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Metzler Lexikon Philosophie: Holismus

(griech. holos: ganz), philosophische Tendenz, etwas als ein Ganzes anzusehen, das nicht aus Teilen zusammengesetzt ist, die unabhängig vom Ganzen existieren. Je nachdem, was als Ganzheit eingeschätzt wird, werden verschiedene philosophische Positionen als H. bezeichnet. Die wichtigsten Formen von H. sind: (1) Semantischer H.: Jede Sprache ist ein Ganzes. Ein Begriff oder eine Aussage hat nicht isoliert Bedeutung und propositionalen Gehalt, sondern nur im Kontext eines ganzen Bündels von Aussagen, das schließlich eine gesamte Sprache umfasst. Wichtiger Vertreter des semantischen H. ist Davidson, wichtige Kritik stammt von Fodor/Lepore. (2) Epistemologischer H.: Einzelne Sätze einer Theorie können nicht isoliert bestätigt oder entkräftet werden. Es wird immer eine Theorie insgesamt und schließlich das gesamte System unseres Wissens mit Erfahrung konfrontiert. Es gibt kein Experimentum crucis. Werden Prognosen einer Theorie durch Experimente nicht bestätigt, gibt es immer mehrere Möglichkeiten der Korrektur der Theorie bis hin zur Abänderung logischer Gesetze. Der epistemologische H. geht auf Duhem zurück. Er wird von Quine auf unser Wissen insgesamt bezogen und ist bekannt als Duhem-Quine-These. (3) Begründungstheoretischer H. (Kohärenztheorie des Wissens): Die Aussagen einer Theorie werden dadurch begründet, dass sie sich innerhalb der Theorie als ganzer wechselseitig stützen. Die Theorie wird durch ihre interne Kohärenz gerechtfertigt. Wichtige Vertreter dieser Position sind Neurath, Lehrer und Bonjour. (4) Sozialer H.: Eine Person kann nicht isoliert ein denkendes, rationales Wesen sein. Denken und Rationalität sind von einer Gemeinschaft abhängig. (5) Methodischer H.: Die Erklärung von etwas kann nicht reduziert werden auf die Beschreibung des Verhaltens von Teilen von ihm. Insbesondere wird auch die Ordnung verschiedener Theorien bzw. Wissenschaften nicht so gedacht, dass diese auf eine fundamentale Theorie bzw. Wissenschaft reduziert werden können. (6) Ontologischer H.: Die Welt ist ein Ganzes, das nicht aus Teilen besteht, die eine eigene Existenz haben. Hierzu ist in der Antike die Theorie der All-Einheit (hen kai pan) zu zählen, die zuerst von Parmenides vertreten wird. Hegel nimmt das antike Konzept der All-Einheit auf und denkt alles, was es gibt, als Moment der dialektischen Entwicklung eines Geistes, der mit der Welt identisch ist. Ein ontologischer H. ist auch Spinozas Substanz-Monismus. (7) Quantentheoretischer H.: In einigen Interpretationen der Quantentheorie wird vertreten, dass die Natur auf der grundlegenden Ebene physikalischer Elementarsysteme ein Ganzes ist. Denn gemäß der Quantentheorie ist zu erwarten, dass der Zustand jedes physikalischen Elementarsystems mit den Zuständen vieler anderer solcher Elementarsysteme verschränkt ist.

Literatur:

  • Zu (1): D. Davidson: Wahrheit und Interpretation. Frankfurt 1990
  • J. Fodor/E. Lepore: Holism. Oxford 1992
  • Zu (2): P. Duhem: Ziel und Struktur der physikalischen Theorie. Hamburg 1978
  • W. v. O. Quine: Von einem logischen Standpunkt. Frankfurt 1979. Kap. 2: Zwei Dogmen des Empirismus
  • Zu (3): L. Bonjour: The Structure of Empirical Knowledge. Cambridge (Mass.) 1985
  • K. Lehrer: Theory of Knowledge. London 1990
  • O. Neurath: Soziologie im Physikalismus. In: Erkenntnis 2 (1931). S. 393-431
  • Zu (4): P. Pettit: The Common Mind. New York 1993
  • Zu (5): K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft. München 1988
  • J.C. Smuts: Holism and Evolution. London 1926
  • Zu (6): V. Hösle: Hegels System. Hamburg 1988
  • Zu (7): P. Teller: Relational Holism and Quantum Mechanics. In: British Journal for the Philosophy of Science 37 (1986). S. 71-81.

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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