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Lexikon der Mathematik: Residuenkalkül

eine Methode zur Berechnung bestimmter Integrale mit Hilfe des Residuensatzes. Sie wird im folgenden an zwei einfachen, aber dennoch wichtigen Beispielen demonstriert.

(I) Uneigentliche Integrale \begin{eqnarray}\mathop{\mathop{\int }\limits^{\infty }}\limits_{-\infty }f(x)dx.\end{eqnarray}

Es sei H = {z ∈ ℂ : Im z > 0} die obere Halbebene, G ein Gebiet, das die abgeschlossene obere Halbebene \(\bar{H}\) enthält, A eine endliche Teilmenge von H und f eine in G\A holomorphe Funktion mit lim|z|→∞zf(z) = 0. Falls das uneigenüiche Integral \(\int^{\infty}_{-\infty }f(x)dx\) konvergiert, so gilt \begin{eqnarray}\int\limits^{\infty}\limits_{-\infty }f(x)dx=2\pi i\sum _{a\in A}\text{Res}\,(f,a),\end{eqnarray} wobei Res (f, a) das Residuum von f an a bezeichnet.

Zur Herleitung dieser Formel wählt man r > 0 so groß, daß die offene Kreisscheibe Br(0) mit Mittelpunkt 0 und Radius r die Menge A enthält. Weiter betrachtet man den Weg \({\gamma }_{r}:[0,\pi ]\to \bar{H}\) mit γr(t) := reit. Der Residuensatz liefert dann \begin{eqnarray}\mathop{\mathop{\int }\limits^{r}}\limits_{-r}f(x)dx\mathop{\int }\limits_{\gamma r}f(z)dz=2\pi i\sum _{a\in A}\mathrm{Res}\,(f,a).\end{eqnarray}

Wegen \(\mathop{\mathrm{lim}}\limits_{|z|\to \infty }zf(z)\) erhält man \begin{eqnarray}\mathop{lim}\limits_{r\to \infty }\mathop{\int }\limits_{\gamma r}f(z)dz=0,\end{eqnarray} und Grenzübergang r → ∞ in (2) liefert die Formel (1).

Nun sei speziell \(f(z)=\frac{p(z)}{q(z)}\) eine rationale Funktion mit teilerfremden Polynomen p, q derart, daß Grad q ≥ 2 + Grad p gilt, und q keine Nullstellen auf der reellen Achse besitzt. Dann erfüllt f die obigen Voraussetzungen, wobei A die Menge der verschiedenen Nullstellen von q in H ist. In dem Beispiel \begin{eqnarray}f(z)=\frac{{z}^{2}}{1+{z}^{4}}\end{eqnarray} ist A = {a, ia} mit a = e/4. Für die Residuen rechnet man aus \(\text{Res}(f,a)=\frac{1}{4}\bar{a}\), \(\text{Res}(f,ia)=-\frac{i}{4}\bar{a}\), und erhält \begin{eqnarray}\mathop{\mathop{\int }\limits^{\infty }}\limits_{-\infty }\frac{{x}^{2}}{1+{x}^{4}}dx=\frac{\pi }{\sqrt{2}}.\end{eqnarray}

(II) Trigonometrische Integrale der Form \begin{eqnarray}\mathop{\mathop{\int }\limits^{2\pi }}\limits_{0}R(\cos t, {\rm sin}\, t)dt.\end{eqnarray}

Dabei sei R(x, y) eine komplexwertige rationale Funktion in (x, y) ∈ ℝ2, die auf der Einheitskreisline 𝔼 = {z = x + iy ∈ ℂ : |z| = 1} nur endliche Werte annimmt. Setzt man für z ∈ ℂ \begin{eqnarray}\tilde{R}^{}(z):=\frac{1}{z}R\left(\frac{1}{2}\left(z+\frac{1}{z}\right),\frac{1}{2i}\left(z-\frac{1}{z}\right)\right),\end{eqnarray}

so folgt \begin{eqnarray}\mathop{\mathop{\int }\limits^{2\pi }}\limits_{0}R(\cos t, {\rm sin}\,t)\,dt=2\pi \sum _{\zeta \in {\mathbb{E}}}\mathrm{Res}\,(\mathop{R}\limits^{},\zeta ).\end{eqnarray}

Man beachte, daß die Summe auf der rechten Seite nur endlich viele von 0 verschiedene Summanden hat, da die rationale Funktion \(\mathop{R}\limits^{}\) in \({\mathbb{E}}\) nur endlich viele Polstellen besitzt.

In dem Beispiel \begin{eqnarray}\mathop{\mathop{\int }\limits^{2\pi }}\limits_{0}\frac{dt}{1-4\cos t+4}\end{eqnarray} ist \begin{eqnarray}R(x,y)=\frac{1}{1-4x+4}\end{eqnarray} und daher \begin{eqnarray}\tilde{R}^{}(z)=\frac{1}{(z-2)(1-2z)}.\end{eqnarray}

Die Funktion \(\mathop{R}\limits^{}\) hat in \({\mathbb{E}}\) genau eine Polstelle, nämlich \(\zeta =\frac{1}{2}\), und diese hat die Ordnung 1. Man erhält \begin{eqnarray}\mathop{\mathop{\int }\limits^{2\pi }}\limits_{0}\frac{dt}{1-4\cos t+4}=\frac{2\pi }{3}.\end{eqnarray}

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  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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