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Metzler Philosophen-Lexikon: Hobbes, Thomas

Geb. 5. 4. 1588 in Malmesbury/Westport;

gest. 4. 12. 1679 in Hardwick

Als H. als Sohn eines Landvikars und einer Bauerntochter einfachster Herkunft in Wiltshire geboren wurde, hätte niemand davon geträumt, daß dieses geistig frühreife Wunderkind später einmal als »der unbequemste politische Denker Englands« gehandelt werden würde. Zunächst verhielt sich das Wunderkind ganz konventionell. H. besuchte zuerst die Elementarschule seines Geburtsortes, dann vertiefte er sich in Malmesbury auf einer Privatschule in die klassischen Sprachen. Vor der Aufnahme des Studiums in Oxford (1603) übersetzte er die Medea von Euripides in lateinische Jamben. Vielleicht prägte schon diese Textwahl sein späteres Menschenbild, das bis heute als Inbild pessimistischer Anthropologie gilt: »homo homini lupus« (»der Mensch ist dem Menschen ein Wolf«). Die Infragestellung bzw. Bewältigung dieses heilsgeschichtlichen Irrtums sollte ihn zeitlebens beschäftigen. Er erwarb 1607 den Grad eines Baccalaureus artium, ab 1608 war er Privatlehrer des Sohns von Baron Cavendish, mit dem er zwischen 1610 und 1613 eine erste Bildungsreise auf den Kontinent unternahm, der noch weitere Aufenthalte folgen sollten. Die Frucht jener Jahre der Widmung an die Philologie mündete 1629 in eine Übersetzung von Thukydides’ Werk über den Peloponnesischen Krieg. Für Thukydides standen der Gebrauch der Macht und ihre Eigenlogik im Vordergrund. Auch Machiavelli hatte sich damit eingehend beschäftigt. Für H.’ Staatsphilosophie, für sein ganzes späteres philosophisches Weltgebäude sollte dies prägend werden (Elementa philosophiae: de corpore, 1655 – Vom Körper; de homine, 1658 – Vom Menschen; de cive, 1642 – Vom Bürger). Neben seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten (Mathematik, Physik) beschäftigte ihn vor allem seine historische Zeitgenossenschaft: Er floh 1640 aus England in ein zehnjähriges Exil nach Frankreich; der konfessionelle Bürgerkrieg bedrohte ihn höchstpersönlich, denn seine Gegner bezichtigten ihn des Atheismus. 1651 erschien seine wohl bekannteste Schrift: der Leviathan, ein deskriptives und perspektivisches Paradestück zeitgenössischer politischer Philosophie. Nach der Aussetzung einer Pension 1660 durch seinen früheren Mathematikschüler im Pariser Exil, den nunmehr inthronisierten Stuart Karl II., setzte H. seine naturwissenschaftlichen und zunehmend literarisch-autobiographischen Studien fort. Er verstarb in Hardwick auf den Gütern seiner Gönner und Freunde Cavendish, die ihm zeitlebens die Treue hielten. Er glaubte bis zum letzten Atemzug erstaunlicherweise beharrlich an die Möglichkeit einer Quadratur des Kreises; in mathematischer Hinsicht zog er dabei in langwierigen Disputen immer den kürzeren. Doch bleibt dieses von seiner musikalischen Beschäftigung umrahmte Paradoxon uns ein möglicher Zugriff auf sein sinnstiftendes Denkbegehren: das Unmögliche möglich zu machen. Die Unterscheidung zwischen Philosophie und subjektivem spekulativen Denken fällt dem Nachgeborenen immer leichter als dem Zeitgenossen. Diese simple Frage nach der Theoriefähigkeit trifft eigenartigerweise besonders auf H. zu. Heute stellt man sich die Frage, ob H. nun Empirist, Materialist, Erkenntnistheoretiker, Naturphilosoph oder gar politischer Philosoph gewesen sei, vielleicht sogar in Grenzbereiche der Sprachphilosophie und der Mathematik (logisches Kalkül) vorgedrungen sei.

