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Metzler Lexikon Philosophie: Konsenstheorie

als theoretische Position zur Bestimmung des Wahrheitsbegriffs vertritt die K. die Auffassung, dass sich Wahrheit als Übereinstimmung von Meinungen definieren lasse. Anders als die Kohärenztheorie bedeutet der Rekurs auf Meinungen nicht nur eine Übereinstimmung der Aussagen mit früher akzeptierten Aussagen, sondern die von den Wissenschaftlern allgemein akzeptierte Auffassung bezüglich eines Sachverhalts. Als wesentliche Zusatzannahme gilt dabei, dass der Konsens prozesshaft zu denken ist, d.h. als Meinung, die sich über einen längeren (Forschungs-)Zeitraum als allgemein akzeptiert herausgebildet hat. Das führt dazu, dass Wahrheit als approximative Annäherung eines langfristigen Konsenses zu verstehen ist. Daraus wird als regulative Idee, dass Wahrheit sich in der Kommunikation der Wissenschaftler als langfristiger Konsens ergibt und dass dieser Konsens als Annäherung an die absolute Wahrheit zu verstehen ist, wobei nur unterstellt werden kann, dass es eine solche letzte absolute Wahrheit gibt, da die K. weder dafür Kriterien benennen kann noch für das Moment der Annäherung. Da der langfristige Konsens an einen Kreis von wissenschaftlich Forschenden gebunden ist und nicht dem sog. gesunden Menschenverstand anheimgestellt ist, ergeben sich folgende Zusatzannahmen: (1) Gutwilligkeit: Zwischen den Konsensträgern darf nicht die Absicht der Täuschung bestehen; (2) Vernünftigkeit: Der Forschungsprozess darf nicht durch emotionale Einstellungen, traditionale Denkmuster oder unreflektierte Denkgewohnheiten bestimmt sein; (3) Sprachkundigkeit: Die Konsensträger müssen in Bezug auf den Forschungsgegenstand dieselbe Sprache sprechen (z.B. eine gemeinsame physikalische oder mathematische Sprache); (4) Normalsinnigkeit: Die Konsensträger dürfen in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit und Urteilsfähigkeit nicht beeinträchtigt sein – nur so kann unterstellt werden, dass jeder zur Nachprüfung der in Frage stehenden Aussagen imstande ist; (5) Sachkundigkeit: Die Konsensträger müssen die zur Beurteilung vorausgesetzten notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten (der experimentellen Überprüfung Z.B.) besitzen. – Kritische Einwände gegen die K. als intersubjektive Wahrheitstheorie bringen die Fragen vor, (a) wie weiß man, dass die angeführten Kriterien die Vernünftigkeit hinreichend bestimmen, und b) wie kann man wissen, dass die vernünftigen Gesprächspartner unter den angegebenen Bedingungen zur Einigkeit gelangen werden. Die erreichte Einigung wäre nur dann ein Kriterium der Wahrheit, wenn die Argumentation unter idealen Bedingungen stattgefunden hat. Dies führt zu der Vorstellung einer idealen Argumentationsgemeinschaft, was soviel bedeuten würde wie eine Diskussionsgemeinschaft, deren ständiges Bemühen auf die Elimination von Fehlerquellen und die Suche nach neuen möglichen Fehlern ausgerichtet ist.

Durch die Transzendentalpragmatik von Apel und die Universalpragmatik von Habermas wurde die K. als Intersubjektivitätstheorie von Wahrheit (als Geltungsanspruch für deskriptive Sätze) einerseits und als Begründungstheorie für die Geltung handlungsanleitender Normen andererseits in die philosophische Diskussion eingebracht. Apels Theorie geht dabei von der Voraussetzung aus, dass bei der Äußerung von Behauptungen der Sprecher die behauptete Aussage für wahr hält und für sich in Anspruch nimmt, für die Wahrheit seiner Behauptung argumentieren zu können. Für die Argumentation ist zu unterstellen, dass nur Argumente zählen und dass sich die Dialogpartner als gleichberechtigt anerkennen. Diese Annahme für die Argumentation stellt eine unabdingbare Voraussetzung für die Möglichkeit (d.i. die transzendentale Bedingung) eines Konsenses i.S. einer vernünftigen Intersubjektivität dar. Auf der Grundlage dieser als »ideale Argumentationsgemeinschaft« oder »ideale, unbegrenzte Kommunikationsgemeinschaft« bezeichnete Annahme einer Dialogsituation kann dann eine Übereinstimmung der Gültigkeit von Wahrheits- und Normativitätsansprüchen gleichermaßen angestrebt und erzielt werden. Die diskursive K. von Habermas verweist auf vier universale Geltungsansprüche: Verständlichkeit, Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit, die notwendig als Grundlage für einen berechtigten Konsens unterstellt werden müssen. Im Rahmen seiner Universalpragmatik wird seine K. der Wahrheit mit einer rekonstruktiven Kommunikationstheorie verbunden. Kommunikationsgemeinschaft, Wahrheit.

Literatur:

  • K.-O. Apel: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft und die Grundlagen der Ethik. In: Ders.: Transformation der Philosophie. Bd. II. Frankfurt 1973. S. 358 ff
  • J. Habermas: Was heißt Universalpragmatik? In: K.-O. Apel (Hg.): Sprachpragmatik und Philosophie. Frankfurt 1976. S. 174 ff
  • W. Kamlah/P. Lorenzen: Logische Propädeutik. Mannheim 1973. S. 211 ff
  • D. Mans: Intersubjektivitätstheorien der Wahrheit. Frankfurt 1974.

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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