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Lexikon der Neurowissenschaft: Persönlichkeit und Personalität

Essay

Rüdiger Vaas

Persönlichkeit und Personalität

Wir betrachten und behandeln Personen normalerweise anders als Gegenstände wie Steine und Stöcke: als Subjekte, nicht als Objekte. Wodurch zeichnen sich Personen aus, d.h. worin unterscheiden sich Personen von anderen belebten oder unbelebten Körpern? Wie sind ihre individuellen Merkmale, d.h. ihre Persönlichkeit, zu fassen? Wie werden Personen identifiziert, und nach welchen Kriterien werden sie reidentifiziert, d.h., wie kann jemand trotz der ständigen physischen und psychischen Veränderungen derselbe bleiben, also seine personale Identität bewahren? Diese drei Themenfelder sind Gegenstand der folgenden Ausführungen: 1) Persönlichkeit (E personality), d.h. die Frage nach individuellen oder auch gruppenspezifischen Merkmalen von Personen und deren Variation und Beeinträchtigungen; 2) Personen sowie die wichtigsten Theorien zur Personalität, d.h. die Frage nach dem ontologischen Status einer Person; und 3) personale Identität, d.h. die Frage nach der Konstanz der Personalität trotz teilweise drastischer Änderungen der Persönlichkeitsmerkmale.

Persönlichkeitstheorien

In der (naiven) Persönlichkeitstheorie der Alltagspsychologie werden unter Persönlichkeit alle Eigenschaften eines Menschen verstanden, in denen er sich von anderen Menschen unterscheidet (körperliche Merkmale und mittel- oder langfristige Verhaltensdispositionen, siehe Tab. 1 ). Allerdings sind diese individuellen Besonderheiten nicht präzise definiert, methodisch rigide ermittelt und beobachtbar. Sie sind praktisch für Erklärungen und Voraussagen im Alltag, aber als psychologische Theorie unzureichend. Persönlichkeitspsychologie ist die empirische Wissenschaft von den überdauernden, nichtpathologischen, verhaltensrelevanten individuellen (auch genetischen und neuronalen) Besonderheiten von Menschen innerhalb einer bestimmten Population. Die Übertragbarkeit auf andere Populationen erfordert kulturvergleichende Studien. Fünf große Paradigmen der Persönlichkeitspsychologie lassen sich unterscheiden, wobei die drei letzten sich gegenseitig nicht ausschließen, sondern ergänzen, und heute gemeinsam dominieren. 1) Das Paradigma der Psychoanalyse geht auf Sigmund Freud zurück. Mit unbewußten, vorbewußten und bewußten psychischen Prozessen in den psychischen Instanzen Es, Ich und Über-Ich überbetont es aufgrund seiner klinischen Orientierung irrationale Prozesse sowie sexuelle und aggressive Motive, postuliert eine Charakterformung in der frühen Kindheit (orale, anale, phallische Phase) und zielt vor allem auf eine Triebdynamik und zahlreiche psychische Abwehrmechanismen ab (Verdrängung, Projektion, Verschiebung, Reaktionsbildung, Verleugnung, Rationalisierung, Sublimierung, Regression). Es ist größtenteils methodisch unzureichend und empirisch nicht prüfbar bzw. widerlegt, hat aber wichtige Anstöße und Teileinsichten erbracht. 2) Das Paradigma des Behaviorismus wurde maßgeblich von Iwan Pawlow, Edward Thorndike, John Watson und Burrhus Skinner begründet. Es überbetont die universelle Rolle des Lernens (klassische und operante Konditionierung, Nachahmungslernen), das Reiz-Reaktionsverhalten, die prägende Rolle der Umwelt, ignoriert aber genetische Prädispositionen und den Einfluß der Persönlichkeitseigenschaften auf den Lernprozeß. Es ist hervorragend operationalisierbar, in seinem beschränkten Anwendungsgebiet gut bestätigt, blendet jedoch kognitive und bewußte Prozesse völlig aus. 3) Das Eigenschaftsparadigma (E trait theories) wurde von William Stern und Gordon Allport begründet. Es geht davon aus, daß (letztlich neuronal bestimmte) Eigenschaften stabile Beziehungen zwischen den Situationen und den Reaktionen einer Person erzeugen. Persönlichkeit ist die Gesamtheit dieser Eigenschaften. Diese werden im individuumszentrierten Ansatz ohne, im differentiellen Ansatz mit Vergleichen anderer Menschen beschrieben, um stabile Persönlichkeitsprofile zu ermitteln, die das Vorhandensein und die Stärke der Ausprägung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale erfassen und vergleichbar machen. Grundlage sind hauptsächlich statistische Auswertungen von Befragungen und Verhaltensbeobachtungen. Wie die Eigenschaften verhaltenswirksam werden und sich im Verlauf der Persönlichkeitsentwicklung verändern, kann dieses Paradigma nur schlecht erklären, die Nähe zur Alltagspsychologie ist teilweise hinderlich. 4) Im Informationsverarbeitungsparadigma der kognitiven Psychologie werden die Prozesse in der vom Behaviorismus nicht weiter analysierten "Black Box" erforscht, und zwar sowohl neuronal als auch mit Hilfe von Verhaltensexperimenten, Computeranalogien und -simulationen (Speicher-, Filter-, Schwellenmodelle, Netzwerkarchitektur, Parameter, explizite und implizite Wissenssysteme, Konnektionismus). 5) Im dynamisch-interaktionistischen Paradigma (E interactionistic personality theory, interactionism) wird vor allem die Änderung der Persönlichkeitsmerkmale von Menschen und der Umwelt sowie deren wechselseitige Beziehungen erforscht. Dabei lassen sich Individuum, Mikro-, Meso-, Exo- und Makrosysteme unterscheiden, z.B. Kind, Mutter, Familie, soziale Schicht, Kultur. Es wird nicht von einer Umweltdetermination des Individuums ausgegangen, auch nicht von einer Entfaltung oder Co-Determination, wonach neben der Umwelt auch frühere Persönlichkeitseigenschaften eine Rolle spielen, sondern von einer Wechselwirkung zwischen Individuum und Umwelt in Abhängigkeit von früheren Persönlichkeits- und Umweltmerkmalen. Danach können Individuen ihre Umwelt (Partnerschaft, Verwandte, Freunde, Arbeitskollegen usw.) wenigstens partiell auswählen, herstellen und verändern. Persönlichkeitseigenschaften gelten mittelfristig als stabil, langfristig als instabil. Untersucht werden Korrelationen zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Umweltfaktoren, um die kausalen Beziehungen herauszufinden. Aufgrund der Komplexität und des hohen Aufwandes ist dieses Paradigma ein nur teilweise realisierbares Ideal.

