Direkt zum Inhalt

Lexikon der Optik: Farbsinnstörung

Farbsinnstörung, Abweichung vom normalen Farbensehen und dem normalen Farbenunterscheidungsvermögen. Mehr als 8 Prozent aller Männer, aber nur 0,4 Prozent aller Frauen weisen angeborene Störungen des Farbensehens auf. Vermutlich 5 Prozent aller Männer und Frauen leiden unter erworbenen F.

F. lassen sich anhand unterschiedlicher Kriterien definieren. Sie können angeboren sein oder infolge einer Erkrankung des Auges oder des Gehirns oder durch Intoxikationen erworben werden.

Ein zweites Klassifikationsschema bewertet die Farben, die bevorzugt miteinander verwechselt werden und von Weiß nur schwer zu unterscheiden sind. Hier handelt es sich dann um Rot-Grün-Störungen und um Blau-Gelb-Störungen.

Auf J. C. Maxwell geht die Einteilung der F. nach der Anzahl der Farben zurück, die zum Nachmischen einer vorgegebenen Farbe erforderlich sind, so daß der Beobachter zwischen einer vorgegebenen Farbe und der farbgleichen Mischfarbe keinen Unterschied festzustellen vermag. Verfügt der Beobachter über keinerlei Farbempfinden und vermag er nur Helligkeiten zu bewerten, so liegt eine Achromatopsie vor. Ein Dichromat mischt jede vorgegebene Farbe mittels zweier Grundfarben nach (Dichromasie). Ein Trichromat benötigt hierzu drei Grundfarben (Trichromasie). Es sind zusätzlich normale Trichromaten von den anomalen Trichromaten zu unterscheiden. Letztere verwenden andere, von der Norm abweichende Mischungsverhältnisse, um Farbgleichheit zu erzielen.

Angeborene Rot-Grün-Störungen lassen sich in Protan- und Deutanstörungen differenzieren. Bei Protanstörungen ist das Spektrum am langwelligen Ende verkürzt, während die Ausdehnung des wahrnehmbaren Spektrums durch Deutanstörungen nicht beeinflußt wird. Das Maximum der photopischen Hellempfindlichkeit ist bei Protanstörungen von 555 nm zu 540 nm hin verschoben. Das entsprechende Maximum ist bei Deutanstörungen fast unverändert.

Protan- und Deutanstörungen lassen sich entsprechend der Klassifizierung von Maxwell weiter untergliedern. Wird ein vorgegebener Farbreiz durch nur zwei Grundfarben nachgemischt, so liegt eine Protanopie bzw. eine Deuteranopie vor. Die betroffenen Personen werden als Dichromaten bezeichnet. Werden drei Mischfarben, jedoch mit abweichenden Mischungsverhältnissen, benötigt, so liegen anomale Trichromasien vor, nämlich Protanomalien bzw. Deuteranomalien (Tab.).

Angeborene Blau-Gelb-Störungen, die auch als Tritanstörungen bezeichnet werden, sind mit einer Häufigkeit von ca. 0,003% sehr selten. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen. Der Nachweis von Tritanstörungen ist wegen der individuell sehr unterschiedlichen Makulapigmentierung, die die Wahrnehmung von Blau stark beeinflußt, wesentlich schwieriger als der Nachweis von Rot-Grün-Störungen.

Die Einteilung erworbener F. orientiert sich an den Achsen der Farbverwechslungen. Es werden Rot-Grün-Störungen von Blau-Gelb-Störungen unterschieden. Eine Skotopisation tritt ein, wenn die Zapfen soweit geschädigt sind, daß nur noch die Stäbchen einen Beitrag zum Sehen leisten.

Erworbene F. unterscheiden sich in wesentlichen Punkten von den angeborenen. Frauen und Männer sind von erworbenen F. gleich häufig betroffen. Sehr häufig sind Blau-Gelb-Störungen. Während angeborene F. immer beide Augen in gleicher Weise betreffen, können erworbene F. auch nur an einem Auge auftreten. Tritt eine F. monokular auf, so ist bis zum Beweis des Gegenteils von einer erworbenen F. auszugehen. Mit dem zugrunde liegenden Krankheitsbild kann sich die Stärke einer erworbenen F. verändern, während sie bei angeborenen F. konstant ist.

