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Lexikon der Mathematik: Wallis, John

Mathematiker und Theologe, geb. 3.12.1616 Ashford, gest. 8.11.1703 Oxford.

Der Sohn eines Pfarrers wurde an Schulen in Kent und Essex ausgebildet, mathematische Kenntnisse eignete er sich autodidaktisch an. Er studierte in Cambridge ab etwa 1632 Theologie, Anatomie, Naturwissenschaften und Mathematik. Ab 1640 war er in theologischen Ämtern in Winchester und London tätig, aber auch zeitweise bis 1645 am Queens College in Cambridge. Im Jahre 1649 wurde Wallis (aus politischen Gründen) zum Professor für Geometrie in Oxford ernannt. Es stellte sich heraus, daß er dieser Herausforderung glänzend gewachsen war. Daneben war er als Archivar tätig. Ab 1654 auch Doktor der Theologie, verteidigte er in den Revolutionszeiten das Königtum, und erhielt den Titel eines Hauskaplans bei Charles II. (1630-1695).

Das Gesamtwerk Wallis’ ist überaus vielfältig. Es umfaßt neben Mathematik ab 1642/43 die Entzifferung codierter Schreiben für die Regierung, Logik, ab 1652 überaus bedeutsame Schriften zur Phonetik und Grammatik des Englischen, sowie Archivstudien. Er vertrat die Universität in Rechtsfragen, verfaßte theologische Abhandlungen und Bücher. Die theologischen Hauptschriften erschienen ab 1690, sie weisen Wallis als Calvinisten aus. Er gab, oft erstmalig, musikalische und mathematische Schriften antiker Autoren heraus. Wallis war Mitbegründer der 1663 gegründeten Royal Society.

Erst 1647/48 erwachte Wallis’ eigentliches Interesse für Mathematik beim Studium von W. Ought- reds „Clavis mathematicae” (1647). Er rekonstruierte die bei Oughtred nicht angeführte Lösung der kubischen Gleichung nach G. Cardano und schrieb 1648 „Treatise of Angular Sections” (veröffentlicht 1685). Systematisch begann sich Wallis ab 1649 mit der antiken und zeitgenössischen mathematischen Literatur zu befassen, da seine Professur ihn zwang, nicht nur Vorlesungen in praktischer und theoretischer Arithmetik, Trigonometrie und Mechanik zu halten, sondern auch über die Werke von Apollonios, Archimedes und Euklid vorzutragen. Die erste größere mathematische Arbeit von Wallis war „De sectionibus conicis” (1655), die die Kegelschnitte vorwiegend als ebene Kurven unter Verwendung des analytischen Kalküls von Descartes und der infinitesimalen Überlegungen von Torricelli und B. Cavalieri behandelte. In dieser Arbeit führte er das „Unendlich”-Zeichen „то” ein.

Durch seine Versuche, die Länge des Ellipsen- bogens zu berechnen, stand Wallis am Beginn der Theorie der elliptischen Funktionen. Im gleichen Jahr, 1655 – nicht wie auf dem Titelblatt angegeben 1656 – erschien Wallis’ Hauptwerk „Arithme- tica infinitorum”. Wiederum stark von Torricelli, Cavalieri, aber auch von G. de St.Vincentio beeinflußt, behandelte Wallis u. a. das „Eulersche Integral” I(k, n). Er tabellierte \begin{eqnarray}\frac{1}{I(k,n)}\end{eqnarray}) und gewann durch ein Interpolationsverfahren – das Wort „Interpolation” geht wohl auf Wallis zurück – u. a. das sensationelle Resultat \begin{eqnarray}\frac{1}{I(1/2,1/2)}=\frac{4}{\pi},\end{eqnarray} also \begin{eqnarray}\frac{4}{\pi}=\frac{3\cdot 3\cdot 5\cdot 5\cdot 7}{2\cdot 4\cdot 4\cdot 6\cdot 6}\cdots \end{eqnarray}

Er untersuchte weitere grundlegende Integrale, konnte die Zissoidenquadratur bewältigen, scheiterte aber am Beweis der Zykloidensätze von Pascal. Fundamental war dagegen die arithmetische Fassung der Cavalierischen Indivisiblenmethode. Zeitgleich mit dem Erscheinen der elementaren „Mathesis universalis” (1657) wurde Wallis in eine heftige zahlentheoretische Auseinandersetzung mit Fermat verwickelt und konnte bis auf Lösungen von Sonderfällen der „Pellschen Gleichung” diesem nichts Gleichwertiges entgegensetzen. In seiner „Mechanica … “ (1669 bis 71) berechnete Wallis Schwerpunkte und beurteilte elementare Maschinen nach mechanischen Prinzipien.

Letztes großes mathematisches Werk von Wallis war „Treatise of Algebra. Both Historical and Practical” (1685). Nach einer ausführlichen historischen Einleitung gab er eine Darstellung der Beziehungen zwischen Algebra und Geometrie, eine geometrische Interpretation der komplexen Zahlen und eine Diskussion der Exhaustions- sowie der Indivisiblen- methode. Es folgte eine Darstellung der Theorie der unendlichen Reihen, wobei frühe Resultate Newtons eingearbeitet wurden. 1693 zeigte Wallis, daß das Euklidische Parallelenpostulat durch die Forderung ersetzbar ist: Zu jedem Dreieck existiert ein ähnliches Dreieck beliebiger Größe. In der zweiten Auflage des „Treatise … “ von 1699 findet sich zusätzlich ein unvollständiger Abdruck der Korrespondenz zwischen Leibniz und Newton.

Dem Einfluß Wallis’ war es vor allem zu danken, daß der gregorianische Kalender in England erst 1752 eingeführt wurde.

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  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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