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Metzler Philosophen-Lexikon: Davidson, Donald

Geb. am 6. 3. 1917 in Springfield/Mass.; gest. 30. 8. 2003 in Berkeley/Kal.

Gut siebzig Artikel, verstreut über eine Vielzahl von Zeitschriften und Büchern, bilden ein philosophisches System, das seinen Urheber zu einem der meistdiskutierten amerikanischen Philosophen des 20. Jahrhunderts gemacht hat. D. hat nicht nur maßgeblichen Einfluß auf die analytische Philosophie genommen, manche Kommentatoren sehen in ihm auch einen Mittler zur kontinentalen Philosophie und möchten ihn in der Nachbarschaft von Hegel, Heidegger, Gadamer oder Derrida angesiedelt wissen.

Dabei begann D.s philosophische Karriere eher zögerlich. Noch nach dem College-Abschluß an der Harvard University (1941), wo D. außer Philosophie Literatur und Griechisch studiert hatte, stand keineswegs fest, daß er eine akademische Laufbahn ergreifen würde. D. trat schon zu Studienzeiten als Schauspieler auf, inszenierte zusammen mit seinem Kommilitonen Leonard Bernstein eine Operette und schrieb Radiotexte für Hollywood. Seine ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen waren ebenfalls nicht typisch philosophisch, sondern zählten eher zur Psychologie, darunter auch seine neben der Dissertation über Platons Philebos (1949) bislang einzige Monographie Decision-Making: An Experimental Approach (1957, zusammen mit Patrick Suppes). Auch im weiteren Leben hat sich D. längst nicht auf das Philosophieren beschränkt. In seiner lesenswerten Intellectual Autobiography beschreibt er die enorme Bandbreite seiner Interessen, vom Fliegen, Segeln, Bergsteigen, Skilaufen, Surfen über zahllose Reisen in alle Welt bis hin zu Musik, Kunst, Literatur und Architektur.

Erst als D. Mitte vierzig und (nach einer ersten Lehrtätigkeit am Queens College) schon lange Philosophieprofessor an der Stanford University war (1951–67), begann seine philosophische Publikationsgeschichte. D. veröffentlichte »Actions, Reasons, and Causes« (1963), einen Aufsatz, der abrupt die Wittgensteinsche Tradition in der Handlungstheorie beendete und so zu einem modernen Klassiker in dieser Disziplin wurde. Es folgten sehr schnell weitere Artikel nicht nur zur Handlungstheorie, sondern vor allem zur Sprachphilosophie, aber auch zur Philosophie des Geistes, Metaphysik und Erkenntnistheorie, durch die ebenfalls eine ganze Reihe dezidiert neuer Positionen in den Kanon der jeweiligen Disziplinen eingeführt wurden. Hervorzuheben sind besonders »Truth and Meaning« (1967), D.s programmatischer Beitrag zur Sprachphilosophie, »Mental Events« (1970), seine Stellungnahme zum Leib-Seele-Problem, und »On the Very Idea of a Conceptual Scheme« (1974) über die apriorischen Grenzen der Erkenntnistheorie. Anfang der 80er Jahre wurden die meisten von D.s bis dahin erschienenen Aufsätzen in zwei Sammelbänden wiederabgedruckt, Essays on Actions and Events (1980; Handlung und Ereignis, 1985) und Inquiries into Truth and Interpretation (1984; Wahrheit und Interpretation, 1986). Diese Bände sind 2001 in erweiterter zweiter Auflage erschienen, zusammen mit einem neuen dritten Band, Subjective, Intersubjective, Objective. Zwei weitere Sammelbände (Problems of Rationality, Truth, Language and History) erschienen 2004 bzw. 2005. Seit den 80er Jahren sind zudem eine Reihe von Monographien und Textsammlungen über D. publiziert worden, aber von D. selbst gibt es mit Ausnahme seiner erst 1990 publizierten Dissertation und verschiedener fremdsprachiger Textsammlungen (z.B. der nur auf Deutsch erschienenen Sammlung Der Mythos des Subjektiven, 1993) keine weiteren Buchveröffentlichungen.