Persönlichkeitsmerkmale

Mit Hilfe des statistischen Verfahrens der Faktorenanalyse wird versucht, möglichst viele Items in Persönlichkeitsinventaren auf möglichst wenige unabhängige Faktoren zu reduzieren, die sich als Eigenschaftsdimensionen interpretieren lassen. Verhaltensbeobachtungen, Fragebögen und Auswertungen des lexikalischen Inventars verschiedener Sprachen (Lexikon) ergaben, daß sich die meisten Persönlichkeitsmerkmale in der westlichen Welt (auch bei Kindern) mit nur fünf Faktoren ("Big Five") charakterisieren lassen ( siehe Tab. 2 ), die bei den einzelnen Individuen mehr oder weniger stark ausgeprägt sind. Allerdings implizieren alltagspsychologische Ähnlichkeiten noch keine funktionalen Ähnlichkeiten. Andere Ansätze klassifizieren nicht Eigenschafts-, sondern Persönlichkeitstypen, die sich wie alle Begriffe durch eine Auflistung kritischer Merkmale oder durch Prototypen beschreiben lassen. Problematisch sind dabei die Beliebigkeit der Einteilung und Gewichtung sowie die starken statistischen Schwankungen. Durch eine statistische Clusteranalyse ließen sich aber drei Persönlichkeitstypen anhand der "Big Five" gruppieren ( siehe Tab. 3 ). – Neben Persönlichkeitsmerkmalen im Sinne von Charaktereigenschaften zählen auch andere Aspekte zur Persönlichkeit: 1) die körperliche Gestalt, 2) markante, unbewußte Verhaltensweisen, Marotten und Haltungen, die z.B. wesentlich auf dem impliziten Gedächtnis beruhen, 3) das Temperament (das heute meist nicht mehr als ein irreduzibles, von anderen Charaktereigenschaften unabhängiges Persönlichkeitsmerkmal betrachtet wird), 4) Fähigkeiten wie Intelligenz, Kreativität, soziale Kompetenz, 5) Handlungseigenschaften wie Bedürfnisse, Motive, Interessen, Überzeugungen und Bewältigungsstile, 6) Bewertungsdispositionen wie Werthaltungen und Einstellungen, 7) selbstbezogene Dispositionen wie Selbstkonzept (inkl. Idealisierungen, Selbsttäuschungen, Selbstdarstellung, Geschlechtsidentität), Selbstwertgefühl und -dynamik, Wohlbefinden (Lebenszufriedenheit und Grad des [Un-]Glücklichseins) usw. – Geschlechtsunterschiede (Geschlechtsunterschiede aus neurowissenschaftlicher Sicht) gibt es schon vor der Geburt (Jungen sind motorisch aktiver). Männer haben im Durchschnitt etwas bessere räumliche Fähigkeiten als Frauen (nicht aber bei Nomaden) und neigen mehr zur offenen physischen und verbalen Aggression, während die Beziehungsaggression bei Frauen stärker ausgeprägt ist. Männer legen bei der Partnerwahl mehr Wert auf physische Attraktivität, Frauen mehr auf sozialen Status, Stärke und Ambitioniertheit. Die mathematischen und verbalen Fähigkeiten der Geschlechter sind entgegen früheren Auffassungen ungefähr gleich (nur im unteren Extrembereich sind die verbalen Fähigkeiten bei Frauen besser, und nur im unteren und oberen Extrembereich sind die mathematischen Fähigkeiten der Männer überrepräsentiert). Viele geschlechtsbezogene Persönlichkeitsunterschiede sind größtenteils kulturell bedingt (Arbeit, Interessen usw.). Überhaupt hat die Kultur einen großen Einfluß auf manche Persönlichkeitsmerkmale. Je nach Ökologie, Schulbildung, Fortpflanzungsformen (Monogamie, Polygynie, Polyandrie oder Polygynandrie) usw. sind bestimmte Merkmale unterschiedlich ausgeprägt. So können Intelligenztests, die in einem Kulturkreis valide sind, in einem anderen unzureichend sein. Im Radikalen Relativismus werden deshalb kulturspezifische Tests gefordert, während der Kontextualismus versucht, Tests durch kulturspezifische Maßnahmen und Interpretationen vergleichbar zu machen und der Universalismus auf gemeinsame Faktoren abhebt, z.B. bei IQ-Tests die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit. Gleiche Persönlichkeitseigenschaften können in unterschiedlichen Kulturen verschieden bewertet werden, was sich mitunter stark auf das Selbstwertgefühl und die sozialen Beziehungen auswirkt. Bemerkenswert sind insbesondere Unterschiede, die zwischen mehr individualistisch und mehr kollektivistisch ausgerichteten Kulturen bestehen ( siehe Tab. 4 ).

Persönlichkeitsentwicklung und -störungen

Die Persönlichkeitsentwicklung ist ein Produkt von Zufall und Notwendigkeit, wobei der Anteil der Notwendigkeit größer ist, insbesondere bei relativ beständigen Merkmalen wie Schüchternheit oder Aggressivität. Selbst kritische Lebensereignisse hängen von der Persönlichkeit ab und werden von dieser in ihrer Wirkung kanalisiert. Im Gedächtnis verknüpft sich die Individualentwicklung zu einer Geschichte, und diese narrative Struktur ist wesentlich für unsere personale Identität (s.u.), obwohl sie teilweise auf falschen Erinnerungen, Selbsttäuschungen oder sogar Konfabulationen und dem Vergessen beruht. Doch niemand ist bloß ein passives Produkt, sondern erschafft sich durch sein Denken und seine Handlungen auch selbst(z.B. durch die mehr oder weniger eingeschränkte Wahl der sozialen Umwelt, des Berufs, der Freizeit, des persönlichen Stils, des Weltbildes usw.). Selbst die Rollen, die man innehat, gehören dazu. Verschiedene Persönlichkeitsbereiche sind unterschiedlich stabil: Am beständigsten ist der Intelligenzquotient, selbst- und fremdbeurteilte Temperamenteigenschaften haben eine mittlere Stabilität, Selbstwertgefühl und Lebenszufriedenheit schwanken besonders rasch. Bei instabiler Umwelt sinkt auch die Stabilität der Persönlichkeitseigenschaften. Bei Kindern und Jugendlichen sind die Persönlichkeitsveränderungen (einzelne Merkmale und gesamte Profile) stärker ausgeprägt als bei Erwachsenen, weil sich bei diesen das Selbstkonzept verfestigt und die Einflußmöglichkeiten auf die Umwelt vergrößert haben. Im hohen Alter werden die Veränderungen aufgrund physiologischer Abbauprozesse wieder größer. Monokausale Erklärungen von Persönlichkeitsveränderungen sind in der Regel unzureichend. Das Zusammenspiel von Umwelt und genetischen Determinanten ist komplex und unterschiedlich variabel (Anlage-Umwelt-Kontroverse). Das Studium von Zwillingen ergab, daß die mittlere genetische Varianz für die fünf Hauptfaktoren der Persönlichkeit bei über 50% liegt, wobei Extraversion und Neurotizismus etwas höher, Verträglichkeit und Kultur – wie auch Intelligenz – etwas niedriger liegen. Die mit der Adoptionsmethode (Korrelation der Eigenschaften zwischen leiblichen und Adoptivgeschwistern) ermittelten Werte für den Einfluß genetischer Faktoren fallen mit Ausnahme der Intelligenz jeweils niedriger aus (Durchschnitt: 30%). Abgesehen vom IQ in der Kindheit sind für die Persönlichkeitsentwicklung die von Geschwistern nicht geteilten Umwelteinflüsse weitaus bedeutsamer als die von ihnen geteilten. Der genetische Einfluß auf den IQ steigt mit wachsendem Alter an. In jüngerer Zeit werden auch einzelne genetische Faktoren für Persönlichkeitsmerkmale bekannt ( siehe Zusatzinfo ).
Persönlichkeitsstörungen sind spezifische Formen abnormer Persönlichkeitstypen im Erwachsenenalter. Sie kommen bei etwa 10% aller Erwachsenen und bis zu 40% der psychiatrisch behandelten Patienten vor. Dabei müssen mindestens drei der folgenden Kriterien zutreffen: 1) Unausgeglichenheit in Einstellung und Verhalten bei Affektivität, Antrieb, Impulskontrolle, Wahrnehmung, Denken oder sozialen Beziehungen; 2) dauerhaftes abnormes Verhaltensmuster, nicht auf Episoden psychischer Krankheit beschränkt; 3) tiefgreifende und in vielen Situationen unpassende Verhaltensabnormitäten; 4) Beginn der Störung in Kindheit oder Jugend, dauerhafte Manifestation im Erwachsenenalter; 5) die Störung führt zu deutlichem subjektiven Leiden; 6) die Störung ist mit markanten Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden.

Personalität

Spätestens seit der Renaissance werden Personen als einzigartig und wertvoll betrachtet, d.h. in ihrer individuell ausgeprägten Persönlichkeit gesehen und nach und nach mit Menschenrechten ausgestattet. Personen sollen nie nur als Mittel behandelt werden; Nachteile eines Menschen sind nicht notwendig mit Vorteilen anderer zu rechtfertigen. Die menschliche Vielfalt ist anzuerkennen, und für Gesellschaften, die diese nicht unterdrücken, sollte eine Präferenz bestehen. Personalität steht daher auch in einem zentralen ethischen Kontext, ist sie doch einerseits z.B. Voraussetzung für die Zurechenbarkeit von Handlungen, für Lohn und Strafe, und andererseits hängt von der Definition der Personalität auch die Praxis in problematischen Grenzfällen ab, z.B. den Fragen rund um Abtreibung, Sterbehilfe, Todesdefinition, Tierversuche usw. (Ethische Probleme in der Neurowissenschaft). In der Philosophie ist Personalität daher nicht nur ein Gegenstand der Metaphysik (bis hin zur Frage nach einer individuellen Weiterexistenz nach dem Tod), sondern auch der Ethik und Rechtsphilosophie. Doch was ist eine Person?

