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Metzler Lexikon Philosophie: Argumentationstheorie

Theorie der Voraussetzungen, Funktionen, Formen und Strukturen von Argumentation. Die in der abendländischen Philosophie vorherrschende theoria-Tradition, die Erkennen nach dem Muster des Sehens und Vernunft primär als ein Vernehmen (noein) geistiger Gehalte auffasste, hat zu einem vorwiegend an der Logik orientierten Verständnis von Argumentation geführt. Lange Zeit, insbesondere in der Scholastik, war die aristotelische Syllogistik Vorbild der A. Die damit einhergehende Ausgrenzung von Rhetorik und Topik aus der A. setzte sich bis ins 20. Jh. fort. Der logische Empirismus Carnaps konzentriert sich ebenso wie der Kritische Rationalismus auf die formallogische Struktur von Argumentationen.

Diese Fixierung auf die syntaktisch-semantische Dimension von Argumentation wird zunehmend von einer gegenläufigen, den rhetorisch-pragmatischen Teil der Rede stärker gewichtenden Tendenz überlagert, die W. v. Humboldt zu Beginn des 19. Jh. durch die Hervorhebung der Sprachlichkeit der Vernunft einleitete. Für die pragmatische Umgestaltung der A. sind dann vor allem der Pragmatismus von Peirce, die empirische Pragmatik von Morris, die Sprachspielpragmatik des späten Wittgenstein, die daran anschließende Ordinary Language Philosophy (Philosophie der normalen Sprache) und die Sprechakttheorien Austins und Searles einflussreich gewesen. Toulmins A. setzt die Redepraxis in ihr Recht, indem sie zeigt, dass lediglich »analytisches« Argumentieren, das keinen Informationsgewinn erbringt, im strengen Sinn auf deduktives Schlussfolgern zurückzuführen ist; während sich »substantielles« Argumentieren auf materiale Konventionen, den übereinstimmend akzeptierten und faktisch unbezweifelten Gebrauch von Regeln innerhalb einer Sprachgemeinschaft, stützen müsste, um den Übergang von den Gründen zu den Konklusionen zu sichern. Die im gleichen Zeitraum (1958) entstandene »Neue Rhetorik« Perelmans knüpft explizit an die verschütteten Traditionen von Rhetorik und Topik an. Sie vertritt die These, dass der Erfolg von Argumenten von der Zustimmung eines Auditoriums abhängig gemacht werden müsse. In der rhetorischen A. geht es um den Aufweis der sprachlichen Mittel, die notwendig sind, um das Argumentationsziel der Überzeugung zu erreichen. Hierbei soll ernsthaftes Argumentieren von bloßem Überreden dadurch unterschieden werden können, dass der Erfolg von Argumentationen an die Zustimmungswürdigkeit durch ein »universelles« Auditorium gebunden wird. – In der Diskurspragmatik (Apel, Böhler, Kuhlmann) und der Diskurstheorie (Habermas, Alexy) wird A. schließlich zum Äquivalent für Rationalitätstheorie. Die Doppelstruktur der Rede, die Rückbezüglichkeit des propositionalen Aussageteils auf den intersubjektive Gegenseitigkeit konstituierenden performativen Redeteil impliziert, dass wir Sprechhandlungen nur verstehen können, »wenn wir die Art von Gründen kennen, die ein Sprecher anführen könnte, um einen Hörer davon zu überzeugen, daß er unter den gegebenen Umständen dazu berechtigt ist, Gültigkeit für seine Äußerung zu beanspruchen.« Daher verweist kommunikatives Handeln immer schon auf Argumentation bzw. Diskurs als seine Reflexionsform. Regulatives Ziel jeder ernsthaften Argumentation ist der ideale Konsens, der sich unter unbegrenzten Verständigungsbedingungen ergeben würde. Diese Argumentationsvoraussetzung, wie auch das Wissen von den Geltungsansprüchen auf Verständlichkeit, Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit, die Anerkennung der realen Kommunikationsgemeinschaft als Sinninstanz und der idealen Argumentationsgemeinschaft als Geltungsinstanz jeder Argumentation, rekonstruiert die Diskurspragmatik im strikt argumentationsreflexiven Diskurs. Von ihm sind die konkreten, gegenstandsorientierten Diskurse zu unterscheiden, die zum Thema einer Diskurstypologie gemacht werden. Gegenwärtig wird zwischen theoretischen, praktischen, expressiven, ästhetischen und explikativen Diskursen differenziert.

Literatur:

  • R. Alexy: Theorie der juristischen Argumentation. Frankfurt 1991
  • K.-O. Apel: Diskurs und Verantwortung. Frankfurt 1988
  • D. Böhler/H. Gronke: Art. Diskurs. In: G. Ueding (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 2. Tübingen 1994. Sp. 764–819
  • J. Habermas: Wahrheitstheorien. In: H. Fahrenbach (Hg.): Wirklichkeit und Reflexion. Pfullingen 1973. S. 211–266
  • Ders.: Exkurs zur Argumentationstheorie. In: Ders.: Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1. Frankfurt 1981. S. 44–71
  • W. Kuhlmann: Reflexive Letztbegründung. Freiburg/München 1985
  • Ch. Perelman/L. Olbrechts-Tyteca: La nouvelle rhétorique. Paris 1958
  • S. Toulmin: The Uses of Argument. Cambridge 1958 (dt. Der Gebrauch von Argumenten. Kronberg 1975).

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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