D.s Philosophie ist schon lange Gegenstand einer stetig anwachsenden Sekundärliteratur, die sich besonders auf einige seiner prominenten Thesen konzentriert. Diese Entwicklung droht den Blick darauf zu verstellen, daß D.s Ansichten zu einzelnen philosophischen Problemen eingebettet sind in ein systematisches Ganzes, auf das er in all seinen Veröffentlichungen konsequent hindeutet und das er, ohne sich zu größeren Revisionen gezwungen zu sehen, immer weiter vervollständigt hat. Etwas plakativ kann man sagen, daß sich alle Publikationen D.s letztlich zwei Leitfragen widmen: Erstens, was heißt es, andere Menschen zu verstehen? Und zweitens, welche Konsequenzen ergeben sich daraus für unser Bild der Welt? Einen anderen Menschen zu verstehen, kann heißen, daß man erfährt, warum dieser Mensch etwas tut, was er denkt, fühlt, glaubt, oder schließlich, was er sagt. Doch das sind D. zufolge nicht wirklich verschiedene Arten des Verstehens, sondern nur verschiedene, voneinander abhängige Aspekte eines einheitlichen Verstehensprozesses. Verstehen, so D.s Hauptthese, ist im Grunde ein explanatorisches Anliegen. Es besteht darin, daß man eine auf sprachfähige Wesen zugeschnittene explanatorische Strategie anwendet, um sich das Verhalten eines Menschen kausal zu erklären.

D.s philosophische Wirkungsgeschichte beginnt mit der Handlungstheorie. Handlungen sind für D. Ereignisse (genau genommen: Körperbewegungen), die sich dadurch von anderen Ereignissen unterscheiden, daß sie aus Gründen geschehen. Sie zu verstehen, bedeutet, diese Gründe zu kennen. Gründe wiederum, so D. in der Tradition von Aristoteles’ praktischem Syllogismus, sind intentionale Einstellungen (Überzeugungen, Wünsche, Hoffnungen etc.), die in einer quasi-logischen Beziehung zum Handeln stehen, dieses rationalisieren^. Doch nicht jedes Ereignis, das sich aus den Einstellungen eines Menschen rationalisieren läßt, ist eine Handlung, es muß hinzukommen, daß das Ereignis aus diesen Gründen geschieht. Dazu gehört, so D., daß die Gründe das Stattfinden des Ereignisses erklären, und das wiederum setzt voraus, daß die Gründe das Ereignis verursachen. Eine Handlung zu verstehen, heißt also auch, zu wissen, daß diese Gründe sie verursacht haben. Damit bricht D. mit der herrschenden Meinung in der Handlungstheorie der frühen 60er Jahre, der zufolge die quasi-logische Beziehung zwischen Gründen und Handlungen mit einer Kausalbeziehung unvereinbar sei.

Die explanatorische Leistungsfähigkeit von Handlungserklärungen liegt aber nicht allein darin, daß Gründe Ursachen sind, sondern darin, daß sie (über den praktischen Syllogismus hinaus) Einblick gewähren in die Psyche des Handelnden, in das Geflecht intentionaler Einstellungen, aus denen die Gründe als handlungsbestimmend hervorgegangen sind. Für die Art und Weise dieses Rückgangs auf die intentionale Struktur des Handelnden verweist D. auf die rationale Entscheidungstheorie, mit der er aus seinen Arbeiten der 50er Jahre vertraut ist. Die Möglichkeit, entscheidungstheoretische Zuschreibungen allein auf der Basis geeigneter Verhaltensbeobachtungen zu tätigen, stärkt die These, intentionale Einstellungen als theoretische Postulate einer explanatorischen Strategie anzusehen. Und die Notwendigkeit, entscheidungstheoretische Zuschreibungen auf die Annahme der Rationalität des Probanden zu stützen, erlaubt ein angemessenes Verständnis der Rolle der Rationalität in Handlungserklärungen. Rationalitätsstandards, so D., sind keine empirisch aufweisbaren, sondern konstitutive Bestandteile solcher Erklärungen, vergleichbar etwa der Additivität von Längenmessungen.

Das größte Problem für das durch die Entscheidungstheorie nahegelegte Verständnis intentionaler Erklärungen liegt in der Rolle der Sprache. Die Entscheidungstheoretiker sind darauf angewiesen, den Probanden fein differenzierte Einstellungen zuzuschreiben, was ohne die Möglichkeit sprachlicher Vermittlung undenkbar ist. D.s Konzeption des Handlungsverstehens setzt deshalb eine Erläuterung des Sprachverstehens und seiner Funktion für das Verstehen insgesamt voraus. Es ist diese Erläuterung, die D.s Theorie der Intentionalität so deutlich abhebt von auf den ersten Blick ganz ähnlichen Positionen in der Philosophie des Geistes (beispielsweise Daniel Dennetts Theorie intentionaler Systeme).