Kriterien für Personalität

"Der Geist ist eine Art Theater, auf dem verschiedene Perzeptionen nacheinander auftreten, kommen und gehen, und sich in unendlicher Mannigfaltigkeit der Stellungen und Arten der Anordnung untereinander mengen [...] Die einander folgenden Perzeptionen sind allein das, was den Geist ausmacht, während wir ganz und gar nichts von einem Schauplatz wissen, auf dem sich jene Szenen abspielten, oder von einem Material, aus dem dieser Schauplatz gezimmert wäre." Diese Worte von David Hume (1739), der den Geist bloß als "Haufen" bzw. "Bündel" von Perzeptionen bestimmte, scheinen alarmierende Konsequenzen für unser Selbstverständnis nach sich zu ziehen: Die Verselbständigung der Perzeptionen macht das Ich oder die Person, die sie hat, nicht nur illusionär, sondern geradezu überflüssig. Nach Ernst Mach (1906), der ähnlich impressionistische Thesen vertrat, gehen die Empfindungen gewissermaßen "allein in der Welt spazieren". Und Robert Musil charakterisierte 1930 das Resultat dieser Überlegungen folgendermaßen: "Es ist eine Welt von Eigenschaften ohne Mann entstanden, von Erlebnissen ohne den, der sie erlebt, und es sieht beinahe aus, als ob im Idealfall der Mensch überhaupt nichts mehr privat erleben werde und die freundliche Schwere der persönlichen Verantwortung sich in ein Formelsystem von möglichen Bedeutungen auflösen solle." Freilich bedeuten Geist, Ich und Person keineswegs (notwendig) dasselbe, und so stellt sich die Frage, ob mit der Kritik an bestimmten Positionen nicht versehentlich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wurde. Durch die Fortschritte der modernen Kognitions- und Neurowissenschaften wissen wir mittlerweile jedenfalls einiges mehr als Hume über den Schauplatz, auf dem sich die Szenen unseres Geistes abspielen, und über das Material, aus dem dieser Schauplatz gezimmert ist.
Wodurch wird etwas zu jemand, zu einer Person? Zieht man sich nicht, wie es häufig geschieht, auf eine dogmatische Position zurück und definiert Personen als Menschen (oder sogar, wie z.B. in Sklavenhalter-Gesellschaften üblich, nur als Menschen bestimmter Klassen oder Stämme), müssen Bedingungen spezifiziert werden. Solche Kriterien sind insbesondere: Rationalität, intentionales und phänomenales Bewußtsein, Intentionalität höherer Stufe (und somit die Möglichkeit, anderen Intentionalität zuzuschreiben und sie als Personen zu behandeln), Selbst- und Ich-Bewußtsein (einschließlich der Fähigkeit zur Selbstreflexion, zu Wünschen höherer Stufe usw.), eine gewisse Autonomie des Handelns (Willensfreiheit) sowie das Vermögen zur Transzendenz der Gegenwart (explizite Bezogenheit zur eigenen und fremden Vergangenheit und insbesondere auch Zukunft), der Sprache, des reziproken oder altruistischen Handelns (Altruismus) und der Moralität. Ob diese Kriterien, die nicht alle unabhängig voneinander sind, bereits hinreichen, ist umstritten; auch besteht kein Konsens, ob alle notwendig sind. Zentral für Personalität erscheinen jedenfalls (auch vor dem Hintergrund verschiedener Kulturen und historischer Begriffsveränderungen) Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung – Termini also, die ebenfalls mehrdeutig verwendet werden. Neben diesem deskriptiven oder ontologischen Personenbegriff, der für Zuschreibung von Personalität wichtig ist, gibt es noch den normativen oder ethischen, der auf ein verantwortliches Handlungssubjekt mit Rechten und Pflichten referiert. Ob der erste Begriff eine notwendige Bedingung für den zweiten ist, oder beide unterschiedliche Aspekte desselben meinen, ist von Fall zu Fall verschieden. Fest steht, daß Personalität im Rahmen einer sozialen Zuschreibungspraxis konstituiert wird bis hin zu einem Postulat der Justiz. In den modernen Gesellschaften wird der Mensch, überspitzt gesagt, erst durch den Personalausweis zur Person. Mit den Worten von Bertolt Brecht: "Der Paß ist der edelste Teil von einem Menschen. Deshalb wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird." Doch über die Voraussetzungen, ohne die Personalitätskriterien gar nicht erfüllbar wären, bestehen noch viele Unklarheiten. Außerdem unterliegt der Personen-Begriff einem historischen Bedeutungswandel, der auch durch die Erkenntnisse der modernen Hirnforschung geprägt wurde. So gibt es keine oberste Instanz im Gehirn, kein Zentrum oder Homunculus, in dem sämtliche Sinneseindrücke zusammenlaufen und aus dem alle Impulse für die Muskeln entspringen. Diese Auffassung wurde von Daniel Dennett spöttisch als "cartesianisches Theater" bezeichnet, weil René Descartes einst einen solchen Punkt auszumachen glaubte und darin den Verbindungsort zu einer unsterblichen Seele jedes Menschen sah.

