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Metzler Lexikon Philosophie: Anerkennung

(1) In der Urteilstheorie der traditionellen Logik bedeutet A. die Bejahung einer Aussage. Für die moderne Logik macht Frege geltend, dass die A. immer ein Urteil darstellt: man urteilt, indem man einen Gedanken als wahr anerkennt. (2) In der praktischen Philosophie spielt der Begriff der A. in doppelter Hinsicht eine Rolle: (a) in Bezug auf das interpersonale Verhältnis von Individuen und (b) in Bezug auf den Geltungsanspruch von Normen. – (a) Als Begriff der praktischen Philosophie beinhaltet er das Verhältnis der Individuen in einer doppelten Hinsicht: einerseits die Bildung eines gemeinsamen Bewusstseins verschiedener Subjekte und andererseits die Individualisierung der einander Anerkennenden. Diese Thematik wird in besonderer Weise von Fichte und Hegel behandelt. Beide gehen von zwei Annahmen aus: (1) Selbstbewusstsein bedeutet Unabhängigkeit des Ich von jedem Nicht-Ich, und zwar als tätige Negation jeden Andersseins; (2) jedes Selbstbewusstsein kann sich andererseits nur in einem von ihm Unterschiedenen (d.i. anderen Selbst) erfassen. Dazu ist es auf das Anderssein angewiesen, das es zum Zweck der Unabhängigkeit negieren muss. Die Theorie der A. ist von Hegel und Fichte als Lösung dieses Problems konzipiert. Bei Fichte kann jeder nur dadurch zum Bewusstsein seiner Freiheit kommen, indem ihn ein anderer zu einer freien Handlung auffordert. Der Handlungsauffordernde muss dazu einen Handlungsspielraum freigeben, indem er seine eigene Willkürfreiheit beschränkt. Wenn der Andere diese Aufforderung zur Selbstbestimmung in seinem Handeln realisiert, beschränkt er seinerseits seine Willkür und gibt dem Anderen die Möglichkeit zur Selbstbestimmung. Erkennen der eigenen Freiheit ist demgemäß nur durch Anerkennen der Freiheit des Anderen möglich. Jeder kann am Anderen die Möglichkeit der Selbstbestimmung erfahren, indem er seine schrankenlose Willkür (d.i. sein »eigenes Anderssein«) negiert (Siep). Für Hegel besteht die Freiheit des Selbst nicht im ausschließenden Negieren des Anderen, sondern in der Einsicht, eine gemeinsame Identität mit ihm zu haben, nämlich ein freies Subjekt zu sein. Diese Einsicht ist das Resultat eines dialektischen Prozesses, den er als Kampf um A. darstellt: (1) Die Beziehung auf sich selbst stellt eine Beziehung auf den Anderen dar: eine Negation bzw. Vernichtung des Anderen; (2) durch die Beziehung auf den Anderen schaut er sich selbst im Anderen an (Beziehung auf sich selbst); (3) beide sind selbst die ganze Beziehung, denn jedes Subjekt ist für sich Beziehung auf sich selbst und auf sein Anderes (Siep). In der Rechtsphilosophie benennt Hegel drei Formen der A.: Dem affektiven Anerkennungsverhältnis der Familie entspricht das menschliche Individuum als konkretes Bedürfniswesen. Die Liebe stellt ein Verhältnis wechselseitiger A. dar, in dem die natürliche Individualität der Subjekte Bestätigung findet. Dem kognitiv-formellen Anerkennungsverhältnis des Rechts entspricht die abstrakte Rechtsperson, dem des Staates entspricht das Individuum als konkretes Allgemeines, d.h. das in seiner Einzigartigkeit vergesellschaftete Subjekt.

