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Lexikon der Mathematik: Spinoranalysis

die Theorie des Dirac-Operators.

Auf den Dirac-Operator \({\mathcal{D}}\) stößt man bei der Suche nach einem linearen Differentialoperator \({\mathcal{D}}\), der auf komplexen Funktionen f(x1, …, xn) von n Variablen operiert, und dessen Quadrat \({{\mathcal{D}}}^{2}={\mathcal{D}} \circ {\mathcal{D}}\) mit dem Laplace-Operator \begin{eqnarray}\Delta =-\mathop{\sum ^{n}}\limits_{i=1}\frac{{\partial}^{2}}{\partial {x}_{i}^{2}}\end{eqnarray} übereinstimmt. Will man einen Operator mit dieser Eigenschaft konstruieren, so muß man sich zunächst von gewöhnlichen Funktionen trennen und statt f differenzierbare Abbildungen in einen geeigneten komplexen Vektorraum ℂk endlicher Dimension k betrachten. Man findet z. B. im Fall n = 2 einen auf Paaren (f1, f2) von Funktionen wirkenden Operator, der eine solche ‚Wurzel‘ aus Δ ist, indem man die Matrizen \begin{eqnarray}{\gamma}_{x}=\left(\begin{array}{ll}0 & i\\ i & 0\end{array}\right),\,\,\,\,\,\,{\gamma}_{y}=\left(\begin{array}{rl}0 & 1\\ -1 & 0\end{array}\right)\end{eqnarray} einführt, und \({\mathcal{D}}\) über die Matrizenmultiplikation durch \begin{eqnarray}{\mathcal{D}}:\left(\begin{array}{c}{f}_{1}\\ {f}_{2}\end{array}\right)\to {\gamma}_{x}\left(\begin{array}{c}\frac{\partial {f}_{1}}{\partial x}\\ \frac{\partial {f}_{2}}{\partial x}\end{array}\right)+{\gamma}_{y}\left(\begin{array}{c}\frac{\partial {f}_{1}}{\partial y}\\ \frac{\partial {f}_{2}}{\partial y}\end{array}\right)\end{eqnarray} definiert, wobei i die imaginäre Einheit ist.

Im allgemeinen Fall kann man zum Bestimmenvon \({\mathcal{D}}\) von einem Ansatz der Gestalt \begin{eqnarray}{\mathcal{D}}=\mathop{\sum ^{n}}\limits_{i=1}{\gamma}_{i}\frac{\partial}{\partial {x}_{i}}\end{eqnarray} mit zunächst unbekannten komplexen Zahlen γi ausgehen. Die Bedingung \({\mathcal{D}}^\circ {\mathcal{D}}=\Delta \) ist zu \begin{eqnarray}{\gamma}_{i}^{2}=-1\,\,\,\text{und}\ \ \text{}\ {\gamma}_{i}{\gamma}_{j}+{\gamma}_{j}{\gamma}_{i}=0\end{eqnarray} (i, j = 1, 2, …, n) äquivalent. Diese Gleichungen lassen sich im Körper der komplexen Zahlen nicht nach γi auflösen, jedoch in der Matrizenalgebra, wenn man die 1 durch die Einheitsmatrix ersetzt. Im Fall n = 2 zeigen das die obigen Matrizen γx und γy, und im Fall n = 3 ist eine Lösung durch \begin{eqnarray}\begin{array}{ccc}{\gamma}_{1}=\left(\begin{array}{lc}i & 0\\ 0 & -i\end{array}\right), & {\gamma}_{2}=-{\gamma}_{y}, & {\gamma}_{3}={\gamma}_{x}\end{array}\end{eqnarray} gegeben. (Ein zweite Darstellung dieser Lösung erhält man aus den Erzeugenden γ1 = i, γ2 = j und γ3 = j der Quaternionenalgebra.)

Um das Gleichungssystem (1) für beliebiges n zu lösen, führt man die Clifford-Algebra \({{\mathcal{C}}}^{n}\) ein. Diese ist ein Vektorraum, der eine aus den n Elementen γ1, …, γn, dem Einselement 1, und allen möglichen Produkten φI = γ¡1γi2γik, (1 ≤ kn), bestehende Basis besitzt, wobei I den Multiindex I = (i1, i2, …, ik) bezeichnet. Die Indizes iκ sind nach der Größe geordnet: 1 ≤ γi1 < γi2 < ⋯ < γikn.

\({{\mathcal{C}}}^{n}\) hat die Dimension 2n und wird zu einer Algebra, d.h., zu einem Vektorraum, der mit einer nichtkommutativen Multiplikation \((\varphi, \psi)\in {\mathcal{C}}\times {\mathcal{C}}\to \varphi \cdot \psi \in {\mathcal{C}}\) versehen ist, die das Assoziativgesetz (φ · ψ) · χ = φ · (ψ · χ) erfüllt, indem man das Produkt zweier Basisvektoren durch formales Aneinanderreihen definiert, d. h. durch \begin{eqnarray}{\varphi}_{({i}_{1},\ldots, {i}_{k})}{\varphi}_{({j}_{1},\ldots, {j}_{l})}={\varphi}_{({i}_{1},\ldots, {i}_{l},{j}_{1},\ldots {j}_{l})},\end{eqnarray} und danach durch Anwenden der Relationen (1) auf eine Linearkombination von Basisvektoren reduziert.