Theorien der Personalität

Descartes' Auffassung kann als Prototyp einer Ego-Theorie der Personalität angesehen werden. Danach ist eine Person durch ein substanzielles Ich ausgezeichnet, von dem in der Regel angenommen wird, daß es unbedingt sei und Willensfreiheit im Sinn von Erstauslösung besitzt. Substanz meint: was zu seiner Existenz keines anderen bedarf (abgesehen vielleicht von Gott). In dieser Hinsicht hat schon Boethius eine Person als eine individuelle Substanz einer rationalen Natur, als vernunftbegabtes Individuum bestimmt: "persona est naturae rationabilis individua substantia"; vgl. auch Cassiodor: "persona – substantia rationalis individua". Da Descartes im Gegensatz zum Idealismus die physische Welt nicht ontologisch auf den Geist reduzieren wollte, hat er für einen interaktionistischen Dualismus (cartesischer Dualismus) argumentiert. Dieser gerät jedoch in beträchtliche Probleme, z.B.: Von welcher Natur ist die Wechselwirkung? Wo und wie kann der physikalisch nicht determinierte Eingriff in die Kausalkette stattfinden? Ist ein solcher Libertarismus (Willensfreiheit) nicht ein Widerspruch in sich selbst? Weshalb kann das cartesianische Ich nur über das Gehirn oder einen speziellen Teil desselben in die natürliche Welt eingreifen (und wieso ein bestimmtes Ich gerade über dieses bestimmte Gehirn)? Wie sind mir überhaupt andere Ichs zugänglich, wie kann ich sie unterscheiden und reidentifizieren, wenn nicht über körperliche Kriterien? Wäre eine solipsistische Position (nach der es nur ein einziges Bewußtsein, nämlich mich selbst gibt) nicht einfacher und konsequenter? Oder wären andererseits panpsychistische Vorstellungen (wonach alles in der Welt beseelt ist) nicht wesentlich eleganter als der interaktionistische Dualismus? Was geschieht mit dem Geist, wenn der Körper beschädigt oder zerstört wird? Und wie verändert sich das cartesianische Ich (das doch einfach und in der Zeit identisch, ja sogar ewig ist) aufgrund von Vorgängen in der natürlichen Welt? Wie kann es Wissen erwerben, seine Meinung ändern, Stimmungen unterworfen sein und womöglich durch eine Vielzahl an psychischen und neuro(physio)logischen Faktoren beeinflußt oder gar getötet werden? Diese und andere Schwierigkeiten lassen das Postulat vom cartesianischen Ich unerklärbar, mysteriös, empirisch inadäquat und nicht verstandesmäßig begreifbar erscheinen; dieses Ich kann lediglich dogmatisch als primär und unanalysierbar postuliert werden.
Die wichtigste ontologische Alternative zur Ego-Theorie ist die Bündeltheorie der Personalität. Hiernach wird das Ich konstituiert, ist also nicht primär, unbedingt und erster Beweger, sondern in unablässiger Veränderung begriffen. Humes Version gerät aber gleichfalls in Schwierigkeiten, von seinen empiristischen Voraussetzungen ganz abgesehen. So vermochte er nicht zu erklären, und hat das auch offen eingeräumt, wie eine Verknüpfung der Perzeptionen ein Ich erschaffen und von diesem erkannt werden kann, wie also das Bündel zusammengehalten wird und wieso es meines ist. "Daß der Mensch in seiner Vorstellung das Ich haben kann, erhebt ihn unendlich über alle anderen, auf Erden lebenden Wesen. Dadurch ist er eine Person", schrieb später Immanuel Kant und warf die Frage auf, wie das Ich zu einer Einheit des Bewußtseins gelangt sowie zur Perspektive zu einem Zeitpunkt und über die Zeit hinweg. Schließlich, und das steht ebenfalls schon jenseits des Hume'schen Ansatzes, bleibt das Rätsel, wie Bewußtsein faktisch überhaupt entsteht.
Als Gegenvorschlag zu einer metaphorischen Leinwand in unserem Kopf (oder Geist) bzw. zu einer unendlichen Reihe ineinander verschachtelter Homunculi, aber auch zu Humes freischwebenden Perzeptionen ohne hierarchische Struktur und Bindung durch einen Ich-Begriff, bieten neurocomputationale Modelle das Konzept verteilter Repräsentationen (Gedächtnis) an, die miteinander interagieren, sich in einer nichtlinearen Dynamik selbst organisieren, parallel verarbeitet und durch räumliche und zeitliche Kopplungen miteinander verknüpft werden. Unser geistiges Erleben ist daher nicht bloß ein ungeordneter Haufen, sondern basiert auf einem zusammenhängenden, außerordentlich komplex strukturierten "Bündel" neuronaler Aktivitäten. Durch deren vielstimmiges Konzert, durch plastische Synapsen, die bestimmte Nervenbahnen effektiver zusammenschalten und so Gedächtnisspuren legen, durch einen komplexen Cocktail von Neurotransmittern, Neuromodulatoren und Neurohormonen sowie durch ein flirrendes Muster biochemischer Reaktionen soll diesem Ansatz zufolge die Symphonie unseres Bewußtseins entstehen. Damit soll zugleich die unlösbare Frage vermieden werden, wer denn wo die Theatervorführung betrachtet und spielt. Auch das Ich wird von dem Reigen der neuronalen Repräsentationen konstituiert. Es entsteht ein mentales Selbstmodell, das in ein Realitätsmodell eingebettet ist und so schnell und zuverlässig aktiviert wird, daß es vom Gehirn gar nicht als Modell erkannt werden kann. Wenn diese Hypothesen zutreffen, ist die cartesianische Vorstellung vom Deus ex Machina überflüssig geworden. Worauf ein solches Selbstmodell beruht, ist freilich noch weitgehend unbekannt. Grundlegend sind sicherlich kontinuierliche Reaktivierungen von Körperrepräsentationen, der emotionalen Verfassung sowie Erinnerungen (autobiographische Informationen zur Rekonstruktion von Identität: wer wir sind, was und wen wir mögen, welche Objekte wir benutzen, welche Ereignisse wir in welcher Reihenfolge erlebt haben, welche Pläne wir verfolgen usw.; episodisches Gedächtnis). Neben Wahrnehmung und Arbeitsgedächtnis sind auch Aufmerksamkeit, Rationalität, Emotionen, Langzeitgedächtnis, Sprache und Willkürmotorik für die Eigenerfahrung und Zuschreibung von Personalität wesentlich, schließlich ist eine Person nicht bloß Sensorium, sondern denkt, fühlt, bewertet, lernt und handelt auch. Diese Fähigkeiten sind ebenfalls an distinkte, wenn auch teilweise eng verknüpfte oder überlappende Hirnregionen gebunden, die ganz oder teilweise ausfallen können und, wie auch körperliche Beschädigungen, die Person regelrecht dezimieren können ( siehe Tab. 5 ).
Wichtig ist eine Unterscheidung zwischen explizitem Selbst- oder Ich-Bewußtsein einerseits und einer impliziten, phänomenalen, präreflexiven Selbstkenntnis andererseits, einem sogenannten de se-Wissen ("x glaubt, daß er selbst soundso"), dessen Attribution nicht auf Relationen in der Form von Wendungen de dicto ("x glaubt [die Proposition, das dictum], daß x soundso") oder Wendungen de re ("es gibt eine Sache [res], nämlich x, so, daß x mit y identisch ist, und x hält x für soundso") reduzierbar ist, so daß diese unmittelbare Selbstvertrautheit also gar kein propositionales Wissen ist, weshalb ein Subjekt-Gebrauch von Personalpronomen nicht auf einen Objekt-Gebrauch zurückgeführt werden kann. Vielleicht beruht diese Selbstkenntnis auf einer genetisch determinierten Neuromatrix im Gehirn, die ein kontinuierliches Körperempfinden und die zugehörige Meinigkeit instantiiert (und nach Amputationen Phantomwahrnehmungen generiert; Phantomglied). Würden sowohl dieser Eigen-Sinn als auch sämtliche sensorische Inputs ausbleiben, dann dürfte das Selbstmodell des Gehirns rasch zusammenbrechen (harmlosere Versuche in Isolationstanks mit minimalen äußeren Reizen deuten in diese Richtung).
Personalität ist weder ein statisches noch ein Alles-oder-Nichts-Phänomen; durch einzelne Ausfälle kann eine Person daher nicht nur verändert und verringert, sondern im Extremfall sogar ausgelöscht werden. Neuro(bio)logische Erkenntnisse unterstützen und illustrieren also philosophische Argumente gegen die Ego-Theorie und sprechen für eine modifizierte Bündeltheorie. Danach beruht Personalität nicht auf einem unbedingten, transzendenten, z.B. cartesianischen Ich, sondern auf dem komplexen Zusammenspiel vieler Hirnfunktionen. Insofern ist das Ich ein (allerdings nicht beliebiges) Konstrukt des Gehirns. Da unser Alltagsverständnis an die Ego-Theorie jedoch nicht notwendig gebunden ist, werden mit der Elimination der cartesianischen Ich-Substanz weder Selbstbewußtsein noch Personalität geleugnet oder als Trugbilder entlarvt! Zwischen Steinen, Dampfmaschinen und Menschen bestehen nach wie vor beträchtliche Unterschiede! Auch folgt aus den neurophilosophischen Aspekten einer Bündeltheorie der Personalität kein neuronaler Chauvinismus oder Reduktionismus. Denn Selbstbewußtsein und -bestimmung basieren, von der Frage nach ihrer multiplen Realisierbarkeit ganz abgesehen, auch auf einem zumindest teilweise intakten Körper und auf der Eingebundenheit in eine Lebenswelt, insbesondere in ein Sozialgefüge. Deshalb läßt sich Personalität weder methodisch noch epistemisch oder theoretisch auf das Vorhandensein bestimmter Gehirne reduzieren, auch wenn diese für uns eine notwendige Bedingung sind. Aus diesem Grund kann es nicht die Aufgabe der Neurowissenschaft sein, genauere Kriterien für Personalität sowie Umgangsformen bei Grenzfällen zu bestimmen oder ethische und juristische Kataloge aufzustellen; ihre Einsichten sollten dabei und für die Erforschung der philosophischen Konsequenzen jedoch so weit wie möglich berücksichtigt werden (Thomas Metzinger spricht in diesem Zusammenhang von "Anthropologiefolgenabschätzung"; Ethische Probleme in der Neurowissenschaft). Daniel Dennett hat das personale Selbst bzw. Ich eine Abstraktion genannt, "a center of narrative gravity", das durch die vielfältigen Erlebnisse, Erinnerungen und sozialen Zuschreibungen vom Gehirn konstruiert wird. Galen Strawson vergleicht es mit einer Perlenkette aus einzelnen Bestandteilen, nicht einer kontinuierlichen Einheit. Michael Gazzaniga spricht von einem "Interpreter" in der sprachdominanten Hemisphäre, der Handlungen plant und aus der Vielfalt der verfügbaren Informationen (einschließlich falscher Erinnerungen) ein scheinbar kohärentes Selbst- und Weltmodell konstruiert bzw. rationalisiert (bis hin zu pathologischen Konfabulationen). Auch Vilayanur Ramachandran interpretiert das Selbst als eine Art Exekutivfunktion, das von den Hirnarealen für Wahrnehmung, Motivation und Gedächtnis geleitet wird und die Aktivitäten anderer Hirnregionen, insbesondere für motorische Prozesse, kontrolliert. Dafür seien u.a. der vordere Gyrus cinguli und seine Wechselwirkung mit der Amygdala notwendig sowie die Schläfenlappen, wo epileptische Anfälle das (Selbst-)Bewußtsein vorübergehend massiv beeinträchtigen können (mit Halluzinationen, Synästhesie, Persönlichkeits- und Identitätsstörungen, emotionalen Entrückungen bis hin zu religiösen Phantasien, beeinträchtigtem Körperbild oder außerkörperlichen Erfahrungen, Allmachtsgefühlen, Willensstörungen und -verlust). Und nach Rudolfo Llinás wird das Selbst von einer temporalen Kohärenz im Wechselspiel synchronisierter neuronaler Oszillationen in thalamocorticalen Rückkopplungsschleifen (Bindungsproblem, Zeit und Gehirn) konstruiert: "Es bindet, also bin ich". Dieses Ich ist also eine Art Selbsterfindung auf Grundlage einer Selbstorganisation subpersonaler, neuronaler Prozesse einschließlich der darin repräsentierten Zuschreibungen im sozialen Mit- und Gegeneinander. – Schon Georg Christoph Lichtenberg hat dem cartesianischen "cogito ergo sum" einen mittlerweile klassischen Aphorismus entgegengesetzt: "Wir werden uns gewisser Vorstellungen bewußt, die nicht von uns abhängen; andere, glauben wir wenigstens, hingen von uns ab; wo ist die Grenze? Wir kennen nur allein die Existenz unserer Empfindungen, Vorstellungen und Gedanken. Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt [...] Das Ich anzunehmen, zu postulieren, ist praktisches Bedürfnis." Eine Theorie der Personalität, die diese Kritik am substanzialistischen Ich-Begriff teilt und von der Neurophilosophie mitgeprägt ist, braucht dieses Bedürfnis nicht zurückzuweisen oder zu eliminieren. Vielmehr versucht sie zu verstehen, wie es faktisch zustande kommt, was notwendig ist für (zumindest menschliche) Subjektivität sowie Perspektivität der ersten Person und Selbstbestimmung. Eine treffendere These zur Ontologie der Personalität lautet daher: Mein Gehirn ist, also denke ich.

