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Metzler Philosophen-Lexikon: Chrysippos

Geb. um 280 v. Chr. in Soloi (Kilikien); gest. um 206 v. Chr. in Athen

Ch. war als Nachfolger des Kleanthes der dritte Leiter der von Zenon von Kition etwa 300 v. Chr. in Athen gegründeten Philosophenschule der Stoa (so benannt nach ihrer Lehrstätte, einer Säulenhalle in Athen). Er war berühmt für seinen Fleiß und soll mehr als 705 Bücher verfaßt haben, von denen nur Fragmente erhalten sind. Obwohl sicher nicht alle Gedanken von ihm stammen und seine Werke voller Zitate und Wiederholungen sind, ist es doch keineswegs so, wie Apollodoros von Athen, ein Gelehrter des 2. Jahrhunderts v. Chr., sagte: »Entfernt man aus den Büchern des Chrysipp alles, was er an fremdem Gut mit beigelegt hat, so werden ihm schließlich nur die leeren Blätter bleiben.« Es ist das Verdienst des Ch., daß er die hauptsächlich von Heraklit, den Megarikern und Kynikern beeinflußten Lehren seiner Vorgänger Zenon und Kleanthes systematisiert, erweitert und sie gegen skeptische Einwände der Akademie verteidigt hat. Der Stoizismus entfaltete seine Wirkung in der systematischen Form, die Ch. ihm gab. Er wurde daher als zweiter Gründer der Stoa bezeichnet, und ein zeitgenössischer Vers über ihn lautete: »Wär nicht Chrysippos, gäb’ es die Stoa nicht.«

Die Philosophie wurde von Ch. und anderen Stoikern in Physik, Ethik und Logik unterteilt. Die Physik umfaßt als Naturphilosophie auch kosmologische und theologische Spekulationen. Alles Geschehen in der Natur wird von einem vernünftigen Prinzip hervorgebracht, gestaltet und ist in seinem Ablauf streng determiniert. Dieses eine, welterklärende Prinzip wird je nach Zusammenhang u. a. als Weltvernunft, Weltseele, Naturgesetz, Schicksal, Gott oder, in der Nachfolge Heraklits, als Urfeuer bezeichnet. Die Stoa lehrt ein sich ewig wiederholendes, periodisches Weltentstehen und -vergehen. Das Urfeuer bringt die Welt hervor und vernichtet sie wieder. Jede neu entstehende Welt gleicht in allen Details den vorherigen Welten. Dieser Gedanke der ewigen Wiederkehr des Gleichen wurde von Nietzsche aufgenommen. Die Ethik bestimmt als höchstes Ziel die »eudaimonía« (Glückseligkeit), die nicht in der Maximierung der individuellen Lust besteht, sondern in der Gestaltung des Lebens nach vernünftigen Prinzipien in Übereinstimmung mit dem Naturgesetz. Als ideale Lebensführung gilt den Stoikern die des Weisen, der allein sich durch freie Willensentscheidung dem determinierten Weltgeschehen entziehen kann, indem er sich von seinen natürlichen Trieben, Begierden und Affekten freimacht und in der Erkenntnis des Guten seine Pflicht tut, d.h. ein tugendhaftes Leben führt.

Von besonderer Wichtigkeit sind C.s Arbeiten zur Sprachtheorie und Logik, Gebiete, die seine Vorgänger vernachlässigt hatten. Bei sprachlichen Zeichen ist dreierlei zu unterscheiden: das bedeutende Zeichen selbst, das ein Laut oder eine Wortfolge ist; das Bedeutete, d.h. das, was man meint, wenn man sinnvoll Laute äußert, und das, was in der Wirklichkeit dadurch bezeichnet wird. Die Logik hat es mit den Zusammenhängen des sinnvoll Geäußerten zu tun. Am besten ausgebaut ist der Teil der stoischen Logik, der sich mit sinnvoll geäußerten Aussagen beschäftigt. Diese Aussagenlogik stellt eine wesentliche Erweiterung der aristotelischen Begriffslogik dar und läßt sich hervorragend bei der Aufstellung und Widerlegung von Schlußfolgerungen verwenden. Sie ist zweiwertig, d.h. jede einfache Aussage ist entweder wahr oder falsch. Mit Hilfe von Aussagenverknüpfungen wie »wenndann, entwederoder, und« lassen sich komplexe Aussagen aufbauen, deren Wahrheit von der Wahrheit der einfachen Aussagen abhängt. So ist ein Bedingungssatz (»wenndann«) genau dann wahr, wenn der Wenn-Satz und die Verneinung des Dann-Satzes nicht zur gleichen Zeit wahr sein können. Die stoische Logik kennt die Schlußregeln des »modus ponens« und des »modus tollens« und sogar Metaregeln, die einen Zusammenhang zwischen diesen Schlußregeln festlegen. Die Bedeutung der stoischen Logik wurde erst im 20. Jahrhundert durch Charles S. Peirce, Jan Lukasiewicz und Benson Mates erkannt.

Pohlenz, M.: Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung. Göttingen 41970. – Mates, B.: Stoic Logic. Berkeley/Los Angeles 1961.

Martin Drechsler

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