Die Frage, was es heißt, Sprache zu verstehen, zieht sich durch D.s gesamtes Werk. Aber während seine frühen Arbeiten noch stark sprachphilosophisch ausgerichtet waren, thematisiert D. seit den 70er Jahren immer stärker die Verbindung zum psychologischen, handlungstheoretischen Verstehen. Jede Erklärung sprachlichen Verstehens muß zweierlei leisten. Zum einen muß sie dem scheinbaren Paradox Rechnung tragen, daß endliche Wesen als kompetente Sprecher einer Sprache die Bedeutungen einer endlosen Vielfalt möglicher Sätze kennen; das heißt, sie muß erklären, wie es möglich ist, aus der Zusammensetzung der Sätze auf ihre Bedeutung zu schließen. (Sie muß die Sprache als lernbar^ erweisen.) Zum anderen muß sie mit der empirischen Annahme vereinbar sein, daß es im Prinzip immer möglich ist, eine Sprache zu verstehen, ohne zuvor irgendetwas über die Sprache oder auch die Psyche ihrer Sprecher zu wissen. Diese Annahme der Möglichkeit radikaler Interpretation^ und das zu ihrer Illustration dienende Szenario stammen von D.s Lehrer W.V.O. Quine, dessen Philosophie insgesamt einen so großen Einfluß auf D. gehabt hat, daß er ihm seine Inquiries mit den Worten widmet: »To W. V. Quine – without whom not«, und von dessen Hauptwerk Word and Object (1960) er in seiner Autobiographie sagt, es habe sein Leben verändert. Ausgangspunkt der radikalen Interpretation ist die Fiktion, daß ein (Sprach-)-Forscher einem ihm völlig unbekannten Menschen begegnet, dessen Sprache er nicht kennt und von dem er auch sonst nicht weiß, was er denkt, will etc. Trotz dieser mageren Ausgangsbasis, so D., könnte es dem Forscher gelingen, allein aufgrund des beobachteten Verhaltens des Fremden^ diesen nach und nach zu verstehen, bis man schließlich mit Recht sagen könnte, daß der Forscher die fremde Sprache beherrscht. D.s Sprachphilosophie beansprucht, beiden Anforderungen gerecht zu werden, wobei sich im Lauf der Zeit der Fokus von der Lernbarkeitsforderung zur radikalen Interpretierbarkeit hin verschoben hat.

Die Feststellung, die den Ausgangspunkt von D.s Sprachphilosophie bildet, stammt ursprünglich von Gottlob Frege: Für einen Kernbereich der Sprache (die nicht-indexikalischen assertorischen Sätze) fallen die Bedeutungen von Sätzen mit ihren Wahrheitsbedingungen zusammen. D. gibt nun eine Erklärung für diesen Zusammenhang, die letztlich darauf beruht, dem sprachlichen Verstehen eine spezielle Rolle im Handlungsverstehen zuzuweisen. Jemand, der eine Sprache beherrscht, verfügt über ein unvergleichlich sensibles und mächtiges Instrument, um auf seine Umwelt zu reagieren. Er kann Stellung beziehen zu einer endlos offenen Vielfalt von Sätzen seiner Sprache – sei es, daß er sie für wahr hält, sie ablehnt, es schön fände, wenn sie wahr wären usw. Diese Stellungnahme hängt davon ab, was mit ihm geschieht, was er erlebt etc. Für den Betrachter, der ihn verstehen möchte (den Interpreten), eröffnen nun diese Haltungen des Sprechers zu den Sätzen eine einzigartige Möglichkeit, dessen Innenleben^ kennenzulernen, und damit die Möglichkeit, auch weitere, nicht-sprachliche Handlungen zu erklären. Er muß dazu nur einen Weg finden, die Sätze, zu denen der Sprecher Stellung nimmt, an die Bedingungen zu koppeln, unter denen seine Stellungnahmen veranlaßt werden. In neueren Aufsätzen bezeichnet D. diesen Vorgang bildhaft als »Triangulierung«. Eben hierin liegt aber die Funktion des Wahrheitsbegriffs. Der Interpret setzt die Sätze dadurch mit der Welt in Verbindung, daß er angibt, unter welchen Bedingungen sie wahr sind. Gelingt ihm das, dann, so D., versteht er die Sprache, und er kann die Wahrheitsbedingungen nutzen, um die intentionalen Einstellungen des Sprechers zu unterscheiden. Sie bilden die die Einstellungen individuierenden propositionalen Gehalte^.

