) · x für alle g, hG und alle xM gilt. So operiert z. B. O(n, k) auf ℝn durch die Matrizenmultiplikation. Aus dieser Wirkung leiten sich Wirkungen von G auf vielen anderen Räumen ab, z. B. auf kartesischen Produkten ℝn × · · · × ℝn, auf der Menge aller Funktionen auf ℝn oder auf der Menge aller linearen Unterräume von ℝn.

Jede Lie-Gruppe G bestimmt eine Kategorie, in der die Objekte die aus einer Mannigfaltgkeit M und einer Gruppenwirkung „·“ von G bestehenden Paare (M, ·), und deren Morphismen alle G-äquvarianten Abbildungen zwischen derartigen Paaren (M1, ·) und (M2, ·) sind.

Die Geometrie einer Gruppe G ist nach Felix Klein die Theorie der Invarianten dieser Wirkungen. Speziell ist die pseudoeuklidische Geometrie die Theorie der Invarianten der pseudoorthogonalen Gruppe \begin{eqnarray}O(n,k)=\text{O}({B}^{(k)})\subset \text{GL}(n,{\mathbb{R}})\end{eqnarray}

der linearen isometrischen Transformationen von B(k).

(ℝ2)3 kann man beispielsweise als die Menge aller Dreiecke, ausgeartete Dreiecke eingeschlossen, der pseudoeuklidischen Ebene ansehen. Die pseudoeuklidische Geometrie von (ℝ2)3 sucht, ähnlich wie die klassische Euklidische Dreiecksgeometrie, nach Invarianten von Dreiecken, d. h., nach Funktionen auf (ℝ2)3, die bei den durch O(2, 1) definierten Bewegungen invariant sind

O(n, k) läßt man auf der Graßmannschen Mannigfaltigkeit Grk(ℝn) operieren, indem man einer Transformation g ∈ O(n, k) und einem Unterraum U ∈ Grk(ℝn)den neuen Unterraum g(U) ∈ Grk(ℝn) zuordnet.

Eine Abbildung I : Grk(ℝn) → M in eine andere Menge M derart, daß die Gleichung I(U) = I(g(U)) für alle g ∈ O(n, k) und alle U ∈ Grk(ℝn) gilt, heißt Invariante.

Eine Menge I1, …, Ik von Invarianten heißt vollständiges Invariantensystem, wenn für alle U, V ∈ Grk(ℝn) die Gleichung Ij(U) = Ij(V) notwendige und hinreichende Bedingung für die Existenz einer pseudoeuklidischen Transformation g ∈ O(n, k) mit g(U) = V ist.

Das orthogonale Komplement U eines Unterraumes U ∈ Grk(ℝn) ist ein Element aus Grnk(ℝn). Er besteht aus allen Vektoren von ℝn, die zu allen Vektoren von U orthogonal sind, d. h., aus allen Vektoren \({{\mathfrak{x}}}\) ∈ ℝn mit B(k)(\({{\mathfrak{x}}}\), 𝔶) = 0 für alle 𝔶 ∈ U.

Im Gegensatz zur Euklidischen Geometrie ist ℝn nicht immer gleich der direkten Summe UU, es kann vielmehr der Fall eintreten, daß UU ≠ {0} ist.

Ein Unterraum U0 ⊂ ℝn heißt isotrop oder lichtartig, wenn die Einschränkung der Bilinearform B(k) auf U0 Null ergibt. Es gilt:

Die maximale Dimension eines in bezug auf die Bilinearform B(k)isotropen Unterraumes vonn ist gleich dem Minimum der beiden Zahlen k und nk.

Der Durchschnitt rad(U) = UU ist ein isotroper Unterraum, der zu ganz U orthogonal ist. B(k) induziert auf dem Faktorraum U/rad(U) eine nicht ausgeartete symmetrische Bilinearform, deren Index eine von U abhängende ganze Zahl ist, genannt der Index des Unterraumes U.

Als Defekt von U definiert man die Dimension von rad(U). Defekt und Index sind Beispiele für ein vollständiges Invariantensystem.

[1] Klein, Felix: Vergleichende Betrachtungen über neuere geometrische Forschungen. Mathematische Annalen, 1893.

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  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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