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Metzler Lexikon Philosophie: Religionsphilosophie

thematisiert die Beziehung des Menschen zu Gott bzw. zum Bereich des Heiligen, und zwar als das, was einen unbedingten Geltungsanspruch an sein Dasein erhebt. Sie hat die Form, das Wesen und den Gehalt dieser Beziehung begrifflich zu erschließen; ferner darf sie weder zur Theologie im Sinne einer Glaubenslehre werden noch sich selbst widersprechen, indem sie den von ihr zu erkennenden Gegenstand kritisch auflöst. – Seit der Antike gehört die R. zum Kern der abendländischen Philosophie und ihrer Entwicklungsgeschichte, ebenso wie der einheitliche Logos selbständiger Reflexion aus dem vielheitlichen Mythos poetischer Vorstellung durch Ausarbeitung der Wahrheitsfrage entsteht und diese seine Entstehung immer wieder bedenkt und begründet; seit der Spätantike erklärt sich diese wesentliche Zugehörigkeit durch die Ineinanderverflochtenheit der in der griechischen Metaphysik und Intellekttheorie ausgebildeten Seinserfahrung einerseits und der die jüdische, christliche bzw. arabische Offenbarungslehre initiierenden Gotteserfahrung andererseits, die sich auch in der Ontotheologie niederschlägt. Zudem aber lassen sich beide: Religion und Philosophie, als die Gesinnung für die Glaubwürdigkeit bzw. Intelligibilität einer ersten Möglichkeit bzw. letzten Wirklichkeit verstehen. Dennoch allein durch das zunächst im späten MA. und in der Renaissance vorbereitete, erst danach in der Aufklärung vollzogene Heraustreten der Philosophie aus ihrer disziplinären Unterordnung unter die Theologie und der Religion aus ihrer konfessionellen Einengung verselbständigt sich die R. zu einer eigenen Wissenschaft in Nachfolge der natürlichen Theologie, wobei sie hauptsächlich zur Bezeichnung für die auf praktischem Fundament ruhende Moraltheologie dient: Diese bildet gegenüber der spekulativen Theologie den einzigen konstruktiven Teil der philosophischen Religionslehre Kants, der gemäß die sich nur durch verschiedene Glaubensarten differenzierende eine wahre Religion die sittlichen Pflichten der reinen Vernunft als göttliche Gebote vorstellt. In Fichtes Konzeption Gottes als der moralischen Weltordnung gestaltet sich diese frühe, den Atheismusstreit belebende Bestimmung der R. auf radikalste Weise (Ges. Ausg. I 8, 289). Darüber hinaus übernimmt die R. im Zuge der Romantik eine mannigfach geartete Vermittlungsrolle zwischen Rationalität und Religiosität. Sodann schreibt Schleiermacher der R. einen geschichtskundlichen, jedoch normativen Charakter zu, insofern er sie als die »kritische Darstellung der verschiedenen gegebenen Formen frommer Gemeinschaften« definiert, die allesamt durch das unmittelbare Selbstbewusstsein des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls geformt sind (Der christliche Glaube, § 2, Zus. 2). Demgegenüber stellt Hegel der R. die grundsätzliche Aufgabe, Gott und nichts als Gott zu beweisen, indem sie »die logische Notwendigkeit in dem Fortgang der Bestimmungen des als das Absolute gewussten Wesens« erkennt (Enc. § 562 Anm.): Dies leistet die R. dadurch, dass sie die sinnlich bedingte Bildersprache der Religion, deren historische Entwicklung eins mit der Weltgeschichte ist, in die allgemeine Begrifflichkeit der Philosophie als des reinen Wissens aufhebt. Die Hegel’sche R. soll das Selbstbewusstsein Gottes als die denkende Erkenntnis des Absoluten vollkommen verwirklichen. Nachfolgende Theorien der R. wenden sich zumeist von einer derartigen philosophisch-theologischen Spekulation ab zugunsten ästhetischer, entwicklungsgeschichtlicher, erkenntnistheoretischer, ethischer, existenzialistischer, kulturanthropologischer, phänomenologischer, psychologischer, soziologischer, transzendentalphilosophischer oder werttheoretischer Deutungen der religiösen Beziehung, selbst wenn sie das besonders im Neukantianismus angestrebte Ideal einer rationalen Begründung der Religion nicht völlig aufgeben. Zugleich resümierend und konstruierend, grenzt dann Tillich zwei Typen von R. gegeneinander ab: Während die »ontologische« R. von einer gewissen Identität zwischen Gott und der Macht des Seins ausgeht, die dem Unterschied zwischen Subjektivität und Objektivität zugrunde liegt, und nach einer sinnvertiefenden Korrelation von religiösen Symbolen und philosophischen Begriffen verlangt, die der Unbedingtheit des göttlichen Anspruchs in seiner Glaubwürdigkeit und Intelligibilität zu entsprechen vermag, führt die »kosmologische« R. unumgänglich zum Atheismus, weil sie Gott als ein objektiv bestimmbares Seiendes gegenüber dem betrachtenden Subjekt betrachtet und damit die religiöse Beziehung zersetzt (Ges. Werke V, 122 ff.). In Auseinandersetzung mit dem logisch-empiristischen Vorwurf der prinzipiellen Sinnlosigkeit religiöser Rede untersucht indes die analytische R. ihre Verifizierbarkeit und Falsifizierbarkeit anhand naturwissenschaftlicher Kriterien und entwickelt anschließend zwei verschiedene Ansätze: Aufgrund einer nicht-realistischen Perspektive auf den Wirklichkeitsbezug religiöser Rede ermittelt sie die Struktur der Lebensform und die Regeln des Sprachspiels, die deren sinnvollen Gebrauch elementar bedingen, sowie die affektiven, expressiven oder performativen Momente, die sie aufweist. Infolge einer realistischen Sichtweise hingegen prüft die analytische R. die kognitive Funktion theologischer Begriffe und die rationale Akzeptierbarkeit, Kohärenz, Konsequenz und Stichhaltigkeit von Aussagen über Transzendentes, die in den göttlichen Attributen (etwa der Allmacht, Allwissenheit, Ewigkeit, Einfachheit und Notwendigkeit), in den Gottesbeweisen (etwa den ontologischen, kosmologischen, moralischen und teleologischen Argumenten für die Existenz Gottes) und in der das Übel und die Willensfreiheit problematisierenden Theodizee zum Ausdruck kommen. Ferner ermittelt sie den epistemologischen Status religiöser Erfahrung als einer Grundlage für religiöse Überzeugungen.