Die Farben erscheinen bei erworbenen F. schmutzig und dunkel oder blaß und ungesättigt. Weiß erscheint anfänglich gelb. Grün, Orange und Grau werden verwechselt. Im mittleren Bereich des Spektrums tritt sehr häufig eine neutrale Zone auf.

Zu den erworbenen F. ist auch die Chromatopsie zu zählen. Dies ist ein verändertes Farbensehen, bei denen Reize, die ein Farbnormaler als weiß empfindet, farbig gesehen werden. Agnosien liegen vor, wenn das Farbensehen normal ist, es jedoch aufgrund von Erkrankungen des Gehirns nicht möglich ist, die Farben richtig zu benennen.

Das Verriest-System hat zur Klassifizierung erworbener Farbsinnstörungen weite Verbreitung gefunden. Dieses System beruht wesentlich auf der Auswertung des Munsell-Farnsworth-100-Hue-Testes und der Bestimmung der spektralen Hellempfindlichkeit.

Rot-Grün-Störungen, die auf Veränderungen der Netzhaut beruhen, werden dem Verriest-Typ I (retinaler Typ) zugeordnet. Hier handelt es sich um Veränderungen auf der Ebene der Netzhautrezeptoren. Der Visus ist stark herabgesetzt. Diese F. beginnt mit einem trichromatischen Zustand und endet nach einem dichromatischen Stadium in einem monochromatischen Zustand. F. vom Verriest-Typ I ähneln gelegentlich zu Beginn der Störung den angeborenen Protanstörungen, jedoch kommt es mit Fortschreiten der F. zu einem Verlust der photopischen Hellempfindlichkeit. Im Endzustand entspricht die Hellempfindlichkeit der skotopischen. Das Farbensehen entspricht in diesem Stadium dem eines Stäbchenmonochromaten (Achromatopsie).

Als Ursache der F. vom Verriest-Typ I können Makulaerkrankungen, die zusammen mit Tagblindheit auftreten, angesehen werden. Hierbei dürften die Zapfen in der Makularegion zerstört werden, wobei sich aus dem Verlauf der F. schließen läßt, daß zuerst die L-Zapfen geschädigt werden. In der Peripherie hingegen bleiben Farbensehen und Hellempfindlichkeit normal.

Die Hellempfindlichkeit bleibt bei der Rot-Grün-Störung vom Verriest-Typ II (neuronaler Typ) im Gegensatz zum Typ I erhalten. Im fortgeschrittenen Stadium ist der Visusverlust beträchtlich. Zu Beginn, im trichromatischen Stadium, macht sich besonders ein Sättigungsverlust der Farben bemerkbar. Im darauf folgenden dichromatischen Stadium hat diese F. sowohl hinsichtlich der Verwechslungsfarben als auch der Hellempfindlichkeit Ähnlichkeiten mit einer angeborenen Deuteranopie. Bei einer Wellenlänge von ungefähr 500 nm stellt sich frühzeitig eine sich stark verbreiternde neutrale Zone ein, da es nun auch zu einer zusätzlichen Blau-Gelb-Störung kommt.

Diese Rot-Grün-Störung beruht in der Regel auf Veränderungen im Sehnerv. Diese können durch Entzündungen, Tumore oder Intoxikationen des Sehnervs hervorgerufen werden. Ebenso kann diese F. durch erbliche Veränderungen des Sehnervs wie z.B. die Lebersche Optikusatrophie erworben werden. Eine exzentrische Fixation auf die "deuteranope" Netzhautperipherie verursacht eine entsprechende F.

Zwar werden F. vom Verriest-Typ I und auch II gelegentlich mit Protan- bzw. Deutanstörungen verglichen, jedoch bestehen große Unterschiede hierzu. Angeborene Protan- und Deutanstörung kommen durch den Verlust bzw. die Störung eines Rezeptortyps zustande. Bei den hier vorliegenden Typen der erworbenen F. sind aber alle drei Rezeptortypen betroffen. Alle Farben erscheinen deshalb entsättigt.