Weil damit sprachliches Verstehen an das explanatorische Interesse des Interpreten geknüpft ist, der sich die Sprachlichkeit zunutze macht, um Handlungen des Sprechers zu erklären, ist die Bedingung radikaler Interpretierbarkeit erfüllt. Somit hängt der Erfolg von D.s Projekt nur noch davon ab, ob auch die Lernbarkeitsbedingung erfüllt werden kann. D. hat in seinen frühen sprachphilosophischen Aufsätzen immer wieder auf die Probleme hingewiesen, die andere Konzeptionen mit der Lernbarkeitsbedingung haben. Die Hoffnung, daß seine eigene »wahrheitsfunktionale Semantik« diese Bedingung erfüllt, gründet sich auf das Werk Alfred Tarskis, der gezeigt hat, wie man aus einer überschaubaren Anzahl von Axiomen Wahrheitsbedingungen für die unendlich vielen Sätze einer recht komplexen formalen Sprache ableiten kann. D. ist zuversichtlich, daß eine solche Theorie der Wahrheitsbedingungen, kurz: Wahrheitstheorie, auch für die Sätze natürlicher Sprachen wie Deutsch oder Englisch möglich wäre und damit die Lernbarkeitsbedingung erfüllt sei.

Das skizzierte Modell des Sprachverstehens zeigt, wie eng die Möglichkeit der Zuschreibung intentionaler Einstellungen an die Sprachlichkeit geknüpft ist. Das hat zur Folge, daß für D. jede Zuschreibung intentionaler Einstellungen an nicht-sprachliche Wesen (obwohl häufig nützlich und insofern legitim) ein nicht wirklich fundierter Anthropomorphismus ist. Es zeigt auch, daß die Sprachlichkeits-Voraussetzung der Entscheidungstheorie unabdingbar ist; zugleich eröffnet es aber die Möglichkeit, die Entscheidungstheorie um eine Wahrheitstheorie für die Sprache des Probanden zu ergänzen und so zu einer fundamentaleren, voraussetzungsärmeren Theorie überzugehen, einer »Unified Theory of Meaning and Action«, wie D. sie im Titel eines programmatischen Aufsatzes von 1980 nennt. Die prinzipielle Möglichkeit einer derartigen Theorie ist wiederum ein gewichtiger Beleg für die Korrektheit von D.s Ausgangsthese, daß alles Verstehen letztlich Teil einer umfassenden Strategie der Verhaltenserklärung und die intentionale und auch die semantische Begrifflichkeit nur in ihrem Beitrag zu dieser Strategie verständlich seien.

Das zweite Leitmotiv der Philosophie D.s besteht darin, den systematischen Konsequenzen und Auswirkungen dieser Grundthese in verschiedenen Bereichen der Philosophie nachzugehen. Unmittelbar einsichtig sind zwei Konsequenzen für die Erkenntnistheorie. Zum einen wird mit D.s These dem erkenntnistheoretischen Skeptizismus die Grundlage entzogen. Wenn Verständnis prinzipiell davon abhängig ist, eine Wahrheitstheorie zu finden, die die Sätze des zu interpretierenden Sprechers möglichst eng an seine kausale Interaktion mit der Welt koppelt, dann muß sie die Überzeugungen des Sprechers, abgesehen von epistemologisch nachvollziehbaren Ausnahmefällen, wahr sein lassen. Diese unumgängliche interpretative Maxime bezeichnet D. im Anschluß an Quine als »Principle of Charity«. Ist es aber das Wesen von Überzeugungen, theoretische Entitäten einer interpretativen Theorie zu sein, können auch die eigenen Überzeugungen nur ausnahmsweise falsch sein, der Skeptizismus ist a priori widerlegt. Zum anderen ist auch für den erkenntnistheoretischen Relativismus kein Platz. Denn da die Begriffe der Sprache, Bedeutung etc. theoretische Begriffe einer Strategie zur Verhaltenserklärung sind, ist die Annahme prinzipiell unzugänglicher Sprachen oder inkommensurabler Begriffssysteme sinnlos. Ein drittes erkenntnistheoretisches Thema, mit dem sich D. vor allem in neueren Arbeiten beschäftigt, ist unsere Subjektivität, die spezielle Autorität, die wir mit Bezug auf das eigene psychische Geschehen haben. Sie ergibt sich für D. unmittelbar daraus, daß bei uns sozusagen Maßstab und Gemessenes zusammenfallen; die Äußerungen, mit Hilfe derer wir unsere Einstellungen charakterisieren, sind die gleichen wie die, mit denen wir sie ausdrücken.

Für die Sprachphilosophie bringt D.s Programm eine Akzentverschiebung mit sich. Die vermeintlich zentralen Begriffe der Bedeutung und der Referenz erfahren eine (durch die Untersuchungen Ludwig Wittgensteins ohnehin empfohlene) Abwertung. Beide erweisen sich als für das explanatorische Grundanliegen sprachlichen Verstehens wenig signifikant. Erstaunlicherweise gilt dasselbe aber auch für den Begriff der Sprache selbst, denn primär geht es dem Interpreten bei D. nicht um das Verstehen von Sprachen, sondern um das von Sprechern. Daraus entwickelt D. in seinen jüngeren sprachphilosophischen Arbeiten interessante Folgerungen über den sozialen Charakter der Sprachlichkeit.

