Direkt zum Inhalt

Lexikon der Optik: Brille

Brille, aus zwei Brillengläsern und der Brillenfassung bestehende Sehhilfe, die hauptsächlich zur Korrektion von Fehlsichtigkeiten dient. Des weiteren gibt es Schutzbrillen, z.B. Arbeitsschutzbrillen und Lichtschutzbrillen, sowie medizinische Spezialbrillen.

Brillenanfertigung. Die Korrektionswerte der Brillengläser werden bei der Refraktionsbestimmung (Brillenglasbestimmung) ermittelt. B. können ihre Funktion nur erfüllen, wenn die Gläser die erforderliche Lage vor den Augen haben (Brillenzentrierung), und wenn die Fassung der jeweiligen Kopfform angepaßt ist (Brillenanpassung). Schutzbrillen ohne optische Korrektionswirkung können industriell gefertigt sein. Optische Korrektionsbrillen, auch Schutzbrillen mit Korrektionswirkung, werden nach handwerklichen Methoden angefertigt. Dabei entsteht in der Werkstatt des Augenoptikbetriebes aus den Halbfabrikaten Brillenfassung und Brillengläser die B. als Finalprodukt. Zu diesem Zweck werden die Ränder der Brillengläser durch Schleifen so bearbeitet, daß sie form- und größengetreu in die nach individuellen Wünschen und Gegebenheiten ausgewählte Brillenfassung eingepaßt werden können und somit eine definierte Stellung zu den Augen bekommen. Normalerweise sind dazu folgende Arbeitsgänge notwendig: Messen und Justieren der Brillengläser, Lagebestimmen der Linsen zur Randbearbeitung, Randschleifen, Verbinden der Gläser mit der Fassung, Richten der Fassung, Kontrolle der optischen Werte und der vorgeschriebenen Brillenmaße, Brillenanpassung und Funktionsprobe am Patienten.

Geschichtliches. In der Antike hat es noch keine B. gegeben, obwohl linsenförmige Schmuckstücke aus Bergkristall archäologisch nachgewiesen worden sind. Die lichtsammelnde und vergrößernde Wirkung von gläsernen Kugelflächen (Aristophanes um 445 bis 386 v.u.Z.) sowie von wassergefüllten gläsernen Hohlkugeln (Seneca 4 v.u.Z.-65 u.Z. und Ptolemäus 88-160 u.Z.) war zwar bekannt, aber auf die praktische Anwendung von Vergrößerungsgläsern gibt es keinerlei Hinweise. Der berühmte Smaragd, der Plinius (gestorben 79 u.Z.) zufolge durch Kaiser Nero benutzt worden sein soll, hatte höchstwahrscheinlich nur Lichtschutzwirkung.

Aus dem Mittelalter ist eine Beschreibung des arabischen Gelehrten Ibn Al-Haitham (965-1038), auch Alhazen genannt, überliefert, der die vergrößernde Wirkung von Glaskugelflächen zu erklären versuchte. Aber erst 200 Jahre später, im 13. Jahrhundert, als die Schriften des Ibn Al-Haitham ins Lateinische übersetzt worden waren, stellte man in Italien sogenannten Lesesteine her und benutzte sie als Sehhilfen (s. Farbtafel ). Der Oxforder Franziskanermönch, Naturwissenschaftler und Philosoph Roger Bacon (1219-1294) arbeitete ebenfalls mit Glaskugelsegmenten und empfahl sie "für alte Leute und solche, die schwache Augen haben..." Lesesteine wurden zunehmend dünner geschliffen, so daß sie eingefaßt und als sogenannte Eingläser wie heutige Vergrößerungsgläser vor das Auge gehalten werden konnten. Aus der Vereinigung zweier Eingläser, durch einen Niet zusammengefügt, entstanden die ersten Nietbrillen, die um 1290 in Italien hergestellt wurden. Weitere Fundstätten von Nietbrillen sind Freiburg (Datierung um 1278), Kloster Wienhausen bei Celle (um 1300) und London (um 1440). Die Fassungen bestanden aus Leder, Holz oder Bein. Nietbrillen konnte man über vier Jahrhunderte nachweisen.

