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Metzler Lexikon Philosophie: Normalismus

Mit Bezug auf Foucault und im Anschluss an G. Canguilhem und H. Ritter wird unter N. ein historisch-spezifischer Diskurskomplex gefasst, der sich seit der Industrialisierung in okzidentalen Gesellschaftsordnungen herausgebildet und im 19. und 20. Jh. etabliert hat. Der N. setzt statistische Dispositive (Foucault) als der jeweiligen Bestimmung von Normalem und Normalitäten mittels der Festlegung von Durchschnitten und Grenzwerten durch Massenverdatung voraus. Haben Gesellschaftsordnungen immer schon Normen und Regulative entwickelt, die für subjektive Handlungsweisen prä-existent sind, so ist Normalität in normalistischen Ordnungen dem Handeln wesentlich post-existent, da sich dem Subjekt (idealtypischerweise) die Position der Handlung innerhalb statistischer Verteilungen erst nachträglich erschließt. Während normative Regulative strikt binäre Entscheidungen (Erfüllung/Nichterfüllung innerhalb normativer Toleranzen) implizieren, besteht das Wesen von Normalitäten in breit gestreuten »normal ranges« (W. Cannon) mit prinzipiell in der historischen Entwicklung verschiebbaren Normalitätsgrenzen. Dementsprechend können sich die Subjekte je individuell und flexibel in den Spektren von Normalitäten positionieren. Historisch haben sich nach J. Link (idealtypisch) zwei polare diskursive Strategien herausgebildet. Eine erste proto-normalistische Strategie sucht sich gegen das Risiko flexibler Grenzen durch Anlehnung an fixe Normen zu versichern, während sich umgekehrt eine flexible normalistische Strategie auf das Spiel mit flexiblen Grenzen, die Erweiterung von Normalitätsspektren einlässt und auf die Selbstnormalisierung der Subjekte zielt. So ist es z.B. eine flexibel-normalistische Strategie, solche in proto-normalistischer Perspektive a-normalen Formen der Sexualität wie etwa der Homosexualität weitestmöglich in das Spektrum der Normalität zu integrieren und somit zu normalisieren. In ethischer Perspektive und ausgehend von der Phänomenologie des Fremden mit Bezug auf Husserl, A. Schütz, Merleau-Ponty erweist sich der N. bei B. Waldenfels insbesondere in der Psychologie (Therapie) und Handlungstheorie als Instanz der Produktion von Normalitäten. Norm, Normal.

Literatur:

  • G. Canguilhem: Le normal et le pathologique. Paris 1966
  • M. Foucault: Surveiller et punir. Paris 1975 (dt. Überwachen und Strafen. Frankfurt 1977)
  • J. Link: Versuch über den Normalismus. Opladen 1996
  • B. Waldenfels: Die Grenzen der Normalisierung. Frankfurt 1998.

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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