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Metzler Philosophen-Lexikon: Campanella, Tommaso

Geb. 5. 9. 1568 in Stilo/Kalabrien; gest. 21. 5. 1639 in Paris

Der in Kalabrien geborene C. ließ seinen weltlichen Namen Giovan Domenico beim Klostereintritt 1583 zurück und hieß als Dominikaner T.; er ging ohne obrigkeitliche Erlaubnis 1589 nach Neapel und wurde dort wegen seiner Schrift Philosophia sensibus demonstrata (1591) einige Monate eingekerkert. Statt nach Kalabrien zurückzukehren, zog er zu Galilei nach Padua, wo er von einer Anklage wegen Sodomie 1592 freigesprochen wurde. 1596 schwor er zu Rom den ihm zur Last gelegten Häresien ab, nach seinem vierten Prozeß 1597 mußte er nach Kalabrien zurückkehren. C. trat in seinen frühen, zumeist verlorenen Werken in lateinischer Sprache für eine religiöse Reformation der Menschheit ein, die auf einem allgemeinen kirchlichen Imperium beruhen sollte. Doch in Kalabrien mit der ärmlichen Wirklichkeit vertraut geworden, widmete er sich Umsturzplänen, die am 6. September 1599 zu seiner Gefangennahme führten. Am 7. Februar 1600 wurde er in Neapel gefoltert und gezwungen, seine Verantwortlichkeit einzugestehen. Im April begann er sich wahnsinnig zu stellen, 1602 wurde er wegen Häresien zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

In diesem Jahr entstand die erste italienische Fassung seiner heute berühmtesten Schrift, die er später 1612 und 1620 lateinisch überarbeitete und 1623 als dritten Teil seiner Realis Philosophiae epilogisticae partes IV in Frankfurt erscheinen ließ; 1636 abermals umgearbeitet, wurde die Civitas Solis, der Sonnenstaat, 1637 im zweiten Band der Gesammelten Werke erneut ediert. Noch andere Werke entstanden während der Kerkerzeit, so seine Metaphysik (1638) in 18 Büchern und seine Theologie in 30 Büchern. 1626 freigelassen, suchte C. in Rom seine Gedanken zu propagieren, mußte aber 1634 nach Frankreich fliehen, wo er bis zu seinem Tode, protektioniert von Ludwig XIII. und Richelieu, an der unvollständig gebliebenen Gesamtausgabe seiner Werke arbeitete.

Die Widmung des Sonnenstaates an Richelieu nannte die Utopie »von mir entworfen, von dir zu errichten«. Die Szenerie spielt auf Taprobane (= Ceylon), wo auch Thomas Morus in seiner Utopia den Erzähler bei der Rückkehr in die wirkliche Welt hatte landen lassen. C. entwirft einen straff strukturierten, genau geordneten Staat, dessen Regelhaftigkeit das Abbild der göttlichen Weltordnung darstellt. Zu den materiellen Vorzügen zählen die Abschaffung von Armut und Reichtum oder der Arbeitstag von nur vier Stunden für jedermann; heutigem Empfinden weniger anziehend erscheint die strenge Lebensordnung der zwar klassenlosen, aber extrem hierarchischen Gesellschaft der Solarier. Gottesdienst und Staatsdienst fallen in eins zusammen. Ein Priesterkönig wird unterstützt von drei Helfern, »Macht, Weisheit, Liebe«, die ihrerseits jeweils für Krieg, Wissenschaft sowie Erzeugung und Ernährung zuständig sind. Noch konsequenter als Platon führt C. umfassenden Kommunismus ein: Mahlzeiten, Wohnungen, Weiber und Kinder sind allen gemein. Die Erziehung erhält große Aufmerksamkeit, doch sollen vor allem Mathematik und Naturwissenschaften zur Anschauung, zur Abstraktion führen und nicht das Studium alter Bücher, d.h. des Aristoteles. Wie bei Morus wird in sechs Abschnitten zunächst das äußere Bild der Stadt dargestellt, dann die Behörden und die gesellschaftliche Ordnung, ferner Innenpolitik mit Rechtsprechung und Außenpolitik samt Kriegswesen; abschließend wird die Religion erörtert. Ein starkes Interesse für Astrologie verweist auf die kosmische Ordnung, die dieses Staatswesen widerspiegeln soll. Das Werk hat eminenten Einfluß ausgeübt: »Der liberalföderative Sozialismus (von Robert Owen an) hat Morus zum Ahnen, der zentralistische (von Saint-Simon an) berührt sich mit Campanella, mit breitliegendem, hochgebautem Regiment, mit Sozialutopie als Strenge und disponiertem Glück« (Ernst Bloch).

Headley, John M.: Tommaso Campanella and the Transformation of the World. Princeton 1997. – Ahrbeck, Rosemarie: Morus, Campanella, Bacon. Frühe Utopisten. Köln 1977. – Bock, Gisela: Thomas Campanella. Politisches Interesse und philosophische Spekulation. Tübingen 1974.

Bernhard Kytzler

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