Personale Identität

"Wir sind die Bilder, die wir von uns selber machen. Man wandelt sich. Wehe, wenn das Bild fixiert ist.", schrieb Luigi Pirandello. Oscar Wilde empfahl sogar, ein Tagebuch zu führen, damit man immer etwas Skandalöses zu lesen habe. Was sind die Bedingungen der Identität von Personen im Zeitablauf? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, daß eine Entität P zum Zeitpunkt t und eine Entität P' zum Zeitpunkt t' dieselbe Person ist? Und wie beeinflussen neurophysiologische Veränderungen (z.B. Drogen, elektrische oder magnetische Stimulationen, Transplantation von Nervenzellen) und neuropsychologische Störungen (z.B. Depersonalisation, Frontallappensyndrom, psychogene Amnesie für das episodische Gedächtnis) die personale Identität?
1) Nach der sogenannten antireduktionistischen einfachen Sicht besteht die diachrone (geschichtliche) Identität der Person in einer nicht weiter analysierbaren Tatsache, ist eineindeutig und intrinsisch (s.u.). Kriterien wie Erinnerung, Körper oder Gehirn (s.u.) sind dafür nicht konstitutiv oder hinreichend, spielen aber bei der Erkennbarkeit der Identität eine Rolle, sind also nur epistemische Kriterien. Wichtigstes Beispiel für diese antireduktionistische Auffassung ist die substanzialistische Position: Danach ist eine unteilbare Ich-Substanz der Träger der Identität, ein cartesianisches Ego (s.o.). Aufgrund der Schwierigkeiten dieser Position wurde freilich schon früh nach anderen, verständlicheren und pragmatischeren Kriterien Ausschau gehalten.
2) John Locke hat 1694 das Kriterium für personale Identität in das Selbstbewußtsein der jeweiligen Person verlegt: "[...] da das Bewußtsein das Denken stets begleitet und jeden zu dem macht, was er sein Selbst nennt und wodurch er sich von allen anderen denkenden Wesen unterscheidet, so besteht hierin allein die Identität der Person, das heißt das Sich-Selbst-Gleich-Bleiben eines vernünftigen Wesens. Soweit nun dieses Bewußtsein rückwärts auf vergangene Taten oder Gedanken ausgedehnt werden kann, so weit reicht die Identität dieser Person." Um diese Auffassung zu illustrieren, ersann Locke den hypothetischen Fall, daß die Seele eines Fürsten mitsamt seinen Erinnerungen in den Körper eines Schusters gerät, aber auch in diesem Körper noch für ihre vergangenen Taten verantwortlich sei. Seither wurden zahlreiche weitere raffinierte Gedankenexperimente diskutiert, um die Definition und Kriterien für personale Identität zu explizieren. Kritikern zufolge ist diese Methode aber irreführend: Die Beispiele sind oft unzureichend ausgeführt und verschleiern dadurch in ihrer Suggestivität die wahren Probleme; unsere Alltagsintuitionen und -begriffe sind auf solche abenteuerliche "Märchen" schwer anwendbar; und in der Realität haben solche Probleme auch wenig Relevanz. Diese Einwände sind aber problematisch, da die Realität sich ändert (hier ist gerade auch der Fortschritt der Neurowissenschaft von Bedeutung) und die bisherige Konvergenz der verschiedenen Kriterien unterlaufen kann, und da die Gedankenexperimente zunächst nur Illustrationen darstellen, um konzeptuelle Unschärfen und Unterbestimmtheiten zu erkennen und damit die Begriffe und Theorien zu präzisieren. Dies ist in der modernen analytischen Philosophie vor allem Denkern wie Derek Parfit, John Perry, Sidney Shoemaker, David Wiggins und Bernard Williams zu verdanken. Gegen Lockes Erinnerungskriterium spricht der hypothetische Fall eines Mannes namens Karl, der alle Erinnerungen des Götz von Berlichingen besitzt. Ist Götz in Karls Körper wieder auferstanden (Reinkarnation?), d.h. ist Karl mit Götz identisch? Oder ist Karls Gehirn durch eine Science-fiction-Technik oder einen unglaublichen Zufall gleichsam neu programmiert worden? Wenn so ein Fall logisch möglich ist, könnte er sich auch ein zweites Mal ereignen, z.B. bei Karls Bruder Robert. Ist dann auch Robert mit Götz identisch? Dieser Verdoppelungseinwand zeigt, daß Erinnerungen für die personale Identität nicht ausreichen. Zusätzlich wird deshalb ein Eineindeutigkeitsprinzip gefordert, wonach die Identität eine eineindeutige Relation ist. Dies wäre z.B. durch ein Körperkriterium zu gewährleisten. Doch Erinnerung und Körper können, wie schon Lockes Beispiel zeigt, miteinander in Konflikt treten. Angenommen, man könnte die Gehirne von Menschen aus dem Schädel lösen, um z.B. einen Tumor zu entfernen. Dann ist es möglich, daß das Gehirn des Patienten Brown versehentlich in den Körper des Patienten Robinson eingepflanzt wird und umgekehrt. Nach der Operation stirbt der Patient mit Robinsons Körper und Browns Gehirn. Wer ist nun der andere, überlebende Patient? Brownson, wie man ihn nennen könnte, hat Browns Körper, aber Robinsons Bewußtsein und Erinnerungen. Hier ist das Erinnerungskriterium stärker als das Körperkriterium. Daraus wurde geschlossen, daß nicht der Körper, sondern das Gehirn entscheidend ist. Ähnlich verhält es sich, wenn das Gehirn in einen Maschinenkörper verpflanzt würde oder bloß noch in einem Tank mit Nährlösungen läge und mit der Außenwelt lediglich über elektrische Leitungen verbunden wäre. Mit diesem Gehirnkriterium können auch Fälle entschieden werden, die technisch bereits an der Schwelle der Realität sind: Kopf- oder besser Ganzkörpertransplantationen (eine Idee, die Thomas Mann schon 1940 in seiner Erzählung "Die vertauschten Köpfe" vorweggenommen hat). Künftig läßt sich vielleicht das Leben schwerkranker Menschen retten, wenn ihr Kopf auf einen anderen Körper verpflanzt wird (was mit Affen bereits versucht wurde – freilich ist momentan dann eine Ganzkörperlähmung nicht zu vermeiden (Locked-in-Syndrom), aber der Kopf kann im Prinzip vom Ersatzkörper ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden). Das Gehirnkriterium knüpft an die naturalistische Theorie des Bewußtseins an, wonach mentale Prozesse ontologisch von materiellen Vorgängen erzeugt werden (Geist und Gehirn, Leib-Seele-Problem): Erinnerungen werden kausal analysiert und auf eine physische Realisationsbasis bezogen. Danach basiert personale Identität auf kausaler Kontinuität von Gehirn und Erinnerung. (Ein ununterbrochener Bewußtseinsstrom wird dabei nicht vorausgesetzt; er ist aufgrund der Unterbrechungen z.B. durch den Tiefschlaf auch nicht gegeben.) Doch das Gehirnkriterium garantiert noch keine Einheit der Person. Diese wird z.B. durch dissoziative Identitätsstörungen (früher multiple Persönlichkeitsstörungen genannt) sowie Split-Brain-Patienten in Frage gestellt, weil hier verschiedene, sich oft widersprechende Gedanken, Wünsche und Handlungen isoliert nebeneinander stehen können. Wird hier, wie oft behauptet wurde, eine Person gleichsam in zwei oder mehr gespalten? Richtig ist wohl das Gegenteil: Es kommt zu einer partiellen Beschränkung von Selbstkenntnis und -autonomie durch Unterbrechung der Informationsflüsse in einem Netzwerk, das nur als Ganzes alle Merkmale kohärenter Personalität besitzt. Split-Brains können diese Lücken aber durch Input-Redundanz, Körper-Feedback und Konfabulation größtenteils schließen bzw. übertünchen (und von den subcorticalen Arealen, insbesondere dem limbischen System, das für Emotionen und Motivation wesentlich ist, werden die Hemisphären ja nach wie vor gleichermaßen beeinflußt). Hier wie bei Anosognosien wird das Bemühen der linken Hemisphäre um Einheit und Widerspruchsfreiheit deutlich sowie ihr Überschießen, wenn die Korrekturfunktion der rechten Hirnhälfte ausfällt, die bei der Realitätsprüfung für Paradigmenwechsel offenbar stärker prädestiniert ist (Capgras-Syndrom). Bei einer linksparietalen Schädigung dagegen sind die Äußerungen der rechten Hirnhälfte, insofern sie (was selten vorkommt) zur Sprache befähigt ist, vor allem emotionalen und konkreten Inhalts ohne Rücksicht auf Konsistenz. – Trotzdem ist es logisch möglich, daß ein Gehirn so geteilt wird, daß beide Hälften über die vollständigen Erinnerungen der Person verfügen. Was folgt daraus für den Begriff der personalen Identität? Angenommen, die beiden Hälften des Gehirns von Herrn Brown hätten jeweils ein eigenes, aber weitgehend ähnliches Bewußtsein und würden in zwei unterschiedliche Körper transplantiert. Dann sind entweder beide Personen, Brown I und II, mit Brown identisch oder aber keine von beiden (es wäre kaum zu rechtfertigen, Brown entweder mit Brown I oder mit Brown II zu identifizieren). Nach dem Eineindeutigkeitsprinzip (s.o.) müßte man für letzteres optieren: Brown, Brown I und Brown II sind unterschiedliche Personen. Doch dann könnte man z.B. auch nicht sagen, daß Brown I mit Brown identisch ist, wenn Brown II stirbt. Wollte man dies sagen und die Theorie der personalen Identität generell auf "Nachfolger" erweitern, die mit ihren Vorgängern identisch sind, solange kein Konkurrent (wie Brown II) existiert, müßte man das mit der Identitätsrelation eng verbundene Intrinsitätsprinzip aufgeben. Danach darf die Identität von Person P zum Zeitpunkt t mit P' zu t' nur von Fakten über P, P' und den intrinsischen Relationen zwischen P und P' abhängen; keine Fakten über irgendwelche anderen Personen können einen Einfluß darauf haben, ob