Seinen Zeitgenossen war er auf andere Weise suspekt. Gerade weil er sich nicht der Schulphilosophie seiner Zeit verpflichtet fühlte, sah er sich sowohl von dieser Seite als auch von Vertretern der »neuen« Wissenschaft (z.B. Descartes) beständigen Angriffen ausgesetzt. H. kämpfte zeitlebens um die Anerkennung seiner systematischen Theorie, seines pragmatischen philosophischen Systems. Denn um nichts Geringeres ging es ihm: um die Beschreibung und Deutung aller Vorgänge und Geschehnisse, die das Sein bestimmen, unter einem methodischen Überbau, seien es organische, anorganische oder soziale Gebilde. Gerade diese völlige Entwertung des Individuums zu einer rechnerischen Größe trug ihm den Unmut des Klerus ein. Andererseits bestand darin eine absolut neue Qualität: Der Mensch wurde als autonomes Einzelwesen, als Individuum schlechthin begriffen. Man muß sich vergegenwärtigen, daß ursprünglich der Begriff des Individuums in der vorrangigen Gültigkeit der Familienstruktur aufgelöst war, alle gesellschaftliche Arbeit Resultat gruppenspezifischer Prozesse war. Selbst am Ausgang des europäischen Mittelalters stand die Institution des Zunftwesens, das seinerseits familienähnlich organisiert war, ökonomisch im Konflikt mit einer neu sich etablierenden gesellschaftlichen Realität: der Markt- oder Tauschgesellschaft. Dort wurden Verträge zwischen Einzelnen geschlossen, zwischen »Privatleuten«, die begrifflich noch keinerlei Status innehatten, real aber die gesellschaftliche Entwicklung bestimmten. In diese Revolutionierung der Lebensverhältnisse hinein kollidierte die Frage nach dem rechten Glauben infolge von Reformation und Gegenreformation. In solch einer Situation die Frage nach dem Wert des Individuums zu stellen, hieße einerseits Partei zu ergreifen und die vermeintlich »richtige« Lehre zu reproduzieren, andererseits nach einem Weg zu suchen, die Phänomene methodisch von ihrer ideologischen Wurzel zu abstrahieren und in einer übergreifenden Systematik aller Phänomenebenen neu zu definieren. Das Ziel solcher Anstrengung hieße Objektivierung und damit auch Versöhnung scheinbarer Antagonismen unter Hinzugewinn einer übergreifenden Methode (Philosophie) und der politischen Garantie einer ökonomisch prosperierenden Gesellschaft. Die unausweichliche Folge solchen Verfahrens, daß nicht nur einzelne Individuen sozial auf der Strecke bleiben, ist in H.’ mechanistischem Denken keine moralische Kategorie, sondern notwendig systemisch bedingt. Sein analytisches Verfahren ließe sich »auseinanderlegend- zusammensetzend« in Analogie zu Galileis Denken beschreiben, der dies (angeblich) anläßlich einer Begegnung bei einer Europareise (1634 bis 1636) anregte: »Denn aus den Elementen, aus denen eine Sache sich bildet, wird sie auch am besten erkannt. Schon bei einer Uhr, die sich selbst bewegt, und bei jeder etwas verwickelten Maschine kann man die Wirksamkeit der einzelnen Teile und Räder nicht verstehen, wenn sie nicht auseinandergenommen werden und die Materie, die Gestalt und Bewegung jedes Teiles für sich betrachtet wird. Ebenso muß bei der Ermittlung des Rechtes des Staates und der Pflichten der Bürger der Staat zwar nicht aufgelöst, aber doch gleichsam als aufgelöst betrachtet werden, d.h. es muß richtig erkannt werden, wie die menschliche Natur geartet ist, wieweit sie zur Bildung des Staates geeignet ist oder nicht, und wie die Menschen sich zusammentun müssen, wenn sie eine Einheit werden wollen. Nach dieser Methode bin ich verfahren.« Die Momente der epochalen Herausforderung, auf die H. die philosophische Antwort gab, waren das Aufkommen der exakten Wissenschaft und der gleichzeitige Verlust der Außenstabilisierung des Individuums durch den konfessionellen Bürgerkrieg. Das 17. Jahrhundert war noch ein durchaus theologisches Zeitalter, insofern sich die geistigen Ausdrucksformen des gesellschaftlichen Kampfes an theologischen Ritualen orientierten. Deren Wahrheitsgehalt verkam zur Parteilichkeit, zur Ideologie, in deren Namen fanatisierte Individuen einander bedrohten. H. liebte den Frieden mehr als die Wahrheit; sie hatte ihre einigende Kraft verloren, und ewige Wahrheiten gab es für ihn ohnehin nicht, da jede Wahrheit von der ihr zugrunde liegenden Definition abhängt. Der Zweck allen Denkens war bei ihm auf die systematische Zusammenschau von exakter Wissenschaft und politischer Praxis unter einer handlungsleitenden Maxime gerichtet: dem letzten naturnotwendigen Zweck der optimalen Erhaltung des Daseins. Darauf sieht H. alles menschliche Handeln bezogen, auf die Herstellung von Frieden untereinander und die Verteidigung des eigenen Daseins. Der Mensch im 17. Jahrhundert bricht zur Autonomie auf, zu der seiner Seele (Glaubensfragen) und seiner ökonomischen Unternehmungen (Eigentumsgesellschaft). Diese Zielsetzung ist aber nicht theologischer Natur, sondern gründet in der menschlichen Vernunft. Deshalb rührt H.’ Denken an alle wesentlichen Bereiche, die das Weltbild im 17. Jahrhundert bestimmten: Theologie, Wissenschaft, konfessionellen Bürgerkrieg, grundlegende ökonomische Umwälzung der sozialen Verhältnisse, geostrategische Verschiebungen der Machtverhältnisse. H. begab sich in seinen Schriften auf alle nur denkbaren Gebiete. Sein Wirken läßt sich deshalb auch nicht einem Begriff von Philosophie subsumieren. Er forderte von der Philosophie die Bereitstellung einer Methode, »deren Grundsätze einerseits sich als Verallgemeinerungen der Prinzipien der wissenschaftlichen Methode darstellen, andererseits aber gleichzeitig die universal gültigen Voraussetzungen jeder Realwissenschaft zu formulieren habe«.