Die ersten B. wurden handwerklich in Klöstern hergestellt und waren seltene und begehrte Hilfsmittel, um Gelehrten ihre Arbeitsfähigkeit bis ins hohe Alter zu erhalten. Zwischen dem 13. und dem 15. Jahrhundert verlagerte sich die Brillenherstellung zunehmend vom Klosterhandwerk zum Brillenmacherhandwerk – eine Folge der Weiterentwicklung von Produktionsinstrumenten und wachsender handwerklicher Arbeitsteilung. Bereits um 1300 wurden in Italien die ersten Brillenmacherordnungen herausgegeben. Der erste urkundlich nachweisbare deutsche Brillenmacher ließ sich 1478 in Nürnberg nieder, und 1567 regelte bereits der Nürnberger Rat das Zunftwesen der Brillenmacher. Wer in die Brillenmacherzunft aufgenommen werden wollte, mußte ein Meisterstück anfertigen. Dabei handelte es sich um reich verzierte Bügelbrillen (s. Farbtafel ) mit einem starren Bügel oder Bogen als Verbindung zwischen den Fassungsrändern. Bügelbrillen waren etwa 250 Jahre üblich. Die Zeit zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert ist gekennzeichnet durch den Verfall der Zünfte und das Entstehen von Manufakturen. Diese Entwicklung war mit einem Qualitätsverfall im Brillenmacherhandwerk verbunden, wofür die Nürnberger Klemmbrille charakteristisch ist (s. Farbtafel ). Deren Gläser waren in Profildraht gefaßt, und der Verschluß des Fassungsrandes war eine einfache Drahtschlinge. Die Klemmbrille "klemmte" bereits frei auf dem Nasenrücken. Klemmbrillen waren die typischen Erzeugnisse der wandernden Brillenhändler, wurden aus der Bauchlade feilgeboten und darum auch "Ladenbrillen" genannt.

Bis dahin wurde nur vereinzelt versucht, die B. mit Hilfe von Fäden an den Ohren oder am Hinterkopf zu fixieren, wie es in China und Japan im 16. und 17. Jahrhundert üblich war (Fadenbrille). Um 1700 gab es neben den mit der Hand oder von einem Faden gehaltenen B. auch solche, die durch ein Paar kurze Schläfenbügel am Kopf fixiert wurden, die sogenannten Schläfenbrillen. Sie enthielten beiderseits ein Gelenk zwischen Mittelteil und Schläfenbügel (s. Farbtafel ). Der nur bis zur Schläfe reichende Bügel hatte in jener Zeit zudem den Vorteil, nicht beim Tragen von Perücken hinderlich zu sein.

Um einen besseren Brillensitz zu gewährleisten, verlängerte man die Bügel später, so daß sie das Ohr (Ohrbügel) oder den Kopf (Kopfbügel) umfaßten. Wegen ihrer Länge bekamen die Bügel ein zweites Gelenk im Ohrbereich und wurden daher Scharnierbrillen genannt. Unverzierte Scharnierbrillen aus dünnem Profildraht und mit ovaler Scheibenform sind charakteristisch für die Biedermeierzeit (1815-1848). Die um 1840 weit verbreiteten Duncker-B. aus Rathenow mit ihren kreisrunden Scheibenformen, näherungsweise anatomische Forderungen erfüllenden Nasenauflagestegen und anpaßbaren Ohrbügeln bestimmten die Brillenentwicklung bis ewa 1930.

Außerhalb dieser Entwicklungslinie, die zu unseren heutigen Gebrauchsbrillen führte, kam es zu zahlreichen historisch oder modisch bedingten Sonderformen – aus heutiger Sicht zu Fehlentwicklungen.