Unter Darstellungen der Clifford-Algebra versteht man komplexe Vektorräume V derart, daß jedem Element von \(\varphi \in {\mathcal{C}}\) ein linearer Endomorphismus u(φ) : VV zugeordnet ist, wobei u(φ) ○ u(ψ) = u(φ · ψ) und ru(φ) + su(ψ) = u(r φ + s ψ) für alle \(\varphi, \psi \in {\mathcal{C}}\) und r, s ∈ ℂ gilt. Die Clifford-Moduln sind Darstellungen kleinster Dimension, und es zeigt sich, daß es bis auf Isomorphie eindeutig; bestimmte Clifford-Moduln Δn der Dimension \([\frac{n}{2}]\) gibt. Die Elemente von Δn heißen Spinoren und die differenzierbaren Abbildungen von ℝn in Δn Spinorfelder.

Den n-dimensionalen Dirac-Operator \({{\mathcal{D}}}_{n}\) d.h., eine ‚Quadratwurzel‘ \(\sqrt{\Delta}\) des n-dimensionalen Laplace-Operators, definiert man dann als linearen Differentialoperator erster Ordnung auf dem Raum {ψ; ψ : ℝn → Δn} der Spinorfelder durch \begin{eqnarray}{{\mathcal{D}}}_{n}(f)=\mathop{\sum ^{n}}\limits_{i=1}u\,({\gamma}_{i})\frac{\partial \psi}{\partial {x}_{i}}.\end{eqnarray}

Die Frage nach einer Wurzel \(\sqrt{\Delta}\) aus dem Laplace-Operator entstammt dem Problem der quantenmechanischen Formulierung der Bewegungsgleichung von freien, klassischen Teilchen in der speziellen Relativitätstheorie. Sind m die Masse, \({\mathcal{E}}\) die Energie und \({\mathfrak{p}}=m{\mathfrak{v}}/\sqrt{1-{v}^{2}/{c}^{2}}\) das Moment eines solchen Teilchens, so gilt \begin{eqnarray}{\mathcal{E}}^{2}={c}^{2}|{\mathfrak{p}}{|}^{2}+{m}^{2}{c}^{4}.\end{eqnarray}

In der Quantenmechanik löst man sich von der Vorstellung eines punktförmigen Teilchens und betrachtet stattdessen eine Größe, die durch eine komplexe Zustandsfunktion ψ(t, x) beschrieben wird, wobei man das Quadrat |ψ(t, x)|2 der komplexen Norm als Dichtefunktion der Wahrscheinlichkeit dafür ansieht, daß sich das Teilchen zum Zeitpunkt t ∈ ℝ am Ort x ∈ ℝ aufhält. Nach den Prinzipien der Quantenmechanik werden \({\mathcal{E}}\) und \({\mathfrak{p}}\) durch die Differentialoperatoren \begin{eqnarray}\begin{array}{cc}\mathcal{E} \to i\hslash\frac{\partial}{\partial t} & {\mathfrak{p}}\to i\hslash\,\text{grad}\end{array}\end{eqnarray} ersetzt, wobei das Plancksche Wirkungsquantum bezeichnet. Die Gleichung (3) geht dann in die Beziehung \begin{eqnarray}i\hslash\frac{\partial \psi (x,t)}{\partial t}=\sqrt{{c}^{2}{\hslash}^{2}\Delta +{m}^{2}{c}^{4}}\psi (x,t)\end{eqnarray} über, die sich als lineare Differentialgleichung interpretieren läßt, wenn man ψ(x, t) als Spinorfeld auf ℝ4 ansieht und die Wurzel durch eine geeignete Variante des Dirac-Operators ersetzt.

Genauer: Der Operator \begin{eqnarray} {\mathcal H} =\hslash c\cdot \langle \overrightarrow{\alpha},\text{grad}\rangle +{\alpha}_{4}m{c}^{2}\end{eqnarray} erfüllt die Gleichung \( {\mathcal H} \circ {\mathcal H} ={c}^{2}{\hslash}^{2}\Delta +{m}^{2}{c}^{4}\), wenn man für \(\overrightarrow{\alpha}=({\alpha}_{1},{\alpha}_{2},{\alpha}_{3})\) und α4 die sogenannten Pauli-Dirac-Matrizen \begin{eqnarray}\begin{array}{ll}{\alpha}_{1}=i\left(\begin{array}{cc}0 & {\sigma}_{1}\\ {\sigma}_{1} & 0\end{array}\right), & {\alpha}_{2}=i\left(\begin{array}{cc}0 & {\sigma}_{2}\\ {\sigma}_{2} & 0\end{array}\right),\\ {\alpha}_{3}=i\left(\begin{array}{cc}0 & {\sigma}_{3}\\ {\sigma}_{3} & 0\end{array}\right), & {\alpha}_{4}=\left(\begin{array}{cc}{\sigma}_{4} & 0\\ 0 & -{\sigma}_{4}\end{array}\right)\end{array}\end{eqnarray} einsetzt. Diese sind komplexe (4 × 4)-Matrizen und setzen sich aus den Paulimatrizen \begin{eqnarray}\begin{array}{ll}{\sigma}_{1}=\left(\begin{array}{lc}0 & 1\\ 1 & 0\end{array}\right), & {\sigma}_{2}=\left(\begin{array}{lc}0 & -i\\ i & 0\end{array}\right),\\ {\sigma}_{3}=\left(\begin{array}{lc}1 & 0\\ 0 & -1\end{array}\right), & {\sigma}_{4}=\left(\begin{array}{ll}1 & 0\\ 0 & 1\end{array}\right)\end{array}\end{eqnarray} zusammen. Es gelten in Analogie zu (1) für i, j ∈ {1, 2, 3, 4} die Gleichungen \begin{eqnarray}{\alpha}_{i}{\alpha}_{j}+{\alpha}_{j}{\alpha}_{i}=-2{\varepsilon}_{ij},\end{eqnarray} wobei εij jetzt die metrischen Fundamentalgrößen des Minkowski-Raumes bezeichnen.

[1] Heber, G.; Weber, G.: Grundlagen der modernen Quantenphysik II. B.G. Teubner Leipzig, 1963.

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  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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