Die Umsetzung in gesellschaftliche Realität, die politische Praxis, sollte mit den Mitteln einer analytischen Theorie des Rechts und des Staates geleistet werden. Insofern versteht sich H. selbst als politischer Philosoph, wenn er feststellt, daß die gesamte Staatsphilosophie »nicht älter ist als das Buch, das ich selber Über den Bürger geschrieben habe«, datiert also auf das Jahr 1642. Es ist deshalb unmöglich, seine Schriften isoliert von der historischen Situation zu betrachten, in der er sich befand. Andererseits würde man dem Rang, den seine wissenschaftstheoretische Arbeit ausmacht, nicht gerecht werden, wenn sein philosophisches System zu einem Gesellschaftsmodell verkürzt würde.

Die Kategorien von Recht und Staat entwickelten sich vielmehr notwendig aus einer analytischen Methode. H. untersuchte die Funktionsweise der Gesellschaft rational-mechanistisch. Alle Tatsachen, ob im Bereich der Physik, der Anthropologie, der Geschichte oder der Gesellschaft, die sich mechanistisch erklären lassen, bezeichnete H. als »Körper«. Diesen Begriff übertrug er auf anorganische, organische und soziale Gebilde. »actio« und »reactio« waren ihm die grundlegenden Bewegungsgesetze sowohl für das Zustandekommen menschlicher Erkenntnis als auch für den Ablauf sozialer Prozesse. So erzeugt Macht ihrerseits wiederum Gegenmacht, die allerdings nicht einander symmetrisch sind, sondern lediglich in anderen Formen erhalten bleiben entsprechend dem Energieerhaltungssatz. Die Repression durch einen Souverän beispielsweise wird durch die Eigentums- und Wettbewerbsgarantie und die Privatisierung des Denkens kompensiert. Die Mathematisierung der Welt wird zum generellen Kennzeichen neuzeitlicher Philosophie. Mit der Objektivierung ihrer methodischen Basis und ihrem ideologiekritischen Potential erfährt der Begriff der politischen Philosophie eine Neubewertung; es wird möglich, Alternativen im menschlichen Handeln rational zu begründen und verläßliche Prognosen über vorgeschlagene Verhaltensweisen zu machen. Jedenfalls ist eine zunehmende Integrität der politischen Philosophie zu verzeichnen, deren handlungsleitendes Interesse, das Prinzip der Vernunft, zumindest die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung hin zur bürgerlichen Eigentumsgesellschaft mitbestimmte.