(b) In Bezug auf die Rechtfertigung praktischer Sätze wird der A. ein grundlegender Status zugewiesen (Ilting): Für eine Theorie des Handelns ist es eine entscheidende Frage, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit eine Aufforderung (zur Handlung oder zur Unterlassung) wirksam werden kann. Der Auffordernde muss seine Forderung mit einem Angebot an den Aufgeforderten für den Fall verbinden, dass dieser die Aufforderung annimmt und die geforderte Leistung erbringt. Das Angebot muss den Vorschlag beinhalten, dass eine wechselseitige Aufforderung und ein wechselseitiges Annehmen einer Aufforderung sich gegenseitig bedingen. Zwischen den Beteiligten muss Übereinstimmung darüber hergestellt werden, dass diese Bedingung ihr beiderseitiges Verhalten regeln soll – die Übereinstimmung stiftet eine Gemeinsamkeit zwischen den Individuen. Diese vertragsähnliche Übereinstimmung stellt die A. eines Sollensatzes dar, zu dem sich jeder im vorhinein als Bedingung seines Handelns zu verpflichten hat. Diese A. soll als ein Akt des Willens angesehen werden, der auch weiterhin gegen jeden geltend gemacht werden kann. Nur wer diese Grundnorm anerkannt hat, ist überhaupt erst eine »Person«, mit der man sinnvoll eine Übereinkunft über weitere gemeinsame Normen treffen kann. Mit der A. der Grundnorm ist unmittelbar die Anerkennung anderer Personen verbunden.

(c) Eine besondere Rolle spielt die A. für jene Formen der Ethik, die auf dem Beratungsprinzip (Schwemmer) oder auf den Geltungsansprüchen des praktischen Diskurses (Apel, Habermas) aufbauen. Das Beratungsprinzip setzt die universelle A. des Grundsatzes der Verständigung (über moralische Konflikte) voraus. In dem Modell einer konstruktiven Ethik wird in den einzelnen Schritten aufgezeigt, inwiefern die A. als Herstellung einer intersubjektiven Gemeinsamkeit verstanden werden kann: Die Intersubjektivität stellt sich her (1) über die Klärung eines intersubjektiv verbindlichen Sprachgebrauchs, (2) über die Wechselseitigkeit der sprachhandlungsimmanenten Verpflichtungen, (3) über die Verallgemeinerung der partikularen Vorschläge zu intersubjektiv geltenden Normen, und schließlich (4) über die Universalisierung von Handlungsnormen. Das Modell der Herstellung kann auch als Rekonstruktion einer fiktiven Herstellung intersubjektiver Gemeinsamkeit verstanden werden, die die notwendig unterstellte A. explizit macht. In der kommunikativen Ethik (Diskursethik, Transzendentalpragmatik) gründet die universelle A. des Grundsatzes der Verständigung und der anderen Personen als gleichberechtigte und freie Partner in den notwendigen Bedingungen der Sprechhandlungen. Diese Bedingungen muss jedes Mitglied einer Sprachgemeinschaft zumindest implizit anerkannt haben, da sie die Voraussetzungen für das Gelingen von Sprechhandlungen darstellen. Die Idee der diskursiven Einlösung von den Geltungsansprüchen der Wahrheit und Richtigkeit oder die Idee der argumentativen Begründung (Kambartel) setzt weiterhin die A. derjenigen Bedingungen voraus, die für einen argumentativen Konsens konstitutiv sind, nämlich gleichberechtigte Teilnahme am Diskurs und uneingeschränktes und zwangsfreies Rederecht.

Literatur:

  • K.-O. Apel: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft und die Grundlagen der Ethik. In: Transformation der Philosophie. Bd. II. Frankfurt 1973. S. 358 ff
  • J. G. Fichte: Grundlage des Naturrechts. Hamburg 1979. §§ 3 u. 4
  • Ders.: System der Sittenlehre. Hamburg 1963. § 18
  • J. Habermas: Diskursethik – Notizen zu einem Begründungsprogramm. In: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln. Frankfurt 1983. S. 53 ff
  • G. W. F. Hegel: Realphilosophie von 1803/04 (Ges. Werke Bd. 6)
  • Ders.: Realphilosophie von 1805/06 (Ges. Werke Bd. 8)
  • Ders.: Phänomenologie des Geistes
  • Ders.: Grundlinien der Philosophie des Rechts
  • K.-H. Ilting: Anerkennung. Zur Rechtfertigung praktischer Sätze. In: P. Becchi/H. Hoppe (Hg.): Grundfragen der praktischen Philosophie. Frankfurt 1994. S. 13 ff
  • F. Kambartel: Moralisches Argumentieren. Methodische Analysen zur Ethik. In: Ders. (Hg.): Praktische Philosophie und konstruktive Wissenschaftstheorie. Frankfurt 1974. S. 54 ff
  • P. Lorenzen/O. Schwemmer: Konstruktive Logik, Ethik und Wissenschaftstheorie. Mannheim/Wien/Zürich 1973. S. 107 ff
  • L. Siep: Zur Dialektik der Anerkennung. In: Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus. Frankfurt 1992. S. 172 ff.

PP

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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