Literatur:

  • J. Collins: The Emergence of Philosophy of Religion. New Haven 1967
  • A. Halder u. a. (Hg.): Experiment Religionsphilosophie. 3 Bde. Düsseldorf 1986–1988
  • K. Hammacher/R. Schottky/W.H. Schrader (Hg.): Religionsphilosophie (Fichte-Studien 8 [1995])
  • J. Hessen: Die Religionsphilosophie des Neukantianismus. Freiburg 21924
  • Th. H. Jørgensen: Das religionsphilosophische Offenbarungsverständnis des späten Schleiermacher. Tübingen 1977
  • Chr. Jäger (Hg.): Analytische Religionsphilosophie. Paderborn u. a. 1998
  • W. Jaeschke: Die Vernunft in der Religion. Studien zur Grundlegung der Religionsphilosophie Hegels. Stuttgart 1986
  • Ders. (Hg.): Religionsphilosophie und spekulative Theologie. 2 Bde. Hamburg 1994
  • F. Niewöhner (Hg.): Klassiker der Religionsphilosophie. München 1995
  • G. Picht: Kants Religionsphilosophie. Stuttgart 1985
  • P. Quinn/C. Taliaferroi (Hg.): A Companion to Philosophy of Religion. Oxford 1997
  • R. P. Scharlemann: Reflection and Doubt in the Thought of Paul Tillich. New Haven/London 1969
  • Ders.: The Being of God. Theology and the Experience of Truth. New York 1981
  • R. Schaeffler: Religionsphilosophie. Freiburg/München 1983
  • A. P. F. Sell: The Philosophy of Religion 1875–1980. London u. a. 1988
  • W. Weischedel: Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer Philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus. Darmstadt 1971.

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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