Sein Leviathan darf als erste radikale Antwort auf die Herausforderung der Neuzeit betrachtet werden, so daß ab da von einer politischen Philosophie, von der ersten modernen bürgerlichen Staatsphilosophie gesprochen werden kann. Alle bedeutenden Denker dieser Zeit waren Mathematiker. Deshalb definierten sie objektive Erkenntnis aus den Axiomen und Regeln der Mathematik. Menschliches Handeln wurde als Bewegung von Körpern in Raum und Zeit verstanden. Daher rührt auch die prinzipielle Gleichheit der Menschen. Der oberste Leitsatz für den Staat, den Leviathan, ist das Vernunftgebot des Friedens. Dieses Gebot ist selbst nur in seiner dialektischen Vermittlung zu verstehen. Nach der Erfahrung des Bürgerkrieges, der Enthauptung des Monarchen (Karl I., 1649) und der Diktatur Cromwells in der Zeit des »langen Parlaments«, drängte sich der Friedensgedanke als Postulat an seine Realisierbarkeit auf; gleichzeitig deduzierte H. durch seine Analyse des Menschen und seiner gesellschaftlichen Existenz die Unmöglichkeit eines Friedens. Nur so ist zu begreifen, weshalb er im Leviathan erst einmal mit der Darstellung des Individuums, des späteren »bürgerlichen Subjekts«, beginnt, bevor er zu einer konkreten Organisationsform des Politischen schreitet. Folglich ist der Leviathan auch vom Besonderen zum Allgemeinen hin strukturiert. Aus der Anschauung des menschlichen Subjekts läßt sich für H. die richtige Konstitution des Staates ableiten: »So wie etwa ein Würfel auf die gleichförmige Bewegung einer Fläche im Raum zurückgeführt werden kann, diese wiederum auf die gleichförmige Bewegung einer Linie und diese schließlich auf die gleichförmige Bewegung eines Punktes, und wie der Würfel nach dieser Auflösung wieder entsprechend zusammenzusetzen ist, so löst sich der Staat in die ihn mechanisch notwendig ergebenden Voraussetzungen auf, und so kann man schließlich seine Zusammensetzung apriorisch demonstrieren.« Sicherlich muß eine solche mechanistische Konzeption vom Staate zu kurz greifen. Doch bietet dieses Modell zum ersten Mal die Möglichkeit, das tatsächliche Moment der Individualisierung begrifflich zu fassen. Der Mensch wird autonom bestimmt, ohne alle moralischen und sittlichen Züge, wie sie später durch den Idealismus wieder hinzukamen. Da die Wahrheit entweder nur einmal existieren kann oder eben verschiedene Wahrheiten möglich sind, hat sie als Gebot der Einigung im Namen Gottes ihren Dienst versagt: die Eindeutigkeit von Wahrheit begründet ja erst ihre Wirkung! Wenn jedoch die verschiedenen Bürgerkriegsparteien alle im Namen der Wahrheit die anderen Gruppierungen bekämpfen, entlarven sie sich als partikulare Wahrheiten, als Ideologien.