P' mit P identisch ist oder nicht. Nach der extrinsischen Theorie der personalen Identität können auch Fakten herangezogen werden, die Entitäten betreffen, mit denen P und P' nicht identisch sind (z.B. Brown II). Reduktionistische Theorien der personalen Identität müssen also a) entweder das Intrinsitätsprinzip aufgeben (und etwaige Konkurrenten oder soziale Faktoren berücksichtigen), oder sie müssen b) vom Eineindeutigkeitsprinzip absehen (und z.B. die Rede von der Lebenszeit-Identität durch eine Sprechweise von einzelnen Personenstadien ersetzen), oder sie lassen c) Fälle zu, in denen nicht entscheidbar ist, ob die diachrone Identität einer Person besteht oder nicht (wobei Identität hier auch durch eine Relation der psychischen oder physischen Kontinuität ersetzt werden könnte), und in denen dies womöglich nicht einmal von größter Bedeutung ist. Denn hier läßt sich noch immer der subjektiv wichtigere Zukunftsbezug erörtern, den eine Person relativ zu seinem diachronen Nachfolger hat. So wird sich Brown bei einem potentiellen Körpertausch mit Robinson sicherlich weniger mit dem Körper von Brown (der das Gehirn von Robinson erhält) als mit dem Gehirn von Brown (im Körper von Robinson) identifizieren. Das Erinnerungskriterium ist also auch hier wieder stärker als das Körperkriterium. Doch Brown wird seinen Zukunftsbezug auch nicht verlieren, wenn er z.B. erfährt, daß er gefoltert werden wird, aber sich bis dahin weder an die Vorhersage der Folterung noch an irgend etwas anderes aus seinem Leben erinnern oder sogar völlig andere Dinge für wahr halten wird als jetzt (er könnte sich z.B. für jemand anderen halten). Die Sorge um die eigene Zukunft wird also nicht aufgehoben durch die Aussicht auf Wahnvorstellungen oder eine totale psychogene Amnesie, obwohl diese das Erinnerungskriterium unterlaufen. Die künftige Zerstörung der personalen Identität unterminiert den momentanen Zukunftsbezug einer Person also nicht. Derek Parfit meint deshalb, daß die personale Identität viel weniger wichtig sei, als psychische Verbundenheit und Überleben. Nach seiner Überzeugung läßt sich das Problem der personalen Identität dadurch auflösen, daß die Annahme einer logisch schwächeren Relation als die der Identität ausreicht. Dann gäbe es gleichsam nur noch eine Abfolge von Personenstadien, nicht aber eine in sich wesentlich gleichbleibende Person. Diese impressionistische Sicht hat schon Marcel Proust vorweggenommen, der glaubte, "daß zu ein und derselben Zeit widersprechende Wesen in unserem Innern wechseln" und "daß jeder von uns nicht ein einziger, sondern eine Unzahl von Personen ist, die nicht den gleichen moralischen Wert besitzen." Ähnliches diagnostizierte der von Ernst Mach beeinflußte Robert Musil: "Das Ich verliert die Bedeutung, die es bisher gehabt hat, als ein Souverän, der Regierungsakte erläßt; wir lernen sein gesetzmäßiges Werden verstehen, den Einfluß seiner Umgebung, die Typen seines Aufbaus, sein Verschwinden in den Augenblicken der höchsten Tätigkeit, mit einem Wort, die Gesetze, die seine Bildung und sein Verhalten regeln [...] die Gesetze der Persönlichkeit", und da "Gesetze wohl das Unpersönlichste sind, was es auf der Welt gibt, wird die Persönlichkeit bald nicht mehr sein als ein imaginärer Treffpunkt des Unpersönlichen". Sobald man das Ich zu analysieren beginnt, "löst es sich in Relationen und Funktionen auf". Allein die lückenlose Reihe hält diese Relationen noch zusammen: "Denn Gefühle leben nur in einer langen Kette anderer, einander haltend, und es kommt bloß darauf an, daß ein Punkt des Lebens sich ohne Lücke an den andern reiht, und es gibt hundert Weisen." – Das wirft freilich nicht nur ontologische und konzeptuelle, sondern auch existenzielle und ethische Fragen auf: Welches Selbstbild ist dann noch möglich, inwiefern kann man Pläne machen oder als eigenständiges Individuum in der Welt agieren? Wie steht es um die Zurechenbarkeit der Personen, um Verpflichtungen, Haftungen, Verantwortung? Würde unsere soziale Praxis durch eine Personenstadien-Ontologie nicht völlig untergraben? Oder würden wir von Zwängen und Altlasten unserer Vorgänger befreit?
3) Personalität hat eben nicht nur eine subjektive, psychische Seite, sondern wird in einer Zuschreibungspraxis auch von außen, d.h. sozial konstituiert (und zwar schon im Umgang mit Kleinkindern, die Ich-Bewußtsein und Empathie ja wesentlich im sozialen Kontext entwickeln). Diese Zuschreibung erfolgt aber über physische Kriterien: Gattungszugehörigkeit (weshalb Personen noch immer größtenteils mit Menschen identifiziert werden) und Verhalten (inkl. verbaler Kommunikation). Personen sind verkörperlicht, und die körperliche Identität spielt auch für die personale Identität eine Rolle – manche halten sie sogar für eine notwendige Bedingung. Das stellt freilich das Erinnerungs- und Gehirnkriterium in Frage. Wenn man von eineiigen Zwillingen absieht, sind physische Merkmale distinktive Reidentifikationskriterien, und sie beeinflussen auch Gehirn und Erinnerung. War Brown ein schmächtiger, nervöser alter Mann, wird sich sein Geist und Gehirn im fettleibigen, phlegmatischen Körper des jungen Robinson anders fühlen und ausdrücken. Und wenn Karl sich für Götz von Berlichingen hält und all dessen Erinnerungen hat, heißt dies noch nicht, daß er Götz ist: Exakte Ähnlichkeit ist nicht Identität. Faktisch lebt Karl nicht in der Zeit von Götz, und wenn Erinnerungen voraussetzen, daß sie wahr sind, dann ist Karl hellsichtig oder er fabuliert, aber seine Gedanken können sich nicht auf die Taten von Götz beziehen, denn Karl hat diese Taten nicht begangen. Auch wurde kritisiert, daß Selbstbewußtsein personale Identität nicht konstituieren kann, weil es sie voraussetzt, ähnlich wie Wissen Wahrheit voraussetzt. Freilich lassen sich komplizierte Fälle konstruieren, die das Körperkriterium wieder zweifelhaft machen – insbesondere, wenn man auch funktionalistische Aspekte berücksichtigt und mit der Möglichkeit der Ersetzbarkeit verknüpft: Angenommen, alle psychischen Zustände könnten erhalten werden, wenn sich die mit ihren strikt korrelierten neuronalen Zustände auf ein anderes Substrat übertragen ließen, z.B. einen Computer, oder wenn sie Atom für Atom verdoppelt werden könnten. Dann wäre es möglich, ein Bewußtsein beliebig oft zu duplizieren und, wenn jedes davon mit dem Ursprungskörper verknüpft wäre, sogar zwischen ihnen hin- und herzuschalten. Auch hier wird das Alles-oder-Nichts-Phänomen der Identität durch ein graduelles Phänomen der Kontinuität abgelöst. Solche bizarren Fälle illustrieren, wie sich unter Extrembedingungen der Begriff der personalen Identität auflöst und selbst Ersatzstrategien wie "der engste Nachfolger" problematisch werden. Daraus folgt aber nicht, den einzelnen Bewußtseinen ihren Personenstatus abzusprechen. Allerdings lassen sie sich auch nicht miteinander identifizieren, wenn sie, ausgehend von ihrer gemeinsamen Vergangenheit, eigene Entwicklungswege eingeschlagen haben. Solche Teilungsfälle könnten auch zu ethischen und juristischen Komplikationen führen, wenn es z.B. darum ginge, einen Rechtsnachfolger für Taten zu finden, die die Person vor der Duplikation begangen hat. – Die soziale Dimension der Personalität zeigt sich noch auf eine andere, und viel konkretere und alltäglichere Weise: "Ein jeglicher spielt viele Rollen zu seiner Zeit", verglich William Shakespeare das Menschenleben mit einem Schauspiel (Karl Marx sprach von der "Charaktermaske", William James vom "sozialen Selbst"). In den vielen sozialen Rollen, die jeder ständig und abhängig von der sozialen Umgebung immer wieder anders spielen muß, wird besonders deutlich, wie problematisch der Begriff der personalen Identität schon über relativ kurze Zeiträume betrachtet ist. So kann ein Mensch z.B. Mann, Ehemann, Hausmann, Vater eines erwachsenen Sohnes, Philosophieprofessor, Vereinsvorsitzender, Laienprediger und Hobbyangler sein. Andererseits wirkt der Rollenzwang auch identitätsbildend, insofern sich gewisse Stereotypien verfestigen.
Fazit: Das Problem der personalen Identität hängt von den zugrunde gelegten Kriterien ab, aber auch von der Definition der Begriffe Person und Persönlichkeit. Darüber hinaus könnte die Frage einfach irreführend sein und gar keine eindeutige Antwort haben, weil die Identität selbst problematisch und vielleicht nicht einmal entscheidend ist. Das mag die Frage nach der Identität eines Nationalstaats illustrieren: Ist z.B. die heutige Bundesrepublik Deutschland identisch mit jener von 1990 oder mit jener von 1989 oder mit jener von 1949 oder gar mit der Weimarer Republik, und wenn ja inwiefern? Dieses Beispiel veranschaulicht aber noch etwas anderes: Kontinuität und historischer Wandel tragen selbst zu einer spezifischen Identität bei. So sind auch Personen nicht nur Marionetten der äußeren Umstände, sondern werden von inneren Determinanten geprägt: Jeder trägt unvermeidlich durch sein Denken und Tun zu dem bei, wer und was er ist. Personen sind nicht fest geformt und statisch wie eine Maske, aus deren lateinischer Bezeichnung (etruskischen Ursprungs) persona sich das Wort ableitet.

