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Metzler Lexikon Philosophie: Neuzeit

Entsprechend dem herkömmlichen Epochenschema kennzeichnet der historiographische Begriff »N.«, neben den und in Ergänzung zu den Termini »Altertum« (Antike) und »Mittelalter«, häufig die einzige noch nicht beendete Periode in dieser Historientrias. Der Begriff »N.« für »neue Zeit« oder »neue Geschichte« und als Äquivalent zu »historia nova«, »modern times« oder »temps modernes« ist frühestens im 19. Jh. nachzuweisen, so u. a. bei Heine und Campe. In der Philosophiegeschichte finden sich aber bereits im 16. Jh. Werke, die im Titel die N. und die Moderne als Programm verkünden: Patrizis Nova de universis philosophia, Cardanos Opus novum de proportionibus numerorum, Bacons Novum organum u. a. Der Beginn der N. wird gemeinhin als relativ fixiert angenommen und liegt grosso modo um 1400. Die Festlegung ihres Endes hingegen ist trotz zahlreicher Versuche bisher erfolglos geblieben. Dies liegt zum einen an ihrer zeitlichen Relation zur Gegenwart, verbunden mit der Idee der Unabgeschlossenheit des Neuzeitlichen und des Fehlens eines adäquaten Folgebegriffs, zum anderen an der »ständigen Wechselbeziehung der Gegenbegriffe (i.e. Altertum und MA.) untereinander«. Wegen der zeitlichen Verlängerung der Gegenwart und der systematischen Umgruppierung der als relevant erachteten Aspekte während dieses Zeitraums verändert sich somit kontinuierlich diese historiographische Trias zugunsten einer perpetuierten Ausweitung der »neuen Zeit«. – Mit Einsetzen periodologischer und methodologischer Überlegungen innerhalb der Geschichtswissenschaften manifestierte sich in den 50er und 60er Jahren dieses Jahrhunderts zunehmend die Tendenz, die ersten 300 Jahre der N. als »Frühe N.« zu bezeichnen. In Anlehnung an die Unterscheidung von »histoire moderne« und »histoire contemporaine« bieten sich als Periodisierungskriterien für eine solche periodologisch-chronologische Zwischeneinteilung einerseits die Entdeckung Amerikas, Ostindiens und etwas später Mexikos an, andererseits aber auch konkrete historische Ereignisse wie etwa Luthers Thesenanschlag, durch die die »Frühe N.« ihre Neuartigkeit und Selbständigkeit reklamieren soll.

JM

Auf dem kulturgeschichtlichen Hintergrund ist auch die mit der frühen Neuzeit beginnende Neubesinnung in der Philosophie zu sehen. Die Geistesbewegung des Humanismus entzündet sich an der Abneigung gegen die verfestigte Tradition der Scholastik und fordert eine Wiedergeburt des Menschen aus dem Geist der Antike heraus. Freiheit und Würde des Menschen erhalten eine neue Bewertung, seine schöpferische Kraft lässt ihn als einen »zweiten Gott« erscheinen, der fähig ist, sich selbst und die Welt neu zu erschaffen. Er sieht sich imstande, die Welt mit Hilfe seiner Vernunft neu zu ordnen und sie technisch den Anforderungen einer instrumentellen Rationalität zu unterwerfen. Damit einher geht der Aufschwung der mathematischen Naturwissenschaft. Die Philosophie soll in der Lage sein, ihre Gewissheit, ohne Rekurs auf Autoritäten und die Tradition, in der Selbstergründung der Vernunft zu fundieren. Repräsentativ dafür kann Descartes stehen. Emanzipation durch Vernunft und sozialer, politischer und ökonomischer Fortschritt durch Wissenschaft ist schließlich die Leitidee der Aufklärung. Dieser – ohnehin nur idealtypisch zu verstehende – »Geist der Neuzeit« gerät auch philosophisch ab dem 19. Jh. zunehmend in die Kritik und wird durch eine Pluralität von konkurrierenden wissenschaftlichen Paradigmen, die Perspektivenvielfalt unterschiedlicher Kulturen und die Einsicht in die Grenzen des Machbaren erweitert. [FPB]

Literatur:

  • D. Gerhard: Alte und Neue Welt in vergleichender Geschichtsbetrachtung. Göttingen 1962
  • E. Hassinger: Das Werden des neuzeitlichen Europa. 1300–1600. Braunschweig 1964
  • E. Hinrichs: Einführung in die Geschichte der Frühen Neuzeit. München 1980
  • R. Koselleck: Neuzeit. Zur Semantik moderner Bewegungsbegriffe. In: Ders. (Hg.): Studien zum Beginn der modernen Welt. Stuttgart 1977. S. 264–299
  • S. Skalweit: Der Beginn der Neuzeit. Epochengrenzen und Epochenbegriff. Darmstadt 1982
  • E. Walder: Zur Geschichte und Problematik des Epochenbegriffs »Neuzeit« und zum Problem der Periodisierung der europäischen Geschichte. In: Festgabe Hans von Greyerz. Bern 1967.

JM

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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