Die erworbenen Blau-Gelb-Störungen stellen die F. des Verriest-Typs III dar. Sie sind unter den erworbenen F. die häufigsten. Im trichromatischen Anfangsstadium kommt es zu Verwechslungen von purpurnen, violettblauen und blaugrünen Farben. Ein Neutralpunkt liegt nicht vor. Im dichromatischen Stadium kommt es zu Farbverwechslungen ähnlich wie bei der angeborenen Tritanopie. Unterschiede zur Tritanopie können durch eine begleitend auftretende Rot-Grün-Störung bedingt sein. Im mittleren Spektralbereich tritt eine breite Neutralzone in Erscheinung. Eine zweite Neutralzone liegt bei einer Wellenlänge von ungefähr 465 nm. Dieser Typ der F. kann durch eine starke Absorption vor den Rezeptoren, wie sie beim Kernstar (Katarakt) auftreten kann, hervorgerufen werden.

Leichtere Formen angeborener Blau-Gelb-Störungen sind wegen der natürlichen Linsentrübung eine normale Alterserscheinung. Sie liegen im Grenzbereich zwischen physiologischen und pathologischen Veränderungen. Viele Netzhautveränderungen wie z.B. Retinopathia pigmentosa, Retinopathia diabetica oder die senile Makuladegeneration gehen mit einer Blau-Gelb-Störung einher.



Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Die Autoren
Roland Barth, Jena
Dr. Artur Bärwolff, Berlin
Dr. Lothar Bauch, Frankfurt / Oder
Hans G. Beck, Jena
Joachim Bergner, Jena
Dr. Andreas Berke, Köln
Dr. Hermann Besen, Jena
Prof. Dr. Jürgen Beuthan, Berlin
Dr. Andreas Bode, Planegg
Prof. Dr. Joachim Bohm, Berlin
Prof. Dr. Witlof Brunner, Zeuthen
Dr. Eberhard Dietzsch, Jena
Kurt Enz, Berlin
Prof. Joachim Epperlein, Wilkau-Haßlau
Prof. Dr. Heinz Falk, Kleve
Dr. Wieland Feist, Jena
Dr. Peter Fichtner, Jena
Dr. Ficker, Karlsfeld
Dr. Peter Glas, Berlin
Dr. Hartmut Gunkel, Berlin
Dr. Reiner Güther, Berlin
Dr. Volker Guyenot, Jena
Dr. Hacker, Jena
Dipl.-Phys. Jürgen Heise, Jena
Dr. Erwin Hoffmann, Berlin (Adlershof)
Dr. Kuno Hoffmann, Berlin
Prof. Dr. Christian Hofmann, Jena
Wolfgang Högner, Tautenburg
Dipl.-Ing. Richard Hummel, Radebeul
Dr. Hans-Jürgen Jüpner, Berlin
Prof. Dr. W. Karthe, Jena
Dr. Siegfried Kessler, Jena
Dr. Horst König, Berlin
Prof. Dr. Sigurd Kusch, Berlin
Dr. Heiner Lammert, Mahlau
Dr. Albrecht Lau, Berlin
Dr. Kurt Lenz, Berlin
Dr. Christoph Ludwig, Hermsdorf (Thüringen)
Rolf Märtin, Jena
Ulrich Maxam, Rostock
Olaf Minet, Berlin
Dr. Robert Müller, Berlin
Prof. Dr. Gerhard Müller, Berlin
Günter Osten, Jena
Prof. Dr. Harry Paul, Zeuthen
Prof. Dr. Wolfgang Radloff, Berlin
Prof Dr. Karl Regensburger, Dresden
Dr. Werner Reichel, Jena
Rolf Riekher, Berlin
Dr. Horst Riesenberg, Jena
Dr. Rolf Röseler, Berlin
Günther Schmuhl, Rathenow
Dr. Günter Schulz, Berlin
Prof. Dr. Johannes Schwider, Erlangen
Dr. Reiner Spolaczyk, Hamburg
Prof. Dr. Peter Süptitz, Berlin
Dr. Johannes Tilch, Berlin (Adlershof)
Dr. Joachim Tilgner, Berlin
Dr. Joachim Träger, Berlin (Waldesruh)
Dr. Bernd Weidner, Berlin
Ernst Werner, Jena
Prof. Dr. Ludwig Wieczorek, Berlin
Wolfgang Wilhelmi, Berlin
Olaf Ziemann, Berlin


Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.