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Metzler Lexikon Philosophie: Böse, das

Der Begriff ist nur im Gegensatz zum Begriff des Guten verständlich und wird traditionell als »privatio debiti boni« (Raub des geschuldeten Guten) definiert. Der Begriffsbildung liegt die Erfahrung von Lebensverhinderung, von Beeinträchtigung von Glück und Heil zugrunde. Die Frage nach dem B.n, differenzierbar als »malum physicum« (Schmerz und Leid), »malum morale« (Übel und Schuld) und »malum metaphysicum« (Unvollkommenheit der Schöpfung, das B. als Mangel an Sein), wirft die Frage nach dem Woher und Wozu des B.n auf und ist aufs Engste mit der Frage nach dem Sinn menschlichen Lebens und nach der Ordnung der Welt verknüpft.

(1) In der Theologie wird die Frage nach dem B.n auf dem Hintergrund des Theodizeeproblems (Theodizee) diskutiert: Wie lässt sich die Rede von einem »guten Gott« angesichts des B.n in der Welt rechtfertigen? Das Buch Hiob gilt als der klassische Ort dieser Auseinandersetzung. Man spricht in diesem Zusammenhang vom »Geheimnis des Bösen«. Diesem Geheimnis trägt die von Augustinus systematisch entwickelte Erbsündenlehre Rechnung, die an das paulinische Wort vom »Gesetz der Sünde« (Röm 7:23) anschließt und das Phänomen des B.n mit dem Begriff der (Willens)Freiheit des Menschen verknüpft, der aus eigenem Antrieb das B. tut. Das Projekt einer »Theologie nach Auschwitz« wirft neue Legitimationsprobleme auf und führt die Rede von der »Allmacht Gottes« angesichts der Manifestation des B.n in Auschwitz ad absurdum (D. Sölle, H. Jonas).

(2) Religionspsychologisch wurden wiederholt dualistische Lösungsvorschläge unterbreitet, die neben einem Prinzip des Guten (»Gott«) ein, mehr oder weniger gleichwertiges, Prinzip des B.n (»Teufel«) annahmen. In der modernen theologischen Diskussion ist dieses Konstrukt umstritten: »Abschied vom Teufel«? (H. Haag). Auf der anderen Seite hat sich ein spezifischer »Kult des B.n« (Satanismus) entwickelt.

(3) Biologische (K. Lorenz: Das sogenannte Böse) und psychologische (S. Freuds Ansatz vom »Thanatos«, C. G. Jungs Theorie vom »Schatten«) Annäherungen an das Phänomen des B.n verweisen auf die Triebstruktur des Menschen und verlagern das B. in die Natur des Menschen. Diese Antwort auf die Frage nach dem Woher des B.n hat bereits I. Kant (Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft) vorgeschlagen. Die Philosophie behandelt das Phänomen nicht nur unter der Rücksicht der Theodizeefrage (Beispiel: Leibniz’ Essais de theodicee), sondern auch im Bereich der Phänomenologie (RicŒur).

CSE

(4) Ethisch lässt sich von einem bösen Willen sprechen, wenn die dem sittlich Guten zuwiderlaufenden und zerstörerischen Ziele geradezu als solche angestrebt werden, im Unterschied zu einem Handeln aus falscher Einsicht oder Schwäche. – Dagegen hält Kant einen »schlechthin bösen Willen«, bei dem der Widerstreit gegen das Sittengesetz selbst zur Triebfeder wird, also das B. um des B.n willen getan wird, für »teuflisch« und auf den Menschen nicht anwendbar. Bei ihm bezeichnet das »radikal Böse« die Umkehrung der Triebfedern im Menschen, wenn nämlich die Selbstliebe zur Bedingung der Befolgung des moralischen Gesetzes gemacht wird, mit anderen Worten, wenn ich das Gute nur tue unter der Bedingung, dass es mir nicht schadet oder unangenehm ist (Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, B 31 ff). [FPB]

Literatur:

  • H.-J. Ehni: Das moralisch Böse. Freiburg 2006
  • K. Lorenz: Das sogenannte Böse. Wien 321973
  • P. Ricœur: Symbolik des Bösen. Freiburg 1971
  • L. Szondi: Kain. Gestalten des Bösen. Wien 1969
  • B. Welte: Über das Böse. Eine thomistische Untersuchung. Basel 1959.

CSE/FPB

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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