Metzler Lexikon Philosophie: Kosmologie
Lehre vom materiellen Aufbau der Welt als ganzer und ihrer raumzeitlichen Struktur. – Als älteste philosophische Disziplin (unter dem Begriff K. seit Ch. Wolff) gehört sie in der traditionellen Gliederung der Philosophie zur Speziellen Metaphysik. Ihre inhaltlichen Wurzeln reichen zurück bis in frühgeschichtliche Mythen und zu den Vorsokratikern. Mit ihrem Ziel, den physischen Zustand der Welt rational zu erklären, ist die K. Teilgebiet der Naturphilosophie und der Physik. Wegen der Unzugänglichkeit ihres Gegenstandes enthält sie neben empirischen auch spekulativ-hypothetische (theoretische) Elemente. Die Aufgabe der K. besteht darin, aus lokal bestätigten Theorien (heute vor allem aus der Allgemeinen Relativitätstheorie, den Modellen der Kern- und Elementarteilchenphysik und der Thermodynamik) unter Zuhilfenahme von philosophischen und – heute selten – theologischen Überzeugungen ein Modell des Universums, seines Ursprungs und seiner zeitlichen Entwicklung (Kosmogonie) zu konstruieren. Daraus abgeleitete prüfbare Aussagen werden auf ihre Übereinstimmung mit experimentellen Daten (Astronomie) untersucht. Der Prozess der Modellbildung ist eng mit der Entwicklung eines Weltbildes verzahnt, das eine Antwort auf die Frage des Menschen nach seiner Stellung im Kosmos liefert. – Bis ins 16. Jh. war die K. durch die Aristotelische Physik geprägt, gemäß der der Kosmos in eine sublunare und eine supralunare Welt zerfällt. Demnach unterscheidet die ptolemäische K. zwischen einer kinematischen (Beschreibung der Bewegung der Himmelskörper nach mathematischen Gesetzen) und einer physikalischen Astronomie (Bestimmung des Wesens der Himmelskörper). Diese Dichotomie wird obsolet durch die Arbeiten von T. Brahe (Entdeckung der Supernova von 1572 in der unveränderlich geglaubten supralunaren Welt) und J. Kepler (Planetenbahnen sind bestimmt durch Zentralkraft der Sonne). Ende des 17. Jh. gelingt es I. Newton, sowohl die Bewegungen am Himmel als auch eine Vielzahl terrestrischer Phänomene durch eine einzige Gravitationstheorie zu erklären. Aufgrund ihrer Eigenschaften kommt der Gravitation von allen vier bekannten Wechselwirkungen einzigartige Bedeutung bei der Beschreibung kosmischer Vorgänge zu. Sich aus der Newton’schen K. ergebende Schwierigkeiten im 18. und 19. Jh. (E. Halley, H.W.M. Olbers, H. von Seeliger) werden gelöst durch A. Einstein, der 1917 mit der Anwendung seiner Gravitationstheorie (Allgemeine Relativitätstheorie) auf den Kosmos die moderne K. begründet. Während A. Einstein eine eindeutige kosmische Lösung der Feldgleichungen der Gravitation annimmt, das Zylinderuniversum (unbegrenzt, endliches Volumen), ziehen andere Physiker weitere kosmologische Modelle in Betracht. Besondere Bedeutung erlangen die Arbeiten von A. Friedman 1922 und 1924, in denen eine Expansion des Kosmos als Lösung vorgeschlagen wird. Unter der Randbedingung, dass Materieverteilung und Raumzeit großräumig homogen und isotrop sind, ergeben sich die Einstein-Friedman-Lemaitre-Gleichungen, die die zeitliche Entwicklung des Weltradius R(t) bestimmen. Dieses heute favorisierte Modell wird gestützt durch die beobachtete Flucht der Galaxien (E. Hubble 1929) und die Messung der nahezu uniformen kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung (A. A. Penzias, R. W. Wilson 1965). Diese Beobachtungen führen zum sog. »Urknall«-Modell: Demnach war der Kosmos vor (je nach Modell) 13–30 Mrd. Jahren unendlich dicht und unendlich heiß in einem Punkt vereinigt. Die Expansionsbewegung bewirkt einen Evolutionsprozess, der als Zusammenspiel der physikalischen Wechselwirkungen die bekannten komplexen Strukturen bis hin zum Menschen entstehen lässt. – Neben der einflussreichen physikalischen K. kommt die spekulative Tradition der K. mit dem Ziel einer allumfassenden Beschreibung der Welt vor allem in der Philosophie A. N. Whiteheads und seiner Schule zum Tragen.
Literatur:
- E. Harrison: Kosmologie. Darmstadt 1984
- B. Kanitscheider: Kosmologie. Stuttgart 21992
- A. Koyre: Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum. Frankfurt 1969
- S. Weinberg: Gravitation and Cosmology. New York 1972
- A. N. Whitehead: Prozeß und Realität. Frankfurt 1979.
BS
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