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Metzler Lexikon Philosophie: Erklären, Erklärung

In der wissenschaftstheoretischen Diskussion werden unterschiedliche E.typen behandelt: die kausale E., die intentionale, die genetische, die dispositionelle, ebenso die Unterscheidung von effektiver E., Erklärungsskizze und Erklärungsbehauptung. – Eine herausragende Stellung nimmt die kausale E. ein, insofern sie von Hempel, Popper u.a. als die wissenschaftliche Erklärung schlechthin dargestellt wird. Die kausale E. wird in der Form der deduktiv-nomologischen und der induktiv-statistischen behandelt. Zu beiden E.arten existiert eine ausführliche Diskussion im Hinblick auf die Adäquatheitsbedingungen und auf die Abgrenzung zu Pseudoerklärungen. Eine vollständige E. ist nach Hempel, Oppenheim, Popper entweder ein deduktives oder ein induktives Argument, dessen Prämissen das Explanans bilden. In einer deduktiv-nomologischen E. bestehen die Prämissen aus (mindestens) einem singulären Satz, der die Anfangsbedingungen beschreibt, und einer Gesetzesaussage, mit Hilfe derer der Zusammenhang zwischen Anfangsbedingungen und dem zu erklärenden Ereignis hergestellt wird. Aus diesen beiden Prämissen lässt sich mit logischer Notwendigkeit das Explanandum folgern. Hempel und Oppenheim haben folgende Bedingungen festgelegt, denen eine adäquate E. genügen muss: (1) Das Argument, welches vom Explanans zum Explanandum führt, muss korrekt sein, d.h. das Explanandum muss logisch aus dem Explanans folgen; (2) das Explanans muss mindestens ein allgemeines Gesetz enthalten (oder einen Satz, aus dem ein allgemeines Gesetz logisch folgt); (3) das Explanans muss empirischen Gehalt besitzen; (4) die Sätze, aus denen das Explanans besteht, müssen wahr sein. In einer induktiv-statistischen E. kann auf der Grundlage eines singulären Satzes und einem statistischen Gesetz die Aussage getroffen werden, dass ein Ereignis der Art G mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eintreten wird, wenn zuvor ein Ereignis der Art F stattgefunden hat. Die Adäquatheitsbedingungen legen fest, dass die Aussagen des Explanans dem Explanandum eine hohe induktive Wahrscheinlichkeit verleihen müssen, und dass das Explanans mindestens ein statistisches Gesetz enthalten muss. – Die Adäquatheitsbedingungen beinhalten einige Probleme: Bspw. gibt es kein eindeutiges Kriterium zur Unterscheidung von Gesetzen und Nicht-Gesetzen (d.h. kontingenten Generalisierungen zufälliger Regularitäten). Für das Postulat des empirischen Gehalts ermangelt es einer hinreichend genauen Definitionsmöglichkeit einer empirischen Sprache. – Der Begriff der wissenschaftlichen E. bildet ein ideales Modell. Die Abweichungen von diesem Modell, wie sie im Alltag und auch in der Wissenschaft vorkommen, werden als »unvollkommene E.en« bezeichnet. Dazu zählt bspw. die »rudimentäre (oder elliptische) E.«, die die sprachliche Gestalt von Weil-Sätzen oder Ursache-Wirkungs-Aussage hat (z.B. »das Auto verunglückte, weil der Reifen bei hoher Geschwindigkeit platzte«). Deren Unvollkommenheit besteht in der unvollständigen Wiedergabe der relevanten Daten und in dem Unerwähntlassen der benötigten Gesetze. Eine andere Art unvollkommener E. stellt die partielle E. dar, deren Explanans nicht hinreichend ist, um das Explanandum in all den beschriebenen Hinsichten zu erklären, sondern nur einige Aspekte betrifft. Die Unvollkommenheit der Erklärungsskizze besteht darin, dass das Explanans unvollständig und ungenau formuliert wird. Es enthält nur mehr oder weniger vage Hinweise darauf, wie Antecedensdaten und Gesetze ergänzt werden könnten, damit daraus eine befriedigende rationale E. entsteht. Dies trifft für jene Fälle zu, wo zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine geeigneten, empirisch fundierten Gesetzmäßigkeiten angegeben werden können. – Für eine befriedigende E. werden zwei Vollständigkeitsprinzipien formuliert: (1) Das zu erklärende Phänomen oder Ereignis muss in allen seinen Einzelheiten erklärt werden. (2) Die E. darf nichts unerklärt lassen, d.h. keinerlei Ausnahmen machen, die ihrerseits einer E. bedürftig sind. Bei der Erfüllung der ersten Bedingung ist eine totale E. gegeben, bei der Erfüllung der zweiten eine abgeschlossene. Beide Vollständigkeitsprinzipien sind anzweifelbar: Eine totale E. ist deshalb ausgeschlossen, da die dazu erforderliche vollständige Beschreibung nicht möglich ist. Die abgeschlossene E. ist unmöglich, weil der Versuch einer vollständigen E. aller Antecedensdaten in einen unendlichen Regress führen müsste oder bei Annahme eines einzigen fundamentalen Gesetzes dieses selbst nicht mehr erklärbar wäre.

