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Metzler Philosophen-Lexikon: Owen, Robert

Geb. 14. 5. 1771 in Newtown/Wales;

gest. 17. 11. 1858 in Newtown/Wales

Als O. im Jahr 1800 Teilhaber der Firma seines Schwiegervaters wurde und die Geschäftsführung von dessen Spinnerei in New Lanark (Schottland) übernahm, fand er eine verwahrloste Arbeiterschaft vor. In seiner Autobiographie The Life of Robert Owen written by himself (1857) beschreibt er sie als faule, unmäßige und unehrliche Menschen, die nur deswegen religiös waren, weil die Religion »alle ihre Mängel und unmoralischen Handlungen decken und entschuldigen würde«. O. sieht seine Lebensaufgabe darin, zunächst eine Musterfabrik und später eine Mustergesellschaft nach neuen Prinzipien zu errichten. Trotz zahlreicher Probleme setzt er sein Vorhaben durch, andere Formen der Produktion und Distribution zu verwirklichen. Aus diesem Versuch gehen O.s Pläne für eine Neuordnung der Gesellschaft hervor: A new view of society: or essays on the principle of the formation of the human character (1813/14; Eine neue Auffassung von der Gesellschaft).

Der berühmteste englische Frühsozialist wuchs als Sohn eines wohlhabenden Sattlers, Eisenhändlers und Posthalters in Nordwales auf. Schon früh setzte sich der begabte Junge mit der Religion auseinander. Später fand er in seinen sozialistischen Idealen eine gerechtere Alternative, weil sie durch die Möglichkeit einer kollektiven Veränderung der Lebensumstände eine moralische Verbesserung der Menschen in Aussicht stellten. In A new view of society vertritt O. eine Milieutheorie, die sich vom Determinismus vieler seiner Zeitgenossen (Thomas Robert Malthus, David Ricardo, John Stuart Mill) durch ihren Rationalitätscharakter unterschied. Weder besitzt ein Individuum einen freien Willen, noch trägt es die Verantwortung für seinen Charakter und seine Handlungen, weil diese durch das soziale Milieu bestimmt werden. Da das »moralische Böse« in der Welt durch die Umwelt verursacht wird, muß die Umwelt verändert werden, um das »Böse« aus der Welt zu schaffen. Aus dieser deterministischen Sicht ergab sich die Notwendigkeit, neue Gesellschaftsformen zu entwickeln. Anonym veröffentlicht er A Statement regarding the New Lanark Establishment (1812), aber sein Modell wurde erst mit A new view of society weltbekannt. Die dort entwickelten Prinzipien und Methoden hielt er für geeignet, die gesamte Gesellschaft zu verbessern, so daß er diese Schrift an führende Persönlichkeiten in Großbritannien sowie an europäische Regierungen und Universitäten schickte. Die Rolle der Erziehung betont O. vor anderem, da die Menschen so erzogen werden müßten, daß sie sowohl ihre Abhängigkeit von äußeren Umweltfaktoren als auch die Wechselwirkung zwischen individuellem und kollektivem Glück erkennen könnten. Wieviel Wert O. auf die Rolle der Erziehung legte, zeigt der gute Ruf der Schule in New Lanark, die Besucher aus aller Welt anzog.

In den ersten Jahren nach der Veröffentlichung von A new view of society bemühte sich O. ohne viel Erfolg um staatliche Intervention zugunsten des Arbeiterschutzes (Abschaffung der Kinderarbeit, Kürzung der Arbeitszeit und Einführung der Arbeitslosenunterstützung). In seiner Autobiographie beschreibt er, wie er zunehmend an einer Verschwörung der oberen Schichten gegen die Arbeiter und Armen zu glauben beginnt. Sein Appell an die Arbeiterklasse, An address to the working classes. 29. 3. 1819, fordert die Arbeiter auf, sich zu organisieren und ihre eigenen Interessen zu vertreten. Die bestehenden Verhältnisse könnten seiner Meinung nach nur verändert werden, wenn die Betroffenen selbst etwas gegen sie unternehmen. Als Lösung propagierte O. von 1821 bis 1822 die Laden- und Konsumgenossenschaft in The Economist, einer von ihm gegründeten Zeitschrift, die das neue Gesellschaftssystem bekannt machen sollte. Radikaler noch als die Selbsthilfeorganisationen waren die genossenschaftlichen Gemeinwesen, die »communities«. O.s Vorschläge, wie z.B. im Report to the County of Lanark (1821), fanden jedoch wenig Anklang in Großbritannien. Für einige Jahre ging O. deshalb nach Amerika, um seine Pläne in der Neuen Welt zu verwirklichen. Doch das Experiment der Musterkolonie »New Harmony« scheiterte nach drei Jahren (von 1825 bis 1828) ebenso wie seine 1834 gegründete Siedlung »Queenswood«. O. blieb fast bis zu seinem Lebensende publizistisch tätig. Ab 1834 erschien die Zeitschrift New Moral World wöchentlich; 1836 bis 1844 die Bibel der Oweniten, The Book of the New Moral World. Die Mißerfolge der »communities« und der fehlende Zulauf zeigten jedoch, daß der Sozialismus in dieser Gestalt und zu dieser Zeit keine Zukunft hatte. O. gab aber nie seine sozialen Hoffnungen auf, wie seine unvollendet gebliebene Autobiographie zeigt. Am Tag vor seinem Tod sagte er: »Ich brachte der Welt wichtige Wahrheiten. Und wenn sie ihrer nicht achtete, so weil sie sie nicht verstand. Ich bin meiner Zeit voraus.«

Elsässer, Markus: Soziale Intentionen und Reformen des Robert Owen in der Frühzeit der Industrialisierung. Berlin 1984. – Engelhardt, Werner Wilhelm: Robert Owen und die sozialen Reformbestrebungen seit Beginn der Industrialisierung. Bonn 1972.

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