Deshalb war die scholastische Denktradition für H. erledigt. Statt Wahrheit (ergo Ideologie) setzte er das Primat des Friedens. Frieden bedeutet bei H. immer noch ausschließlich die Abwesenheit von »personaler Gewalt«. An einen Abbau von »struktureller Gewalt« ist bei H. nicht zu denken. Dies widerspräche völlig den Voraussetzungen seiner Theorie, die den Menschen als »wölfisch« definiert. Die andere Definition, »homo homini deus est«, bezieht sich allein auf die Konstruktion des »künstlichen Menschen und sterblichen Gottes«, des »Leviathan«. H. geht in seinem Denken nicht von einem Idealzustand der Welt aus, sondern von den Tatsachen seines Erfahrungshorizontes. Er wertet damit nicht in moralischen Kategorien von »gut« und »böse«, wie es später z.B Rousseau macht. Da der Mensch in bezug auf die Objekte seiner Wünsche nur von seinen Sinnen und seinem Willen her geleitet wird, kann er die Gegenstände auch nur von sich aus beurteilen. Die Beschreibung des menschlichen Antriebs von seinen Triebstrukturen und Bedürfnissen her ist durchaus im modernen psychoanalytischen Sinne zu verstehen. Allein die Frage nach der Bewertung der Triebstrukturen und ihrer Lenkung und Kanalisierung stellt H. nicht; sie ist auch bedeutungslos im Hinblick auf die zweite diagnostizierte Grundeigenschaft des autonomen Subjektes, nämlich seine Todesfurcht.

Diese Furcht führt über die Indienststellung der Vernunft, die lediglich zweckrational verstanden wird, zu dem Wunsch nach Sicherheit. Die Sicherheit wiederum ist nur durch die Unterwerfung unter die Macht eines Souveräns über alle möglich. Die Menschen sind gleich, einmal, weil sie alle nach den gleichen Dingen streben, zum anderen, weil die Bedrohung untereinander immer gleich bleibt. Der Stärkste kann vom Schwächsten durch List und Klugheit getötet werden; die Furcht vorm Tode egalisiert die Menschen. Die Dinge, nach denen die menschliche Natur strebt, sind auf Selbsterhaltung und Lustbefriedigung (»commodius living«) zurückzuführen. Da aber der Lustgewinn die Grenzen sofort dort erreicht, wo zwei Individuen dasselbe Objekt begehren, ist der Konflikt zwischen ihnen unausweichlich. Da aber alle Güter begrenzt sind, also nicht alle Subjekte gleichermaßen diese knappen Güter erhalten können, tritt die Kategorie der Macht als Durchsetzungsgewalt gegen die Ansprüche anderer auf den Plan. Macht wird als das vorzüglichste Mittel zur Lustbefriedigung erkannt und deren Größe als eine Relation in der menschlichen Interaktion bestimmt. Machtstreben und Konkurrenzverhalten können nur dort aufhören, wo eine noch viel größere Macht entgegensteht. Diese Macht herzustellen bedeutet die Geburtsstunde des Leviathan: »Die größte menschliche Macht ist diejenige, welche aus der Macht sehr vieler Menschen zusammengesetzt ist, die durch Übereinstimmung zu einer einzigen natürlichen oder bürgerlichen Person vereinigt sind, der die ganze Macht dieser Menschen, die ihrem Willen unterworfen ist, zur Verfügung steht, wie z.B. die Macht eines Staates.« Die Frage nach der Übereinstimmung ist dabei zentral. Denn die Autonomie des Subjektes widerspricht grundsätzlich einer Einschränkung seines Machtpotentials. Bisher stellte sich der Konflikt zwischen dem allumfassenden Machtstreben einerseits und den knappen Gütern andererseits.