Eine genetische E. liegt vor, wenn man eine bestimmte Tatsache nicht einfach aus den Antecedensbedingungen (Antecedens) und Gesetzmäßigkeiten erschließt, sondern wenn gezeigt wird, dass diese Tatsache das Endglied einer längeren Entwicklungsreihe bildet, deren einzelne Stufen man genauer verfolgen kann.

Eine dispositionelle E. liegt dann vor, wenn das Verhalten von Gegenständen mit Hilfe von Dispositionen erklärt wird, die diesen Gegenständen zukommen. Dazu gehören solche Fälle, in denen die Tätigkeit handelnder Personen mit Hilfe von Charakteranlagen, Überzeugungen, Zwecksetzungen erklärt werden soll. – Bspw. hat die dispositionelle Eigenschaft der Brüchigkeit (einer Scheibe) gesetzesartige Konsequenzen (wenn sie von einem Stein getroffen wurde), aber im Unterschied zu echten Gesetzen wird in der Dispositionsaussage ein bestimmtes Objekt (d.i. diese konkrete Scheibe) erwähnt. Ryle nennt daher Dispositionssätze »gesetzesartige Aussagen«.

Für den Bereich der Handlungserklärung entwickelt v. Wright das Modell einer intentionalen oder teleologischen E. anhand des Schemas eines praktischen Schlusses: 1. Eine Person A beabsichtigt p herbeizuführen, 2. A glaubt, dass er p nur herbeiführen kann, wenn er eine konkrete Tätigkeit a ausführt. 3. Folglich macht sich A daran, a zu tun. Anhand dieses Schlusses wird ersichtlich, dass in einer intentionalen E. die in der Konklusion genannte Handlung durch Bezug auf die (in der ersten Prämisse angeführten) Absicht beantwortet wird. Während für die kausale E. charakteristisch ist, dass die Wirkung in keinem logischen Zusammenhang mit der Ursache steht, ist es für die intentionale E. wesentlich, dass die in der Konklusion genannte Handlung in einem logisch notwendigen Zusammenhang mit den Prämissen steht. Die Verknüpfung zwischen Wille und Verhalten ist eine logische und damit nicht eine im Hume’schen Sinne kausale Relation. Die Prämissen des Schlusses stellen eine teleologische E. des Handelns dar. In einer teleologischen E. werden unterschiedliche Verhaltensweisen nicht unter Gesetze, sondern unter ein Ziel subsumiert, auf das das Verhalten ausgerichtet ist. V. Wright weist in einer ausführlichen Erörterung darauf hin, dass die Schlussfolgerung aus den Prämissen nur dann eine logische Folgerung darstellt, wenn einige Modifikationen des Schluss-Schemas vorgenommen werden: Es muss (a) eine Aussage das Wissen einer Person enthalten, um den Ausdruck »beabsichtigen« zu präzisieren, (b) ein Zeitindex eingeführt werden, um die Zukünftigkeit des Handlungsereignisses und der konkreten Handlung zu kennzeichnen, (c) eine Aussage eingefügt werden, dass die Person ihr Wissen nicht vergessen hat und von der Realisierung der Intention nicht abgehalten wurde.

Literatur:

  • K.-O. Apel: Neue Versuche über Erklären und Verstehen. Frankfurt 1978
  • G. Ryle: Der Begriff des Geistes. Stuttgart 1969. S. 153 ff
  • W. Stegmüller: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie. Bd.I. Berlin/Heidelberg/New York 2., verb. A. 1983. Kap. I. u. XI.6
  • G. H. v. Wright: Erklären und Verstehen. Frankfurt 1974
  • Ders.: Probleme des Erklärens und Verstehens von Handlungen. In: Conceptus 19(1985). Nr. 47. S. 3–19.

PP

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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