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Persönlichkeit und Personalität

Tab. 1: Dispositionsarten in der Alltagspsychologie

Dispositionsart Beispiele
aktbefähigend Intelligenz, Einfühlungsvermögen, Geschick, Kraft
aktgestaltend Umsicht, Vorsicht, Trägheit, Wankelmut, Humor
Wissensvorrat Selbstbild, Sprachkenntnisse, Alltagsphysik
Neigungsdispositionen Reiselust, Geiz, Aggressivität, Fremdenfeindlichkeit
Normdispositionen Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit, Manieren
Gefühlsdispositionen Ängstlichkeit, Lustigkeit, Erregbarkeit, Schamhaftigkeit

Persönlichkeit und Personalität

Tab. 2: Die fünf wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale

Faktor untergeordnete Eigenschaften (Beispiele)
Neurotizismus, emotionale Instabilität Nervosität, Ängstlichkeit, Erregbarkeit
Extraversion Geselligkeit, Schüchternheit, Impulsivität
Liebenswürdigkeit, Verträglichkeit Wärme, Hilfsbereitschaft, Toleranz
Gewissenhaftigkeit Ordentlichkeit, Beharrlichkeit, Zuverlässigkeit
Kultur, Offenheit für Erfahrung, Intellekt Bildung, Kreativität, Sinn für Kunst

Persönlichkeit und Personalität

Tab. 3: Drei Persönlichkeits-Haupttypen anhand der fünf wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale
Angegeben sind nur die fünf stärksten und schwächsten Faktorenwerte. Diese Typologie gilt für Kinder, fällt bei Erwachsenen aber sehr ähnlich aus.

