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Metzler Philosophen-Lexikon: Kritias

Geb. ca. 460 v. Chr. in Athen;

gest. 403 v. Chr. bei Munichia

In den Memorabilien (Erinnerungen an Sokrates) gibt Xenophon eine kurze Charakteristik des K.: Er habe stets voller Stolz auf seine Abstammung, seinen Reichtum und seinen Einfluß verwiesen, und immer sei er in aller Leute Mund gewesen. Aus einem vornehmen, altadligen und begüterten Hause stammend, war K. – wie viele andere athenische Adlige – allein durch seine Herkunft dazu prädestiniert, ein Gegner der radikalen athenischen Demokratie zu werden: Im Jahre 411 war er Mitglied im oligarchischen Rat der Vierhundert, der nach dem Fehlschlag des sizilischen Feldzugs, für den man die Demokratie verantwortlich machte, nur kurz in Athen die Macht innehatte. Nach der Kapitulation Athens im Jahre 404 wurde er zunächst einer der fünf Ephoren, die im Sinne der siegreichen Spartaner eine antidemokratische Ordnung schaffen sollten, danach war er der Anführer der »30 Tyrannen«, die mit blutiger Hand Athen kurze Zeit beherrschten. Im Kampf gegen die anrückenden demokratischen Verbände unter Thrasybulos fiel er bei Munichia im Mai 403.

So ist K.’ Leben zwar einerseits gekennzeichnet durch eine ständige Gegnerschaft zur attischen Demokratie; andererseits jedoch konnte sich eine Persönlichkeit wie er nur in dem spezifischen intellektuellen und politischen Klima entwickeln, das in Athen nach den einschneidenden Reformen des Ephialtes (462) herrschte: Indem Ephialtes und nach ihm Perikles den politischen Einfluß der Adligen zurückdrängten, stand die politische Bühne fortan jedem freigeborenen Athener offen. Politisches Gewicht hatte nicht mehr derjenige, welcher sich auf seine Abstammung berufen konnte, sondern der sich mit seinen Argumenten vor den Gerichten durchsetzen konnte. Um sich politischen Einfluß zu verschaffen, war es deshalb nötig, die Kunst der Politik (»politikḗ téchnē«) zu erlernen. Die sogenannten Sophisten, vor allem Gorgias und Protagoras, traten mit dem Anspruch auf, diese politischen Fähigkeiten gegen ein enormes Honorar zu vermitteln. K. erwarb sich »die politische Kunst« bei Gorgias und Sokrates. Platon, K.’ Neffe mütterlicherseits, läßt ihn in mehreren Dialogen als Gesprächspartner von Sokrates auftreten (Charmides, Protagoras, Timaios, Kritias). Doch K. suchte – wie auch Alkibiades – Sokrates’ Nähe nur so lange, bis er glaubte, eine ausreichende politische Ausbildung erhalten zu haben. Gerade der Umgang mit Demokratiefeinden wie K. und Alkibiades wurde Sokrates im Prozeß zum Vorwurf gemacht.

Nach seiner Biographie kann man somit K. eigentlich nicht als einen Sophisten bezeichnen, da er keineswegs als Redelehrer auftrat, sondern wie z.B. Alkibiades die Fähigkeiten, welche die Sophisten vermittelten, skrupellos zu seinen politischen Zielen einsetzte. Von seinem nur durch spärliche Fragmente belegten literarischen Werk – oft sind nur Titel erhalten – weisen ihn die Einleitungen zu Reden vor Volksversammlungen als einen aktiven Politiker und Sophistenschüler aus. Die Vielfalt der Themen und Gattungen, in denen er sich betätigte, geben ein deutliches Zeugnis von der kulturellen Blüte Athens in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr.: Neben Dramen – erhalten ist ein längeres Bruchstück aus dem Satyrspiel Sisyphos – verfaßte er Elegien und hexametrische Gedichte und Beschreibungen von Staatsverfassungen sowohl in der Form des elegischen Distichons als auch in Prosa, zwei Bücher Aphorismen und Gespräche und eine Schrift mit dem Titel Über die Natur der Liebe oder die Tugenden.

Centanni, M.: Atene assoluta. Crizia dalla tragedia alla storia. Padua 1997. – Zimmermann, Bernhard: Art. »Kritias«. In: Der Neue Pauly. Stuttgart/Weimar 1996ff., Bd. 6, Sp. 851–852. – Guthrie, W. K. C.: A History of Greek Philosophy, Bd. 3. Cambridge 1969, S. 235–246; S. 298–303.

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