Eine neue Aufgabe für die Sprachphilosophie liegt darin, D.s optimistischer Annahme folgend eine Wahrheitstheorie für die natürlichen Sprachen zu erstellen. D. empfiehlt hier eine Arbeitsteilung: Die Philosophen erstellen einen Kernbereich der Theorie, in dem Wahrheitsbedingungen für die logischen Formen^ aller Sätze der betrachteten Sprache angegeben werden, und die empirische Sprachwissenschaft kümmert sich dann um deren Zuordnung zu den gewöhnlichen Sätzen der Sprache. Logische Formen für alle Sätze einer Sprache zu entwickeln, ist kein triviales Unternehmen, und trotz vieler Fortschritte, die D. und andere erzielt haben, beispielsweise durch die Entwicklung der sogenannten »parataktischen Analyse« für die Inkorporation intensionaler und nicht-assertorischer Sätze, ist nach wie vor offen, ob es sich überhaupt durchführen läßt.

Wichtig ist aber, daß die Erarbeitung logischer Formen weitreichende Konsequenzen für andere Bereiche der Philosophie hat (so daß D. im Titel eines Aufsatzes von der »Method of Truth in Metaphysics« sprechen kann). Vor allem sind dies ontologische Konsequenzen, denn der primäre Zugang zum Seienden geschieht über sprachliche Bezugnahme und nach der Degradierung des Referenzbegriffs beschränkt sich diese auf die Frage, welche Entitäten man als existent annehmen muß, um eine Wahrheitstheorie entwickeln zu können. Daß überhaupt Existenzannahmen nötig sind, liegt an der Notwendigkeit, Sätze als quantifiziert anzusehen und dann (mit Hilfe des »Erfüllungs«-Begriffs) eine Beziehung zwischen rudimentären Sätzen und Bestandteilen der Welt herzustellen. Bei D. führen diese sprachtheoretischen Erwägungen zu dem ontologischen Resultat, daß neben materiellen Gegenständen auch Ereignisse als existent anzunehmen seien, aber beispielsweise weder Eigenschaften noch Zustände oder Sachverhalte.

Eine weitere, besonders prominente Konsequenz aus D.s Programm ist seine Stellungnahme zum Leib-Seele-Problem in der Philosophie des Geistes. Intentionale Einstellungen sind eingebunden in die kausale Struktur der Welt, sowohl hinsichtlich ihrer Ätiologie als auch hinsichtlich der sich aus ihnen ergebenden Handlungen. Kausalbeziehungen wiederum setzen nach D. ein striktes Gesetz voraus, das von der Ursache auf die Wirkung schließen läßt. Doch die konstitutiven Elemente für die Zuschreibung intentionaler Einstellungen (die Rationalitätsvoraussetzung und das »Principle of Charity«) schließen die Existenz strikter psycho-physischer Gesetze aus (»Anomalismus des Mentalen«). Also können intentionale Einstellungen nur dann Ursachen und Wirkungen sein, wenn sie sich auch so beschreiben lassen, daß sie unter rein physikalische Gesetze fallen. Insofern intentionale Einstellungen aber eine physikalische Beschreibung haben, ist jede von ihnen zugleich auch eine physikalische Entität (»anomaler Monismus«).

So, wie D. zufolge Verstehen allgemein an Interpretation gebunden ist und damit letztlich auf Verständigung beruht, ist auch philosophisches Verständnis an die Wechselwirkungen eines interpretativen Prozesses geknüpft. Vor diesem Hintergrund ist es sicher kein Zufall, daß der Autor, der in seiner Rede zur Verleihung des Hegel-Preises (Dialektik und Dialog, 1993) eine empathische Würdigung der Sokratischen Elenktik vorgetragen hat, seine Leser durch seine Veröffentlichungspraxis zwingt, sich einen eigenen Reim zu machen auf das Puzzle seiner ineinander verstrickten Reflexionen. Leicht ist es jedenfalls nicht, das Verständnis dieses großen Theoretikers menschlichen Verstehens.

Hahn, L. E. (Hg.): The Philosophy of Donald Davidson. Chicago 1999 [mit intellektueller Autobiographie, Publikationsliste und Sekundärliteratur]. – Glüer, Kathrin: Donald Davidson zur Einführung. Hamburg 1993. – Evnine, Simon: Donald Davidson. Oxford 1991.

Ralf Stoecker

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