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Metzler Lexikon Philosophie: Sophisten

(griech. sophos: weise), Gelehrte und Weisheitslehrer. Als S. werden außerhalb der philosophischen Fachsprache und bis in die Gegenwart Personen bezeichnet, deren Rede die Hörer durch Trugschlüsse und sogar Lügen verwirrt. In diesem Verständnis missbrauchen S. die Weisheit (sophia), deren Vertreter sie zu sein behaupten. Das Wort wird in der 2. Hälfte des 5. Jh. v. Chr. geläufig, zunächst in wertneutraler Bedeutung: S. sind die legendären Sieben Weisen, darunter der Staatsmann und Redner Solon (Herodot I, 29); zwei Generationen später verwendet Xenophon sophistes neben sophos und philosophos ohne negativen Beiklang, während Platon im 4. Jh. die auf Dauer prägende abwertende Konnotation anlegt. Letztere folgt aus der Lehrtätigkeit der S., die weithin in der bürgerlichen Öffentlichkeit Griechenlands wirken. Denn mit den gewandelten gesellschaftlichen Strukturen, dem Übergang zu demokratischen Verfassungsformen, erstreben weitere Kreise nicht nur die bei den Dichtern tradierten Bildungsinhalte der alten Aristokratie, sondern neben der Allgemeinbildung auch Praxiswissen (techne) für ein Leben »in wohlberatener Einsicht« (eubulia). Zum Unterricht in allgemeinen Kenntnissen gehören Literatur, Grammatik, Rhetorik, Politik und Mathematik/Naturwissenschaften. Die Bürger müssen, um ihre Ansichten und Ziele vertreten zu können, erfolgreiches Auftreten in Versammlungen und vor Gericht lernen. Diesen Bedarf deckt das Angebot von Spezialisten, eine von ihnen als Weisheit bezeichnete techne zu lehren: überzeugende Darstellung des eigenen Argumentes (logos), auch wenn es das schwächere ist, so dass es mehrheitsfähig wird. Die oft zitierte Maxime der S., den unterlegenen logos zum stärkeren zu machen, begründet das Verdikt, mit dem sie belegt werden. – Für Wahrheitssucher zeitigen die »zu Fall bringenden, umwerfenden Reden« (kataballontes logoi, mit einem Terminus aus der Ringersprache, so der plakative Anspruch des S. Protagoras) nur »Meinungen« (doxai) und können sie nach Belieben ändern. Das führt in einen erkenntnistheoretischen Subjektivismus, für den vordergründig der Satz vom Menschen als dem »Maß aller Dinge« steht. Gegenüber einem stringenten Wahrheitsanspruch erscheint der logos der S. relativ und willkürlich, er wirkt als Instrument gefährlicher Dialektik und destruierender Kritik, auch der Götter- und Religionskritik. Mehrere Dialoge Platons demonstrieren die »eristische« Technik des Streitgesprächs: Gorgias, der eher überreden als überzeugen will, der Tugendlehrer Protagoras, die »Diskursmeister« Kallikles und Thrasymachos werden widerlegt (Letztere mit ihrer These vom Recht des Stärkeren). Sokrates erscheint bei Platon als ein jenen durchaus ebenbürtiger Diskussionspartner, auch er ist »gewaltig im Reden« – so rechnen Zeitgenossen ihn den S. zu (Aristophanes in seiner Komödie Die Wolken) und lassen entsprechende Vorwürfe in die Anklage gegen ihn einfließen. – Emotionale Abneigung gegen die sophistische Dialektik, gegen ihren willkürlichen Umgang mit dem logos darf eine rationale Auseinandersetzung mit den philosophischen Ansprüchen der S. nicht ausschließen; das betrifft die Sprachtheorie, die Rhetorik/Stilistik oder die Politik und Ethik, auch wenn ihre Thesen paradox oder provozierend vorgebracht werden. Nach Platon lässt Aristoteles sich ernsthaft prüfend auf sophistische Lehren und Argumentationsstrukturen ein; in seiner Rhetorik greift er, wie später die Römer Cicero und Quintilian, auf die S. zurück.

Die antiken Quellen nennen von den älteren S. viele Buchtitel, von ihren Werken ist aber nur wenig mehr überliefert als Fragmente, die von anderen Autoren zitiert werden. Im späteren Hellenismus und in der Römischen Kaiserzeit wird die Rhetorik formal-stilistisch neu belebt (sog. Asianismus der 2. Sophistik), dafür sind zahlreiche Beispiele erhalten, zudem eine Sammlung von S.-Biographien (Flavius Philostratus, um 238); S. sind damals als Redelehrer und Redner, auch in diplomatischer Mission tätig. Philosophische Innovationen gehen von ihnen nicht mehr aus. – Als Erfinder des bezahlten Unterrichts, d.h. als die eigentlichen Ahnherren des Lehrerberufes sind die S. weithin vergessen. Auf ihre Funktion als desillusionierende, unbequeme Kritiker beruft sich die Europäische Aufklärung, doch bleibt das schon bei dem ersten Aufkommen der S. entstandene Verdikt in der öffentlichen Meinung erhalten.

Literatur:

  • T. Buchheim: Die Sophistik als Avantgarde normalen Lebens. Hamburg 1986
  • C.J. Classen (Hg.): Sophistik. Darmstadt 1976.

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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