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Lexikon der Neurowissenschaft: assoziatives Lernen

assoziatives Lernen, Eassociative learning, Bezeichnung für die Bildung neuronaler Verknüpfungen zwischen einem neutralen Reiz und einem zweiten Stimulus, der entweder positive oder negative Auswirkungen auf den Organismus hat (im Experiment: Belohnung und Bestrafung). Hat der Organismus den zeitlichen Zusammenhang der beiden Reize erkannt, reagiert er auf den ersten Reiz schon in der Erwartung des zweiten. Diese sogenannte Konditionierung ist eine wichtige Form des Lernens, und die genannte neuronale Verknüpfung (Assoziation) ist ihre Grundlage. Folge der Neuzuordnung von Reizen und Reaktionen sind Antriebe (bedingte Appetenz, bedingte Aktion, bedingte Aversion, bedingte Hemmung). Das assoziative Lernen ist eine Grundlage des Gedächtnisses.

Versuche zum assoziativen Lernen in der Meeresschnecke Hermissenda crassicornis konnten Aufschluß über die Funktionsweise dieser Lernmethode geben. Die Tiere wurden so konditioniert, daß sie einen unbedingten Reiz (Turbulenz) mit einem neutralen, bedingten Reiz (Lichtblitz) zu assoziieren lernten, woraufhin sie die Kontraktion ihres Fußes (ein Schutzreflex) schon nach dem bedingten und ohne den unbedingten Reiz auslösten. Es war möglich, den genetisch festgelegten Schaltplan der am Reflex beteiligten Neurone zu rekonstruieren und viele der biochemischen Abläufe zu charakterisieren, die die assoziative Verknüpfung ermöglichen. Weitere Studien bei Kaninchen und Ratten (Konditionierungen, Labyrinth-Lernen und Unterscheidungslernen von Gerüchen) zeigten, daß den untersuchten assoziativen Leistungen dort weitgehend dieselben Prozesse zugrunde liegen – und zwar hinsichtlich der Neurotransmitter (GABA), der Ionenkanäle in den Zellmembranen, deren Regulation über sekundäre Boten und der Auswirkungen dieser Botenstoffe. – Biochemische Abläufe ( siehe Abb. ): Zeitlich aufeinander bezogen kommt es 1) zu einem spannungsabhängigen Calcium-Einstrom und 2) zu einer durch GABA induzierten intrazellulären Calcium-Freisetzung. Der durch die Erregung der entsprechenden Zellen (Natrium-Einstrom) ausgelöste spannungsabhängige Calcium-Einstrom infolge des bedingten Reizes (1) führt zur Aktivierung der Phosphatidylinositol-spezifischen Phospholipase C. Diese bewirkt die Bildung von Diacylglycerol, Arachidonsäure und Inositoltriphosphat (IP3). Letzteres führt zur Freisetzung von Calcium aus intrazellulären Calcium-Speichern, etwa dem endoplasmatischen Reticulum. Durch den erhöhten Diacylglycerol-, Arachidonsäure- und Calcium-Spiegel kommt es zu einer Aktivierung der Proteinkinase C, die vom Zellinneren in die Zellmembran wandert – ein entscheidender Prozeß in der Bahnung der molekularen Gedächtnisspur – und bestimmte Proteine phosphoryliert, insbesondere das G-Proteincp20. Dieses "Lern-Protein" inaktiviert Kaliumkanäle, so daß sich der Kalium-Ausstrom vermindert, also die Depolarisation der Nervenzelle und damit seine Erregbarkeit wächst bzw. höher bleibt. Inzwischen sind durch den unbedingten Reiz über GABA die postsynaptischen GABA-Rezeptoren aktiviert worden (2), wodurch wiederum über G-Proteine Phospholipasen aktiviert werden, die Diacylglycerol und IP3 freisetzen. Dadurch kommt es zu einer weiteren Verstärkung der Depolarisierung der Zelle über Proteinkinase C und cp20. Damit wird das Neuron insgesamt leichter erregbar: es reagiert sensibler auf eingehende Impulse. Dies entspricht letztlich dem eigentlichen Lernvorgang. Außerdem hemmt cp20 den retrograden Transport von Stoffen (axonaler Transport), erhöht den mRNA-Turnover bzw. stimuliert die Proteinsynthese und induziert strukturelle Umbildungen der Synapsen in den am Lernen beteiligten Neuronen. Dies kann sowohl in Form von "festeren Verdrahtungen" der beteiligten Übertragungsregionen auf der postsynaptischen Seite erfolgen als auch durch Fokussierung der Zellkontakte, indem bestimmte, nicht gebrauchte Dendritenäste nach der Konditionierung abgebaut werden. Das alles führt dazu, daß letztlich der bedingte Reiz allein ausreicht, um die beteiligten Zellen zum Feuern zu veranlassen und den Reflex auszulösen, und daß diese Gedächtnisspur auch über längere Zeiträume bestehen bleibt.



assoziatives Lernen

Molekulare Vorgänge an der Zellmembran in den Lichtsinneszellen vom Typ B der Meeresschnecke Hermissenda crassicornis während einer Konditionierung. Licht fällt als bedingter Reiz auf Rhodopsin in den B-Zellen, was zu einer Erhöhung des Calciumspiegels und dadurch zur Depolarisation führt. Die darauffolgenden Reaktionsschritte werden im Grundtext näher beschrieben.

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