Nur wenn durch diese egozentrische Bedarfsdeckung eine Bedrohung für andere erwächst, wird eine Konfliktregelung prinzipiell nötig. Diese berührt dann jedoch auch die Frage nach der Verteilung der knappen Güter. Bezugspunkt des abstrakten Rechts auf alles ist das autonome Subjekt; es bezieht seine Welt als ein materiales Gegenüber auf sich selbst und wird herstellend aktiv. Mit dieser Form des Subjektivismus entsteht das Selbstbildnis des bürgerlichen Subjekts: der Bürger als Handwerker. Der Befriedigung des Strebens nach den knappen Gütern entspricht realökonomisch die Entwicklung des Kapitalismus. Damit war für H. das Postulat der prinzipiellen Gleichheit aller trotz der Klassenantagonismen abgedeckt; denn die Stoßrichtung des Leviathan ist vor allem gegen die Aristokratie als nicht vertragsgegründete herrschende Klasse gerichtet. In diesem Sinne ist H. durchaus Vorläufer der Eigentumstheorie von Locke. So berechtigt die Kritik an dem ökonomischen Resultat des H.schen Modells ist, so darf man doch nicht vergessen, daß der Staat, der später »Nachtwächterstaat« heißen wird, bei H. lediglich die Außenstabilisierung geben soll. Die Individuen dürfen ohne Reglementierung ihren »Geschäften« nachgehen, also der Akkumulation von Kapital. Natürlich liegt genau darin der Konfliktstoff verborgen, der den gesellschaftlichen Unfrieden geradezu garantiert und das H.sche Theorem des Leviathan in die Schranken der Geschichte verweist. Denn mit den Klassenantagonismen ist eine »strukturelle Gewalt« institutionalisiert.

Für H. konnte dies noch nicht ein zentrales Problem sein. Dennoch liegt in der Autonomie des bürgerlichen Subjektes die eigentliche Leistung der politischen Philosophie bei H. Denn diese Autonomie ist der Gegensatz zu jeder dirigistischen Staatsform. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ist schon angelegt, ohne näher expliziert zu sein. Die Staatsgründung ist zweckrational und funktional bestimmt; die gesellschaftliche Entwicklung gehorcht aber allein den Prämissen der Innerlichkeit des Subjektes, die sich gegenüber dem öffentlichen Bereich, dem der staatlichen Herrschaft, prinzipiell verselbständigen konnte. Diese Innerlichkeit, »Privatsphäre«, gewinnt nach H. an Bedeutung, da sie nicht nur die Religiosität einschließt, sondern zunehmend als Bereich der ökonomischen Handlungsfreiheit verstanden wird. Das war die Absage an absolutistische Monarchie – oder klerikale Machtbegründung. Somit aber ist H. auch der bürgerliche Politikwissenschaftler, der die Frage nach Legitimität und Herrschaft der scholastischen Tradition entzogen hat. Alles, was Menschen zu den Waffen greifen läßt, kann nicht wahr sein, denn die höchste Wahrheit der Vernunft ist nach H. das Naturgesetz zum Frieden. Es bleibt als Ergebnis seiner Theorie die grundsätzliche Antinomie übrig: ist Friede unter »Wölfen« überhaupt denkbar.

Die Möglichkeit, die Spinoza im Vergleich zwischen H. und Rousseau erkannt hatte, bleibt konkrete Utopie: Rousseaus Gedanke von der Demokratie, der Volkssouveränität, kollidierte mit H.’ Naturbegriff der menschlichen Disposition; im Grenzfall könnten jedoch Souverän (H.) und Volksherrschaft (Rousseau) identisch sein. So würden alle Vertragspartner die Regeln ihres Zusammenlebens selbst schaffen und sichern. Dies wäre dann der Übergang vom Absolutismus zur Demokratie. Und wie jedes Modell, so ist aber auch jede Philosophie in eigener Weise endlich.

Kersting, Wolfgang: Thomas Hobbes zur Einführung. Hamburg 2002. – Münkler, Herfried: Thomas Hobbes. Frankfurt am Main/New York 22001. – Tuck, Richard: Hobbes. Freiburg 1999. – Schmitt, Carl: Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols. Stuttgart 1995. – Kersting, Wolfgang: Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags. Darmstadt 1994. – Willms, Bernard: Thomas Hobbes. Das Reich des Leviathan. München 1987. – Aubrey, John: Thomas Hobbes. Berlin 1984. – Weiß, Ulrich: Das philosophische System von Thomas Hobbes. Stuttgart-Bad Cannstatt 1980.

Thomas Schneider

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