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Metzler Philosophen-Lexikon: Diogenes Laërtios

Vermutl. 2./3. Jahrhundert n. Chr.

Über D. selbst, den Verfasser eines zehn Bücher umfassenden Werkes Über Leben und Meinungen bekannter Philosophen, ist nichts bekannt, sogar die Erklärung seines Namens, ebenso seine Lebenszeit sind umstritten. Zuerst zitiert wird er von Stephanos von Byzanz im 6. Jahrhundert; andererseits benutzt D. selbst Schriften Favorins und ist mit Sextus Empiricus vertraut, scheint hingegen vom Neuplatonismus noch unberührt zu sein. So ist eine Datierung in die Zeit von 100 bis 250 am plausibelsten. D. ist kein Philosoph, nicht einmal eigentlich ein Historiker der Philosophie. Sein Werk ist vielmehr eine Zusammenfassung der hellenistischen biographischen Literatur über Philosophen, deren Wert zu einem großen Teil darin besteht, wertvolle Zitate aus diesem Schrifttum überliefert zu haben. Dementsprechend ist die Quellenforschung der Hauptzweig der wissenschaftlichen Beschäftigung mit D., wobei jedoch trotz verschiedener Ansätze noch keine völlig zufriedenstellende Quellenanalyse erfolgt ist.

Seiner eigentlichen Abhandlung stellt D. eine Vorrede voran, in der er in drei Thesen seine Erkenntnisse über den Entwicklungsgang der Philosophie darstellt: Philosophie ist eine griechische Errungenschaft; der eigentlichen Philosophie geht eine Phase der Weisheitslehren voraus, deren Träger die »Sieben Weisen« waren; die Philosophie hat einen doppelten Ursprung: zum einen in Anaximander, der eine ionische Philosophenschule begründete, zum anderen in Pythagoras, dem Urheber einer italischen Schule. Von diesen ausgehend, habe sich die griechische Philosophie in ihren verschiedenen Systemen als ein ständiger Zusammenhang von Lehrer- und ihnen nachfolgenden Schülergenerationen (»diadochaí«) entwickelt. Den Schluß der Vorrede bilden Überlegungen, die beiden Sukzessionsreihen nach verschiedenen Schulen/Sekten und ihren Häuptern stärker zu gliedern. Hierbei sucht D. die Philosophie in ihrer frühen Phase als Beschäftigung mit Physik, bei Sokrates als durch Ethik, bei Zenon als durch Dialektik erweitert zu beschreiben. Das erste Buch beginnt mit der Behandlung der »Sieben Weisen«, wobei zu den kanonischen Mitgliedern dieses Kreises: Thales, Solon, Periander, Kleobulos, Chilon, Bias, Pittakos noch Anacharsis, Myson, Pherekydes und Epimenides kommen. Anschließend behandelt D. den Beginn der ionischen Schule. Hier ist eine tatsächliche Sukzession nur mühsam herzustellen, zumal der Sokrates-Kreis mit Xenophon, Aischines, Phaidros, Kriton als Fortsetzung der Naturphilosophen Anaximander und Anaximenes figurieren muß. Besser bewährt sich das Prinzip der »diadochaí« in den folgenden Büchern: Auf Platon folgen die Schulhäupter der Akademie – hier fügt sich lediglich Bion nicht in den Rahmen – sowie Aristoteles und seine Schule. Darauf schließt D. wiederum an Sokrates an und sieht so die Kyniker in dessen Nachfolge. Mit Zenon von Kition und seinen Schülern wird die Stoa über Krates an das Vorangegangene angeschlossen. Die italische Philosophenschule umfaßt den Rest des Werkes, in dem versucht wird, einen Lehrzusammenhang zwischen Pythagoras und Pyrrhon herzustellen. Den Abschluß dieser Schule bildet Epikur.

Die Darstellung der einzelnen Philosophen ist sehr unausgewogen. D.s Interesse gilt weniger ihrer Philosophie als ihrem Leben. Bei der Behandlung der Viten folgt er der hellenistischen Anschauung, daß eine treffende Anekdote das Wesen eines Menschen besser charakterisieren kann als eine sorgfältig abwägende Darstellung. So ist D. dort besonders ausführlich, wo er auf viele Anekdoten zurückgreifen kann, etwa bei Sokrates, Aristipp oder Diogenes. Dort, wo D. nichts Anekdotisches vorliegt, sind seine Ausführungen kurz und beschränken sich oft nur auf einen Schriftenkatalog. Ein Quellenstudium ist demnach von D. nicht anzunehmen, er hat sich in der Hauptsache auf bereits vorhandene zusammenfassende Literatur gestützt. Eigenes Gedankengut liegt sicher nur dort vor, wo er auf sein Werk Pammetros verweist, ein Kompendium, in dem er Grabepigramme auf berühmte Männer gedichtet hatte. War nun D. kein großer Denker, so liegt seine Bedeutung in seinem Sammelfleiß, wodurch wertvolle Details aus der Geschichte der antiken Philosophie erhalten blieben.

Marcovich, M. (Hg.): Diogenis Laertii Vitae Philosophorum, 2 Bde. Stuttgart/Leipzig 1999. – Mejer, J.: Diogenes and His Hellenistic Background. Wiesbaden 1978. – Ders.: Diogenes and the Transmission of Greek Philosophy. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt

II. 36. 1992, S. 3556–3602.

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