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Metzler Lexikon Philosophie: Religion

als Begriff in Philosophie (Religionsphilosophie), Theologie und Religionswissenschaft (einschließlich Religionssoziologie, -psychologie, -phänomenologie) in z.T. erheblich divergierenden Bezügen verwendet. Die Grenzen zu verwandten Feldern, etwa zu Magie in Hinblick auf die praktische, zu Weltanschauung oder Moral auf die theoretische Leistung, sind nicht immer eindeutig zu ziehen. Eine Herleitung des Wortes aus religari, zurückbinden, deutet an, dass in der R. der Bezug hergestellt wird an eine »andere Wirklichkeit [oder eine andere Seite dieser Wirklichkeit], deren Wirkung auf die gegebene Lebenswirklichkeit ... als etwas Entscheidendes angesehen wird« (Waardenburg, S. 19f). Diese andere Dimension wird in der R. bezeichnet als Gott oder das Heilige, philosophisch eher als Transzendenz oder das Absolute; die Erfahrung von ihr verleiht dem Objekt, an dem sie sich entzündet, Heiligkeit. Ihre Wirkung auf den Menschen im Hinblick auf die empirische Wirklichkeit beschreiben die R.en als Heil, Erlösung, Erwachen, Befreiung. Für den Religösen ist R. Bezugspunkt seines Welt- und Selbstverständnisses, geprägt von dem sich in ihr zeigenden umfassenden Zugang zur Wirklichkeit. Zu den Äußerungen der R. gehört die Verehrung des Heiligen (als Ort, Schrift, Wort, Werk, Mensch), Gedenken oder Reverenz an die Künder des letztlich Realen, der Kontakt zum Göttlichen in Gebet und Meditation und die Reflexion über die religiöse Erfahrung und die in ihr sich manifestierende Wirklichkeit. Für die religiöse Gemeinschaft ist Bezugspunkt der Kultus, die öffentliche Feier und Verehrung des Heiligen in mannigfachen Formen.

R. entzieht sich indes einer in jeder Hinsicht zutreffenden Definition. Die Gründe sind mehrschichtig: (1) Die Vielfalt der historisch gewordenen Formen der R., die untereinander etwas wie »Familienähnlichkeiten« im Wittgenstein’schen Sinne aufweisen. Kein mögliches Bestimmungsstück der R. ist durchgängig in allen R.en anzutreffen. Selbst scheinbare Universalien wie »Gott« oder das »Heilige« zeigen sich in kritischer Sicht nicht eigentlich als Konstanten, da z.B. Gott, selbst wo er als Begriff erscheint, innerhalb verschiedener Religionsformen eine so unterschiedliche Einordnung erfährt, dass die Verwendung des Wortes nicht als analog, sondern als äquivok anzusehen sein könnte. Die Alternative besteht in Definitionen, in denen zwar die R.en subsumierbar sind, die aber nach der Inhalt-Umfang-Regel kein spezifisches Kriterium mehr beinhalten, die R. eindeutig von Verwandtem abzugrenzen. – (2) Das Vorverständnis von R., das in jeden Definitionsversuch einfließt, sei es Menschings »Begegnung mit dem Heiligen« oder Hicks Zielformulierung »salvation/liberation«, selbst Ottos Versuch, die R. auf eine apriorische Kategorie des Heiligen zurückzuführen, zeigt den (hier: liberal-protestantischen) Hintergrund noch in der Abgrenzung des Numinosen als »das Heilige minus seines sittlichen Momentes« (Otto, S. 6). – (3) Die Perspektive, von der aus R. beschrieben wird. Religionsphänomenologische und theologische Ansätze beziehen sich auf eine Innenansicht der R., der gegenüber die R. auch von außen, in erster Linie ihrer Funktion nach, definiert werden kann, etwa als »Kontingenzbewältigungspraxis« (Lübbe). Funktionale Definitionen, die die R. in ihrer Leistung für die Gesellschaft oder das Individuum analysieren, treffen dann nicht mehr das Selbstverständnis der R. Erschwert wird die exakte Abgrenzung durch Einbeziehung (oder Ausschließung) sogenannter Ersatz-R. oder Pseudo-R., die mit der R. Anspruch oder Ausdruck teilen. Die Einteilung der R. erfolgt kategorial unter Aspekten des Ursprungs (Natur-, Offenbarungsreligion), der Verbreitung (Stammes-, Volks-, Staats-, Universalreligion), des Gottesbildes (poly-, heno-, mono-, atheistisch), des Weltverhältnisses, wobei der »mystischen« R. (z.B. dem Buddhismus) ein zyklisches Bild zugrundeliegt, das die Welt als etwas zu Fliehendes bewertet. Die »prophetische« R. (Judentum, Islam) fordert dagegen weltbezogenes Engagement des geschichtlich einmaligen Individuums.

Literatur:

  • F. Heiler: Erscheinungsformen und Wesen der Religion. Stuttgart 1961
  • J. Hick: An Interpretation of Religion. Basingstoke/London 1989
  • H. Lübbe: Religion nach der Aufklärung. Graz/Wien/Köln 1986
  • R. Otto: Das Heilige. Nachdruck München 1987
  • J. Waardenburg: Religion und Religionen. Berlin/New York 1986.

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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