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Lexikon der Neurowissenschaft: Split-Brain-Patient

Split-Brain-Patient, Spalthirnpatient, E split brain patient, ein Patient, an dem eine operative Durchtrennung des Balkens (Callotomie) durchgeführt wurde. Heute wird zumeist nur der vordere Teil des Balkens durchtrennt, das Splenium und die Kommissuren bleiben ausgespart. Indiziert ist die Callotomie bei multifokalen grand mal-Epilepsien, die mit gefährlichen Sturzanfällen einhergehen. Von der Durchtrennung des Balkens wird erwartet, daß die Ausbreitung der epileptischen Aktivität von einer zur anderen Hemisphäre verhindert wird. Bei ca. 70% der Patienten wird eine deutliche Besserung ihres Leidens erreicht; der Anteil der Patienten, bei denen Anfallsfreiheit erreicht wird, ist dagegen gering (ca 5%). Aus der Forschung an Split-Brain-Patienten konnten wesentliche Erkenntnisse über die Hemisphärenspezialisierung gewonnen werden, da sich bei ihnen die Möglichkeit ergibt, die Funktion jeder Hirnhälfte getrennt zu ermitteln. Es zeigte sich z.B., daß diejenige Hirnhälfte, in der das Broca-Areal liegt (bei rechtshändigen Personen meist die linke Hirnhälfte), die dominante ist ( siehe Zusatzinfo ). Asymmetrie des Gehirns, cerebrale Dominanz.

Split-Brain-Patient

Die Frage nach der Einheit des Bewußtseins:
Eine Durchtrennung des Balkens und somit eine weitgehende Separation der beiden Großhirnhälften hat nicht nur erstaunliche Folgen in experimentellen Testsituationen, sondern wirft auch tiefgehende philosophische Fragen über das Bewußtsein sowie die Natur von Persönlichkeit und Personalität auf. Die fünf wichtigsten rivalisierenden Interpretationen sind: 1) Das Bewußtsein ist bei Split-Brain-Patienten nicht geteilt, weil die Hemisphäre ohne Sprachfähigkeit (in der Regel die rechte) nicht bewußt ist. 2) Das Bewußtsein wird nur unter den experimentellen Randbedingungen geteilt, ist aber im Alltagsleben eine Einheit. 3) Das Bewußtsein wird die ganze Zeit geteilt. 4) Das Bewußtsein ist geteilt, aber nur in einer Weise, die deutlich macht, daß auch unter normalen Bedingungen ständig zwei Bewußtseine in einem Kopf lokalisiert sind. 5) Keine dieser Interpretationen paßt zu den Tatsachen, und deshalb müssen wir unsere Annahme aufgeben, daß eine scharfe Trennung zwischen einem Bewußtseinsstrom und zweien getroffen werden kann. – Die Entscheidung zwischen diesen Hypothesen ist schwierig und vielleicht mit empirischen Mitteln allein gar nicht zu fällen. Die Daten machen es allerdings nicht sehr wahrscheinlich, daß ein Split-Brain-Patient, wie früher behauptet wurde, gleichsam in zwei oder mehr Personen gespalten wird. Es kommt vielmehr zu einer partiellen Beschränkung von Selbstkenntnis und -autonomie durch Unterbrechung der Informationsflüsse in einem Netzwerk, das nur als Ganzes alle Merkmale kohärenter Personalität besitzt. Split-Brains können diese Lücken aber durch Input-Redundanz, Körper-Feedback und Konfabulation größtenteils schließen bzw. übertünchen. Außerdem werden beide Hemisphären weiterhin von den subcorticalen Arealen beeinflußt, insbesondere vom limbischen System, das für Emotionen und Motivation wesentlich ist. Insofern ist das Bild eines völligen Schnitts (durch ein "II" symbolisiert) irreführend und besser durch das eines "Y" zu ersetzen, bei dem der beiden Armen (Hemisphären) gemeinsame untere Strich die subcorticalen Bereiche symbolisiert. Dies spricht für Interpretation 2). Allerdings gibt es experimentelle Befunde, die auch der Interpretation 5) eine gewisse Plausibilität verleihen, denn die neurophysiologischen Daten passen nicht zur Annahme eines singulären Bewußtseinsstroms, der gleichsam an einer zentralen Stelle im Gehirn zusammenkommt oder von dieser entspringt.

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