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Lexikon der Mathematik: Tschebyschew (Chebyshev), Pafnuti Lwowitsch

russischer Mathematiker, geb. 16.5.1821 Okatovo (Kaluga), gest. 8.12.1894 Petersburg.

Tschebyschew war eines von neun Kindern der Familie eines pensionierten Offiziers. Er erhielt Privatunterricht, der nach dem Umzug der Familie nach Moskau (1832) von einem der besten Moskauer Privatlehrer vollendet wurde. 1837 begann Tschebyschew ein Mathematik- und PhysikStudium an der Moskauer Universität, das er 1841 abschloß. Zwei Jahre später promovierte er mit einer Arbeit zur Wahrscheinlichkeitsrechnung. Da er in Moskau keine Anstellung fand, habilitierte er sich in Petersburg und lehrte ab dem Herbst 1847 an der dortigen Universität. 1850 erhielt er dort eine außerordentliche Professur, zehn Jahre später ein Ordinariat. Nachdem er 1853 zum Adjunkt der Petersburger Akademie gewählt worden war, wurde er 1859 ordentliches Akademiemitglied. Mehrfach weilte er zu Studienzwecken in europäischen Zentren der Wissenschaft wie Paris, London und Berlin. Nach seiner Emeritierung 1882 bildete die Akademie seine wissenschaftliche Heimstatt.

Tschebyschews Bedeutung beruht neben seinen vielen Forschungsergebnissen vor allem auf der Begründung einer bedeutenden mathematischen Schule in Petersburg, die hohes internationales Ansehen genoß, und deren Traditionen die Entwicklungsrichtungen der russisch-sowjetischen Mathematik maßgeblich beeinflußten. Zu dieser Schule gehörten u. a. A. A. Markow, A. M. Ljapunov, A. N. Korkin und G. F. Voronoj. Entsprechend der Grundauffassung Tschebyschews von einer engen Verbindung zwischen reiner und angewandter Mathematik zeichneten sich die in der Petersburger Schule behandelten Themen durch eine große Vielfalt aus und reichten von der Zahlentheorie bis zur Wahrscheinlichkeitsrechnung und Approximationstheorie.

Ein erstes wichtiges Arbeitsgebiet für Tschbeyschew war die Zahlentheorie. Angeregt durch die Mitarbeit an der Edition der zahlentheoretischen Manuskripte Eulers beschäftigte er sich mit der Primzahlverteilung. 1848 zeigte er, daß sich die Primzahlfunktion π(x) (d.i. die Anzahl der Primzahlen kleiner als x) verhält wie \begin{eqnarray}\displaystyle \underset{2}{\overset{\infty}{\int}}\frac{dx}{\mathrm{log}x}.\end{eqnarray}

Die Herleitung des Satzes basierte u. a. auf seinen Untersuchungen der später nach Riemann benannten ζ-Funktion für reelle Werte der Variablen. Als eine Folgerung erhielt Tschebyschew dann das Resultat: Falls der Ausdruck \begin{eqnarray}\frac{\pi (x)}{x}\mathrm{log}x\end{eqnarray} für x → ∞ überhaupt einen Grenzwert besitzt, so ist dieser gleich 1. Außerdem bewies er 1850 eine berühmten Vermutung von J. Bertrand (18221900), daß für n > 1 stets eine Primzahl zwischen n und 2n existiert.

Schon als Student befaßte sich Tschebyschew mit Fragen der Numerik und Analysis und wurde für eine Arbeit zur Berechnung der reellen Wurzeln einer Funktion f(x) prämiert. Ab den 50er Jahren widmete er sich mit großem Erfolg der Approximation von Funktionen, auf die er durch ingenieurtechnische Probleme der Konstruktion von Mechanismen geführt wurde. In diesem Kontext entwickelte er die Grundlagen für eine allgemeine Theorie für die bestmögliche Approximation einer Funktion in einem Intervall durch Polynome. 1854 gab er eine Annäherung von f(x) = xn durch Polynome von Grade n − 1 an und konstruierte dabei die nach ihm benannten Polynome. Weitere Resultate betrafen die Theorie orthogonaler Polynome (1859), die Approximation bestimmter Integrale (1874) sowie die Abschätzung des bestimmten Integrals einer unbekannten Funktion, wenn die Momente verschiedener Ordnung von dieser Funktion bekannt sind (1874). Zahlreiche Ergebnisse und Aussagen der Approximationstheorie sind untrennbar mit Tschebyschews Namen verbunden.

Grundlegende Beiträge leistete er auch zur Wahrscheinlichkeitsrechnung. In seiner Dissertation gab er einen Beweis des Satzes von Bernoulli sowie eine Abschätzung der Genauigkeit mit einfachen analytischen Mitteln. Auch die 1866 von ihm vorgenommene weitgehende Verallgemeinerung des Gesetzes der großen Zahlen auf Zufallsvariable ließ die charakteristischen Merkmale seiner Arbeiten hervortreten, eine strenge Beweisführung und eine möglichst genaue numerische Abschätzung der Resultate mit einfachen Mitteln. Mit Hilfe der von ihm entwickelten Momentenmethode und seiner Resultate zur Approximation von Integralen gelang Tschebyschew 1887 auch eine Ausdehnung des Zentralen Grenzwertsatzes auf eine Folge von Zufallsvariablen nebst eines Beweises. Zwar bedurften die Formulierung des Satzes (die Unabhängigkeit der Zufallsvariablen wurde beispielsweise von ihm nicht erwähnt) und der Beweis noch einer Präzisierung, doch gab er der ganzen Thematik erstmals eine klare, verständliche Darstellung. Mit seinen Arbeiten schuf Tschebyschew wichtige Ausgangspunkte für die wahrscheinlichkeitstheoretische Begründung statistischer Methoden und der Theorie der Beobachtungsfehler, Anregungen, die von seinen Schülern und Nachfolgern erfolgreich umgesetzt wurden.

Weitere Arbeiten Tschebyschews betrafen die Integration algebraischer Funktionen (1853, 1861), Methoden zur Konstruktion geographischer Karten (1856, 1894), und den Bau einer Rechenmaschine (Ende der 70er Jahre). Zusammen mit seinen Zeitgenossen M.V.Ostrogradski und V.I.Bunjakovski setzte Tschebyschew viele der bei seinen Aufenthalten in Westeuropa gewonnenen Erfahrungen für die Entwicklung der Mathematik in Rußland um und betätigte sich aktiv in verschiedenen staatlichen Kommissionen. Er genoß hohes Ansehen im In- und Ausland, wo seine Leistungen u. a. durch die Mitgliedschaft in zahlreichen Akademien gewürdigt wurden.

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  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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