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Metzler Lexikon Philosophie: Funktionalismus

sozialwissenschaftliche Theorie, die kulturelle Institutionen im Hinblick auf ihre Funktion hinsichtlich der Bedürfnisse des Individuums wie des gesellschaftlichen Ganzen betrachtet. Im Unterschied zu Ansätzen wie Diffusionismus oder Kultur-Evolutionismus werden Kulturelemente nicht isoliert betrachtet, sondern im Zusammenhang der Interdependenzen des gesamten kulturellen Systems gesehen. Beeinflusst wurde der F. von E. Durkheims Theorie der »sozialen Tatsachen«, die gruppenspezifische Zwänge (Regeln) darstellen, welche die Vorstellungen und Handlungen der Mitglieder prägen, ohne dass es diesen bewusst werden muss. Der eigentliche Begründer des F. ist Bronislaw Malinowski. Das Verständnis von Kultur hat ihm zufolge von der biologischen Tatsache auszugehen, dass das Überleben des Menschen nur gesichert ist, wenn seine Grundbedürfnisse (needs) befriedigt werden können. Diese stellen somit »biologische Imperative« dar, denen eine Kultur Folge leisten muss. Die Bedeutung einer Institution ergibt sich aus ihrer Funktion, d.h. im Hinblick darauf, wie sie ein oder mehrere solcher Bedürfnisse zufriedenstellt. Dabei dürfen einzelne Institutionen nicht isoliert betrachtet werden. Kultur muss vielmehr als ein zusammenhängendes System begriffen werden, dessen Elemente in einer Wechselbeziehung stehen und ihren Beitrag zur Erhaltung des Ganzen leisten. Grundbedürfnisse sind z.B. Nahrung, Fortpflanzung oder Sicherheit (vor Naturgewalten oder Feinden). Die gesellschaftliche Absicherung dieser Bedürfnisse erfordert ein organisiertes Vorgehen, das seinen Ausdruck in entsprechenden kulturellen Institutionen findet, wie Ernährungswesen, Regelung der Sexualität (Ehe, Verwandtschaft), Verteidigung. Die Aufrechterhaltung dieser Einrichtungen zieht nun »kulturelle Imperative« nach sich, denen die Gesellschaft nachkommen muss, um die Grundbedürfnisse abzusichern. Die zum Nahrungserwerb verwendeten Werkzeuge oder Waffen z.B. verlangen die Beschaffung und Bearbeitung des Materials, die Weitergabe des Wissens um ihre Herstellung, also ein Handwerk, dessen Organisation sich nicht direkt auf die Nahrung, sondern auf die Mittel ihrer Bewirtschaftung richtet. Solche abgeleiteten Institutionen sind z.B. Wirtschaft, Erziehung, politische Ordnung, Wissenschaft, Religion und Kunst. Neben einzelnen Kulturleistungen gibt es einen grundlegenden Imperativ, den des Erhalts der Gemeinschaft. Ohne Kooperation und Kommunikation ist der Aufbau und Bestand einer Kultur nicht möglich. Die kulturellen Institutionen müssen so sowohl den Bedürfnissen des Individuums als auch der Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Zusammenhalts dienen. – Eine Weiterentwicklung stellt der Struktur-Funktionalismus von A. R. Radcliff-Brown dar. Er richtet sein Augenmerk neben dem Aspekt der Funktion auf die Frage, wie Gesellschaften strukturell aufgebaut sein müssen, um ihren Bestand zu erhalten. So muss z.B. in nicht zentral regierten, sog. »staatenlosen (oder segmentären) Gesellschaften« ein Gleichgewicht im Zusammenwirken der Subsysteme gewährleistet werden. T. Parsons entwirft für Gesellschaften das Modell eines integrierten Systems im Gleichgewichtszustand, innerhalb dessen der Funktionsbegriff verschiedene Systemzustände bezeichnet.

Literatur:

  • F.-P. Burkard: Anthropologie der Religion. Dettelbach 2005. S. 37–64
  • B. Malinowski: Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur. Zürich 1949 – A. R. Radcliff-Brown: Structure and Function in Primitive Societies. London 1961
  • G. W. Stocking: Functionalism Historicized. Madison 1984.

FPB

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WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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