Ausprägung resilienter Typ überkontrollierter Typ unterkontrollierter Typ
aufmerksam kommt gut mit anderen aus vital, lebhaft
tüchtig, geschickt rücksichtsvoll unruhig, zappelig
stark Selbstvertrauen hilfsbereit hält sich an keine Grenzen
voll bei der Sache gehorsam, gefügig äußert negative Gefühle
neugierig verständig, vernünftig schiebt Schuld auf andere
Stimmungsschwankungen Selbstvertrauen furchtsam, ängstlich
unreifes Verhalten unter Streß hält sich an keine Grenzen bei Konflikten nachgebend
schwach verliert leicht Kontrolle Selbstsicherheit hohe Ansprüche an sich
ist schnell beleidigt ärgert andere gehemmt
fängt rasch zu weinen an aggressiv grübelt oft

Persönlichkeit und Personalität

Tab. 4: Kultur und Selbstkonzept

Aspekt unabhängiges Selbstkonzept vernetztes Selbstkonzept
Kultur individualistisch (z.B. Deutschland, Frankreich, USA) kollektivistisch (z.B. Japan, China, Indien)
Struktur abgegrenzt, einheitlich, stabil dehnbar, variabel
Merkmale privat (Fähigkeiten, Gedanken, Gefühle) öffentlich (Status, Rolle, Beziehung)
Ziele sei einzigartig
sei echt
realisiere innere Eigenschaften
verfolge eigene Interessen
sage, was du denkst
füge dich ein
nehme deinen Platz ein
verhalte dich normkonform
fördere die Interessen deiner Gruppe
versetze dich in die Lage anderer
Rolle anderer Selbstbewertung durch sozialen Vergleich Selbstdefinition durch Beziehung mit anderen
Lebenszufriedenheit korreliert stark mit Selbstwertgefühl, Affektbalance und Zufriedenheit mit Freundschaften
ist Ausdruck privaten Erlebens
korreliert stärker mit finanzieller Zufriedenheit (insbesondere in ärmeren Ländern)
wird stärker durch subjektive Normen über die Angemessenheit hoher Zufriedenheit beeinflußt

Persönlichkeit und Personalität

Erbliche Komponenten komplexer Persönlichkeitsmerkmale:
Erste Erfolge konnte die molekulargenetische Persönlichkeitsforschung bereits verzeichnen.
1) Es besteht beispielsweise ein Zusammenhang zwischen Neugier (bzw. Suche nach neuen Reizen) und einer Veränderung im Dopamin-D4-Rezeptorgen (DRD4): Der Polymorphismus betrifft mehrere Wiederholungssequenzen eines 48-bp-Motivs. Individuen mit mehreren Repeats hatten signifikant höhere Neugierkoeffizienten als solche mit weniger Repeats. Darüber hinaus wurden auch das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom und Hyperaktivität positiv mit der Frequenz des Motivs korreliert, und zwar unabhängig voneinander in zwei Kulturkreisen bzw. ethnischen Gruppen.
2) Auch Gene für Transkriptionsfaktoren sind mit Persönlichkeitsmerkmalen assoziiert. So hat das AP-2β-Gen Einfluß auf Muskelspannung, Ängstlichkeit, Psychasthenie und Aggression. Da zahlreiche Proteine im dopaminergen und serotonergen System Bindungsstellen für AP-2β haben, wird vermutet, daß der Transkriptionsfaktor nicht nur während der Gehirnentwicklung auf Persönlichkeitsmerkmale Einfluß nimmt, sondern auch noch im Erwachsenenalter.
3) Das Serotonin-Transporter-Allel korreliert mit Ängstlichkeit bzw. Depression. Serotonin-Metabolismus und -Aufnahme sind ursächlich mit der Entstehung von depressiven Gemütszuständen verknüpft und Ziel für viele antidepressive Pharmazeutika. Eine polymorphe Region im Promotor des Serotonin-Transporter-Gens beeinflußt die Transkriptionseffizienz. Der Polymorphismus trägt 7-9% zur Gesamtvarianz ängstlichkeitsbestimmter Persönlichkeitsmerkmale bei, was auf insgesamt 10-15 Gene schließen läßt, die an der Variabilität solcher Eigenschaften mitwirken. Personen mit der kurzen Form des Gens sind eher ängstlich, besorgt, vorsichtig und pessimistisch als Träger der langen Form.
Im Gegensatz zur Psychodiagnostik erfaßt die Genomanalyse freilich nicht die aktuell realisierte Persönlichkeit, sondern das Persönlichkeitspotential. Der Schluß auf eine eineindeutige, strikte genetische Determination von Persönlichkeitsmerkmalen wäre also irreführend und überspitzt.

Persönlichkeit und Personalität

Tab. 5: Neuropsychologie von Störungen des Selbstmodells
Alle repräsentationalen Zustände, die in einem aktiven Selbstmodell verbunden sind, haben die höherstufige Eigenschaft der phänomenalen Meinigkeit (Subjektzentriertheit: die selbst erlebten Zustände werden als die eigenen erfahren). Wenn die Integrationsprozesse gestört werden, kann das Selbstmodell in vielerlei Hinsicht beeinträchtigt werden und mit ihm die Erfahrungen von Meinigkeit und/oder Perspektivität.

Störungen Beeinträchtigung des Selbstmodells
Agnosien, Neglecte usw. Patienten empfinden sich selbst dezimiert im Gegensatz zu anderen Krankheiten, die man lediglich als körperliche Beeinträchtigungen erlebt, nicht aber als Teil der eigenen Person
linksseitige Hemiplegie und Hemianästhesie Verlust des Bewußtseins der Meinigkeit von Gliedmaßen und der Empfindungen damit
sensorische Polyneuritis Ausfall großer Teile des Körpergefühls (aber nicht des Bewußtseins von Meinigkeit)
Capgras-Syndrom Photos der eigenen Person werden betrügerischen Doppelgängern zugeordnet; Aufbrechen der Einheit des Selbsts und der personalen Identität
Ich-Störungen (Depersonalisationserscheinungen,
bestimmte Formen von Schizophrenie)
Gedanken oder Handlungen werden nicht mehr als die eigenen erfahren,
sondern als fremdgesteuert; die phänomenale Perspektive der ersten Person ist beeinträchtigt
Fremde-Hand-Syndrom die eigene Hand führt Bewegungen gegen den eigenen Willen aus
Manien, Paranoia,
mystische Zustände
Verschwinden der Zentriertheit des Bewußtseins und somit der
Ich-Welt-Trennung ("ozeanische Empfindungen", z.B. in ekstatischen Zuständen, wenn sich die Grenzen zwischen den Dingen und einem selbst auflösen), Gefühl der totalen Kontrolle
dissoziative Identitätsstörungen (multiple Persönlichkeitsstörungen); Split-Brain-Fälle Infragestellung der Einheit der Person, weil verschiedene, sich oft widersprechende Gedanken, Wünsche und Handlungen isoliert nebeneinander bestehen bzw. voneinander ausgeführt werden können
außerkörperliche Erfahrungen Eindruck des Blicks von oben auf den eigenen Körper (bedingt vielleicht durch
die Trennung des phänomenalen Selbstmodells und des propriozeptiven Feedbacks)
Anosognosien Ausfall des "Wirklichkeitssinns" (für eigene Ausfälle), z.B. Abstreiten der eigenen Paralyse oder Blindheit

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