So kamen Mitte des 18. Jahrhunderts die Scherenbrillen auf, die man sich als umgekehrt getragene Nietbrillen vorstellen kann. Die oft stark verzierten Stiele der Fassungshälften reichten bis zum Kinn herunter, wo sie durch eine Niet- oder Schraubverbindung mit einem Handgriff beweglich verbunden waren, welcher ebenfalls Schmuckelemente trug. Scherenbrillen wurden vom Adel und Großbürgertum als Mode- und Repräsentationsgegenstand benutzt, oft auch dann, wenn ihre Träger nicht fehlsichtig waren. Obwohl es schon die genannten, bequem am Kopf zu tragenden Brillenformen gab, nahm man die Scherenbrille wieder in die Hand, um aufwendige Frisuren und Perücken nicht zu beeinträchtigen. Stielbrillen, für die sich im deutschsprachigen Raum fälschlicherweise die Bezeichnung Lorgnette oder Lorgnon einbürgerte, kamen um 1750 auf. Charakteristisch für diese Brillen ist der seitlich angeordnete Griff oder Stiel. Dadurch brauchte die Hand des Trägers nicht mehr vor dem Kinn bzw. dem Mund gehalten zu werden. Bei Nichtgebrauch konnte die Stielbrille in den Griff hineingeklappt werden. Dazu war der Griff so breit ausgebildet, daß er zugleich als Etui diente. Besonders dieser breite Griff bot eine ausreichende Fläche für prunkvollen Dekor aus Edelmetallen und Edelsteinbesatz. Bei manchen Ausführungen entfalteten sich die Gläsereinfassungen nach Betätigung eines Feder-Rastgesperres. Man sprach dann von einer Springlorgnette. Bei der Wickellorgnette ließen sich die Gläsereinfassungen um zwei bis drei Gelenke "aufwickeln" und in den Griff hineindrehen. Die Lunette war eine Stielbrille mit reich dekoriertem Griff, der aber so zierlich war, daß er die Gläsereinfassungen nicht aufnehmen konnte.

Die Lorgnette in ihrem eigentlichen Sinne war ein monokular gebrauchtes, zweilinsiges System, ähnlich wie ein monokulares Opernglas. Sie war überwiegend in Frankreich in Gebrauch. An den Höfen Ludwigs des XV. und Ludwigs des XVI. waren diese Lorgnetten mit kostbaren Ausstattungen in Mode. Sie wurden in vielen Spielarten gestaltet, z.B. in Verbindung mit Fächern, Dosen, Necessaires, kleinen Uhren oder Stockknäufen.

Ebenfalls um 1750 erlebte das mittelalterliche Einglas eine Wiedergeburt. Das juwelenverzierte Einglas war bis Ende des 18. Jahrhunderts verbreitet. Die Tradition des Einglases wurde mit dem in die Augenhöhle geklemmten Monokel bis Anfang des 20. Jahrhunderts fortgesetzt.

Die bemerkenswerte Vielfalt der Sehhilfen des 19. Jahrhunderts wurde unter anderem in einer Karikatur von L. Boilly dargestellt (s. Farbtafel ).

An die Tradition der Klemmbrille des 18. Jahrhunderts knüpfte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts der Kneifer, auch Pince-nez genannt, an.

Um 1800 gründete J. H. A. Duncker (1767-1843) in Rathenow eine optische Industrieanstalt mit dem Ziel, gute B. herzustellen, den minderwertigen Erzeugnissen der süddeutschen Manufakturen entgegenzutreten und die Erwerbsmöglichkeiten in Rathenow, insbesondere für Versehrte und Behinderte, zu verbessern. Dank seiner Erfindung der Vielspindelschleifmaschine (Abb. 1) konnten die Rathenower Brillengläser auch zu annehmbaren Preisen angeboten werden. Die Duncker-B. hatten überwiegend kreisrunde Scheibenformen (Abb. 2), welche noch bis 1945 weithin verbreitet waren. Ab etwa 1900 wurden runde Brillenfassungen aus Neusilber, vernickelt, verchromt oder in Doublé, aber auch aus Horn oder Zellhorn in großen Serien hergestellt, und man erreichte bereits eine hohe Maßgenauigkeit der Scheibendurchmesser als Voraussetzung für eine mechanisierte Randbearbeitung der Brillengläser.

Die Abbildungsqualität der Brillenlinsen war zu Anfang des 20. Jahrhunderts noch unbefriedigend, weil die Drehung des Auges um den Augendrehpunkt noch nicht berücksichtigt wurde. E. Abbe (1840-1905) erwog, astigmatismuskorrigierte Brillengläser nach feinoptischen Prinzipien fertigen zu lassen. Im Jenaer Zeiss-Werk leistete ab 1908 M. von Rohr (1868-1940) Pionierarbeit, indem er für das optische System, bestehend aus Brillenglas und Auge, die Bedingungen einer möglichst fehlerfreien Abbildung berechnete. H. Boegehold und A. Sonnefeld setzten die Berechnungen fort. R. Lincke bereitete die Großserienfertigung dieser Brillengläser im Zeiss-Werk vor, die unter dem Namen Zeiss-Punktalgläser von Jena aus ihren Weg um die ganze Welt nahmen. Inzwischen fertigen Hersteller vieler Länder mehr oder weniger fehlerkorrigierte Brillengläser.

