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Lexikon der Mathematik: pseudoeuklidischer Raum

Tripel (A, V, ⟨,⟩) aus einem affinen Punktraum A, dem zugehörigen Vektorraum V und einer indefiniten symmetrischen Bilinearform ⟨,⟩, d. h. einer symmetrischen Bilinearform mit folgender Eigenschaft: Es existieren Vektoren \(\overrightarrow{x}\in \rm{V}\,\text{mit}\,\langle \overrightarrow{x},\overrightarrow{x}\rangle \gt 0\) und Vektoren \(\overrightarrow{y}\in \rm{V}\,\text{mit}\,\langle \overrightarrow{y},\overrightarrow{y}\rangle \lt 0\).

Hat V endliche Dimension n, so kann man V durch die Wahl einer beliebigen Basis mit dem n-dimensionalen Zahlenraum ℝn, und die symmetrische Bilinearform mit einer symmetrischen, nicht ausgearteten Bilinearform \(\tilde{B}\) auf ℝn identifizieren. Die Werte von \(\tilde{B}\) auf den Vektoren der kanonischen Basis 𝔢1, …, 𝔢n von ℝn bilden eine symmetrische Matrix \begin{eqnarray} {\mathcal B} ={(\tilde{B}({{\mathfrak{e}}}_{i},{{\mathfrak{e}}}_{j}))}_{i,j=1,\ldots, n}\end{eqnarray}

mit det(\({{\mathcal{B}}}\)) ≠ 0. Die Bilinearform \(\tilde{B}\) wird aus B über die Gleichung \(\tilde{B}({\mathfrak{x}},{\mathfrak{y}})={{\mathfrak{x}}}^{\text{T}} {\mathcal B} {\mathfrak{y}}\) als Matrizenprodukt zurückgewonnen, wobei \({{\mathfrak{x}}}\), 𝔶 ∈ ℝn als Spaltenvektoren der Länge n angesehen werden.

\({{\mathcal{B}}}\) besitzt als symmetrische Matrix nur reelle Eigenwerte. Es existieren Basen 𝔣1, …, 𝔣n derart, daß die Matrix \(\tilde{B}({{\mathfrak{f}}}_{i},{{\mathfrak{f}}}_{j})\) Diagonalgestalt hat und in der Hauptdiagonalen nur mit Elementen der Form

±1 besetzt ist. Solche Basen heißen auch pseudoorthonormiert.

Eine indefinite symmetrische Bilinearform innerhalb des ℝ3 wird beispielsweise durch \begin{eqnarray}\begin{array}{lllll}\langle (1,0,0),(1,0,0)\rangle & = & 1, & \langle (0,1,0),(0,1,0)\rangle & =1,\\ \langle (0,0,1),(0,0,1)\rangle & = & -1, & \langle (1,0,0),(0,1,0)\rangle & =0,\\ \langle (1,0,0),(0,0,1)\rangle & = & 0, & \langle (0,1,0),(0,0,1)\rangle & =0\end{array}\end{eqnarray}

gegeben. Bezüglich dieser Bilinearform ergibt sich für das Produkt zweier Vektoren \({\overrightarrow{x}}_{1}=({x}_{1},{y}_{1},{z}_{1})\) und \({\overrightarrow{x}}_{2}=({x}_{2},{y}_{2},{z}_{2})\) : \begin{eqnarray}\begin{array}{cc}\langle {\overrightarrow{x}}_{1},{\overrightarrow{x}}_{2}\rangle ={x}_{1}{x}_{2}+{y}_{1}{y}_{2}-{z}_{1}{z}_{2}. & (1)\end{array}\end{eqnarray}

Die Länge eines Vektors \(\overrightarrow{x}=(x,y,z)\) sowie der Abstand zweier Punkte A, B mit A = (xA, yA, zA) und B = (xB, yB, zB) werden dann durch folgende Gleichungen bestimmt: \begin{eqnarray}\begin{array}{cc}|\overrightarrow{x}|=\sqrt{{x}^{2}+{y}^{2}-{z}^{2}}, & (2)\end{array}\end{eqnarray}\begin{eqnarray}\begin{array}{cc}|AB|=\sqrt{{({x}_{B}-{x}_{A})}^{2}+{({y}_{B}-{y}_{A})}^{2}-{({z}_{B}-{z}_{A})}^{2}}. & (3)\end{array}\end{eqnarray}

Die Definition des Winkels ϕ zweier Vektoren \({\overrightarrow{x}}_{1}\)und \({\overrightarrow{x}}_{2}\) im pseudoeuklidischen Raum unterscheidet sich formal nicht von der im euklidischen Raum: \begin{eqnarray}\begin{array}{cc}\cos \phi =\cos /\_({\overrightarrow{x}}_{1},{\overrightarrow{x}}_{2})=\frac{\langle {\overrightarrow{x}}_{1},{\overrightarrow{x}}_{2}\rangle }{|{\overrightarrow{x}}_{1}|\cdot |{\overrightarrow{x}}_{2}|}. & (4)\end{array}\end{eqnarray}

Jedoch kann (im Gegensatz zum euklidischen Raum) sich nun aus (4) durchaus für cos ϕ ein Wert ergeben, der größer ist als Eins. Da dies für den Cosinus eines reellen Winkels nicht zutreffen kann, ist ϕ in diesem Falle imaginär, es gilt also ϕ = ψ · i, wobei ψ ∈ ℝ und i die imaginäre Einheit ist. Da für reelle ψ stets cos(ψ · i) = cosh ψ gilt, kann für diesen Fall der Winkel ϕ zwischen den Vektoren \({\overrightarrow{x}}_{1}\)und \({\overrightarrow{x}}_{2}\) durch \begin{eqnarray}\begin{array}{cc}\begin{array}{ccc}/\_({\overrightarrow{x}}_{1},{\overrightarrow{x}}_{2})=\psi \cdot i & \text{mit} & \cosh \psi =\frac{\langle {\overrightarrow{x}}_{1},{\overrightarrow{x}}_{2}\rangle }{|{\overrightarrow{x}}_{1}|\cdot |{\overrightarrow{x}}_{2}|}\end{array} & (5)\end{array}\end{eqnarray}

berechnet werden.

Aus (3) geht hervor, daß der Abstand zweier Punkte eine positive reelle Zahl, Null oder eine imaginäre Zahl sein kann. Damit ein Punkt A vom Koordinatenursprung O = (0, 0, 0) den Abstand Null hat, muß wegen (3) \begin{eqnarray}\begin{array}{ccc}{x}_{A}^{2}+{y}_{A}^{2}-{z}_{A}^{2}=0 & \text{bzw}. & {z}_{A}=\pm \sqrt{{x}_{A}^{2}+{y}_{A}^{2}}\end{array}\end{eqnarray}

gelten. Dies bedeutet, daß die Punkte, die von O den Abstand Null haben, auf der Mantelfläche eines Kegels liegen, dessen Spitze der Koordinatenursprung O und dessen Achse die z-Achse ist. Dieser Kegel heißt isotroper Kegel. (Natürlich handelt es sich nur aus äußerer, euklidischer Sicht um einen Kegel. Aus innerer, pseudoeuklidischer Sicht ist der isotrope Kegel eine Sphäre mit dem Radius Null.)

Alle Punkte mit imaginärem Abstand zu O liegen innerhalb, und alle Punkte mit positivem reellen Abstand zu O außerhalb des isotropen Kegels.

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  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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