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Metzler Lexikon Philosophie: Demokratie

politische Ordnung, in der öffentliche Herrschaft an die Souveränität des Volkes gebunden wird. Abraham Lincoln kleidet dies 1863 in seiner wirkungsmächtigen Gettysburg-Adresse in die Formel »government of the people, by the people, for the people«. Als Bezeichnung der Herrschaft »des« Volkes über sich selbst geht der Begriff D. auf die politische Organisation der griechischen Polis zurück: demos (Volk), kratein (herrschen). Dabei ist allerdings in der aristotelischen Staatsformenlehre D. als Entartung zur »Pöbelherrschaft« negativ konnotiert. Nach dem Untergang der Polis entfaltet D. ihre politische Dynamik in der bürgerlichen Kritik an den absolutistischen Regimes. In den englischen Revolutionen des 17. Jh. legitimiert sich das »Commonwealth« Oliver Cromwells als Herrschaft durch das Volk, wobei die Bestimmung der Volkszugehörigkeit an bestimmte sozioökonomische Kriterien gebunden ist. Historischgenealogisch findet seit dem Ausgang des 18. Jh. eine Ausweitung der am demokratischen Partizipationsprozess beteiligten Volksschichten statt. So wird im 19. Jh. die Arbeiterschaft in das demokratische System inkorporiert, danach wird in den liberal-parlamentarischen Formationen das Frauenstimmrecht durchgesetzt. Von der Idee der Volkssouveränität geht insbesondere nach der Frz. Revolution eine solche Anziehungskraft aus, dass auf die Behauptung der demokratischen Legitimation von keinem Regime verzichtet werden kann. Auch die totalitären Bewegungen des 20. Jh. verweisen auf die Identität von Herrschern und Herrschaftsunterworfenen. Sie reklamieren sogar besondere Volksnähe. Folgerichtig beschreiben sich die diktatorischen Systeme des »realen Sozialismus« als authentische D.en, tautologisch als Volksdemokratien. Damit knüpfen sie an Konzeptionen unmittelbarer D. an, die in Rousseaus Entwurf eines Contrat Social als Wirken eines »allgemeinen Willens« (volonté générale) beschrieben werden. Die Souveränität des Volkes setzt hier seine ethnische, ideologische, soziale Homogenität voraus, die sich in einer apriorischen Gemeinwohlorientierung des Volkswillens manifestiert. Demgegenüber steht ein vor allem in England und Nordamerika entwickelter D.-Begriff (J. Locke, Th. Paine, Th. Jefferson, J. St. Mill), in dem das souveräne Volk als aus Individuen mit unterschiedlichen Interessen, Werthaltungen, Glaubensinhalten bestehend begriffen wird. D. soll diese individuellen Orientierungen zu ihrem Recht kommen lassen. An dieser Argumentation knüpfen schließlich Theorien einer pluralistischen Interessenregulierung an. Die Organisierung und Institutionalisierung demokratischer Entscheidungsfindung kann verschiedene Ausdrücke annehmen. So manifestiert sich das Prinzip der Volkssouveränität u. a. in Formen direkter Versammlungs-D., plebiszitärer D., repräsentativer D. – Der Begriff D. bezieht sich auf eine spezifische Staatsform. Gleichwohl deutet er auch auf gesellschaftliche Verhältnisse, weil D. an bestimmte materiale, soziale Voraussetzungen gebunden ist. So kann ohne allgemeine Bildung, Rechtsssicherheit, Meinungsfreiheit, soziale Sicherung usw., die die individuellen Partizipationsansprüche erst möglich machen, kaum von D. gesprochen werden. Diese sozialen Unterfütterungen sind Gegenstand der politischen Auseinandersetzung und der politikwissenschaftlichen D.-Theorie, in welcher deskriptive, analytische und normative Aspekte verwoben sind. Aufgrund dieser starken Normativität des Redens über D. gibt es auch keine unangefochtene, abschließende Definition der D. Während empirisch ausgerichtete, systemfunktionale D.-Theorien normative Leerstellen lassen (wollen), stehen normative D.-Theorien vor prinzipiellen Begründungsproblemen und sehen sich mit dem Vorwurf der Realitätsferne konfrontiert.

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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