Etwa seit 1950 wurde mit polymetrischen Brillenformen (Abb. 3) versucht, einerseits die anatomischen Paßformen zu verbessern, andererseits aber auch einen modisch orientierten Variantenreichtum an Brillenformen auf den Markt zu bringen. Dabei wurde etwa seit 1980 hinsichtlich Gestaltung und Werkstoffeigenschaften eine optimale Qualität erreicht (Abb. 4), die durch modische Spielarten häufig wieder beeinträchtigt wird (z.B. Halbbrillen, tief angesetzte Ohrbügel und unzweckmäßige Schmuckelemente, extrem große oder extrem kleine Scheibenformen, anatomisch nicht begründete Scheibenformen).



Brille 1: Rekonstruktionsskizze von Dunckers Vielschleifmaschine. Antrieb hier noch manuell, später durch Pferdekraft und schließlich durch Dampfmaschine.



Brille 2: Drahtbrille mit kreisrunder Scheibenform, seit etwa 1800 bis 1945 gebräuchlich.



Brille 3: Polymetrische Brille um 1950.



Brille 4: Gegenwärtige Gebrauchsbrille, etwa seit 1980.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Die Autoren
Roland Barth, Jena
Dr. Artur Bärwolff, Berlin
Dr. Lothar Bauch, Frankfurt / Oder
Hans G. Beck, Jena
Joachim Bergner, Jena
Dr. Andreas Berke, Köln
Dr. Hermann Besen, Jena
Prof. Dr. Jürgen Beuthan, Berlin
Dr. Andreas Bode, Planegg
Prof. Dr. Joachim Bohm, Berlin
Prof. Dr. Witlof Brunner, Zeuthen
Dr. Eberhard Dietzsch, Jena
Kurt Enz, Berlin
Prof. Joachim Epperlein, Wilkau-Haßlau
Prof. Dr. Heinz Falk, Kleve
Dr. Wieland Feist, Jena
Dr. Peter Fichtner, Jena
Dr. Ficker, Karlsfeld
Dr. Peter Glas, Berlin
Dr. Hartmut Gunkel, Berlin
Dr. Reiner Güther, Berlin
Dr. Volker Guyenot, Jena
Dr. Hacker, Jena
Dipl.-Phys. Jürgen Heise, Jena
Dr. Erwin Hoffmann, Berlin (Adlershof)
Dr. Kuno Hoffmann, Berlin
Prof. Dr. Christian Hofmann, Jena
Wolfgang Högner, Tautenburg
Dipl.-Ing. Richard Hummel, Radebeul
Dr. Hans-Jürgen Jüpner, Berlin
Prof. Dr. W. Karthe, Jena
Dr. Siegfried Kessler, Jena
Dr. Horst König, Berlin
Prof. Dr. Sigurd Kusch, Berlin
Dr. Heiner Lammert, Mahlau
Dr. Albrecht Lau, Berlin
Dr. Kurt Lenz, Berlin
Dr. Christoph Ludwig, Hermsdorf (Thüringen)
Rolf Märtin, Jena
Ulrich Maxam, Rostock
Olaf Minet, Berlin
Dr. Robert Müller, Berlin
Prof. Dr. Gerhard Müller, Berlin
Günter Osten, Jena
Prof. Dr. Harry Paul, Zeuthen
Prof. Dr. Wolfgang Radloff, Berlin
Prof Dr. Karl Regensburger, Dresden
Dr. Werner Reichel, Jena
Rolf Riekher, Berlin
Dr. Horst Riesenberg, Jena
Dr. Rolf Röseler, Berlin
Günther Schmuhl, Rathenow
Dr. Günter Schulz, Berlin
Prof. Dr. Johannes Schwider, Erlangen
Dr. Reiner Spolaczyk, Hamburg
Prof. Dr. Peter Süptitz, Berlin
Dr. Johannes Tilch, Berlin (Adlershof)
Dr. Joachim Tilgner, Berlin
Dr. Joachim Träger, Berlin (Waldesruh)
Dr. Bernd Weidner, Berlin
Ernst Werner, Jena
Prof. Dr. Ludwig Wieczorek, Berlin
Wolfgang Wilhelmi, Berlin
Olaf Ziemann, Berlin


Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.