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Lexikon der Neurowissenschaft: Deprivationssyndrom

Deprivationssyndrom s [von latein. de- = ent-, weg-, privare = berauben, griech. syndromos = übereinstimmend], E deprivation syndrome, Verhaltensstörungen, die als Folge sozialen Erfahrungsentzugs auftreten, z.B. Apathie, große Unruhe, Stereotypien (zwanghafte monotone Bewegungen) und schwere Störungen im normalen Sozialverhalten. – Alle höheren Säuger sind in ihrer Entwicklung auf das Vorhandensein sozialer Kontakte angewiesen. Fehlt die mütterliche Pflege und Betreuung, so treten schwere Verhaltensstörungen auf. In den ersten Lebensjahren ist der Mutter-Kind-Kontakt eine wichtige Voraussetzung für die Ausprägung der im genetischen Potential angelegten Entwicklungsmöglichkeiten. Das Lächeln des Kindes ist ein soziales Signal für Blickkontakt, und die Suche nach einem engen Körperkontakt mit seiner Mutter oder einer Mutterperson bringt das Bedürfnis nach unmittelbarem sozialen Kontakt zum Ausdruck. Nur in diesem sozialen Kontakt können sich die angelegten Entwicklungspotenzen des Kindes altersgemäß richtig entwickeln. Die alleinige Befriedigung der biotischen Bedürfnisse ist hierfür nicht ausreichend. Ist dieser soziale Kontakt nach der Geburt und in den ersten Lebensjahren nicht vorhanden, so fehlen die erforderlichen Umweltinformationen, welche die emotionalen Voraussetzungen für das spielerische Üben und zunehmende Beherrschen der erforderlichen altersgemäßen Entwicklungsschritte sichern. Es fehlen dann die Erfolgserlebnisse, die differenzierte Leistungen, Ausgeglichenheit und Stetigkeit voraussetzen und zu Selbstsicherheit und Befriedigung an zielstrebigem Wirken führen. Eine schwere Vernachlässigung, die im ersten Lebensjahr beginnt und drei Jahre lang anhält, beeinträchtigt sowohl die intellektuelle als auch die soziale Entwicklung nachhaltig. Setzt längerer ernster Kontaktverlust erst im zweiten Lebensjahr ein, bleiben nachhaltige Persönlichkeitsstörungen zurück, während der Rückstand in der allgemeinen Intelligenz reversibel ist. Wiederholter Wechsel der Pflegepersonen schädigt in dieser Zeit besonders die emotionale Bindungsfähigkeit. In diesem Zusammenhang muß die bisher viel zu wenig beachtete Bedeutung des Vaters für die Erziehung des Säuglings und Kleinkindes berücksichtigt werden. Auch im späteren Leben kann sensorische oder/und soziale Deprivation zu mehr oder weniger schweren Schäden in der Persönlichkeitsentwicklung und zu psychopathologischen Syndromen führen. Dabei spielt vor allem die Störung bzw. der Bruch bestehender sozialer Kontakte eine große Rolle. Organismus-Umwelt-Beziehungen, Anlage-Umwelt-Kontroverse, Mutter-Kind-Bindung.

Lit.: Hassenstein, B.: Verhaltensbiologie des Kindes. München 1987.

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