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Metzler Lexikon Philosophie: Sozialismus

gehört mit Liberalismus und Konservativismus zu den grundlegenden ideologischen Antworten auf die sozialen und politischen Problemlagen sich in Richtung industrieller Moderne entwickelnder Gesellschaften. Obwohl der große Variantenreichtum von S.-Konzepten eine übergreifende Charakterisierung schwierig macht, kann doch festgestellt werden, dass allen eine Kritik an der ungerechten Verteilung des volkswirtschaftlichen Reichtums, die Wahrnehmung eines Verlustes an gesellschaftlichem Zusammenhalt, eine skeptische Bewertung von Prozessen der Individualisierung, die Konstatierung zunehmender individueller und sozialer Entfremdung, die Perzeption politischer Ohnmacht gemeinsam ist. Dabei werden sozialpathologische Erscheinungen vor allem an der uneingeschränkten privaten Eigentumsverfügung besonders an den Produktionsmitteln festgemacht. Zur Begründung ihrer Kritik an bestehenden Gesellschaftsstrukturen verweisen S.-Konzepte auf naturrechtliche Argumentationen, spezifische Vernunftethiken, religiöse Vorstellungen oder geschichtsphilosophische, teleologische Konstrukte. Der frühe S. konstituiert sich im ersten Drittel des 19. Jh. als neue moralische Ordnung und als Ausdruck rationaler Gesellschaftsorganisation schlechthin (Saint-Simon, Owen, Fourier). Gegen die hier noch erkennbaren utopischen, chiliastischen Elemente treten Marx/Engels mit dem Anspruch an, einen »wissenschaftlichen« S. begründen zu können. Wirkungsmächtig wird dieser Begründungsweg v.a. durch seinen Bezug auf das Proletariat als geschichtsphilosophischem Subjekt, das den S. erkämpfen werde. Die allgemein-menschliche Befreiung von den Übeln der privat-kapitalistischen Gesellschaftsordnung gerät so zur Aufgabe der Arbeiterbewegung und ihrer Organisationen. Allerdings ist für die Entwicklung der westeuropäischen Arbeiterbewegung eher das Verständnis eines demokratischen S. relevant gewesen, der die Pluralität der Begründungswege des S. anerkennt, von einer geschichtsphilosophischen Finalität Abschied nimmt und den pluralistischen, demokratischen Rechtsstaat bejaht, wobei schließlich auch Forderungen nach umfassender Vergesellschaftung der Produktionsmittel zurücktreten. So heißt es in der 1951 verabschiedeten Gründungserklärung der Sozialistischen Internationale: »Gleichviel, ob Sozialisten ihre Überzeugung aus den Ergebnissen marxistischer oder anders begründeter sozialer Analysen oder aus religiösen und humanitären Grundsätzen ableiten, alle erstreben ein gemeinsames Ziel: eine Gesellschaftsordnung der sozialen Gerechtigkeit, der höheren Wohlfahrt, der Freiheit und des Weltfriedens«. Demgegenüber beharrt der marxistisch-leninistische S.-Begriff auf der wissenschaftlichen Kompetenz des historischen Materialismus, in dem der S. als Stadium auf dem Weg zur kommunistischen Gesellschaft definiert wird. Daneben sind noch Entwürfe erwähnenswert, die zwar z. T. eher randständige Diskurse markieren, aber gleichzeitig zeigen, dass viele Ideologien und Bewegungen des 20. Jh. nicht auf das Vokabular des S. verzichten wollten. Das gilt etwa für den christlichen S. (Barth, Tillich), den deutschen S. (Moeller van den Bruck), den National-S. Über die Ebene einer ideengeschichtlichen Diskussion hinaus kann die Rede vom S. auch auf Theorie und Praxis von Gruppen, Parteien etc. und auf eine bestimmte Gesellschaftsstruktur (realer Sozialismus) hinweisen. Insbesondere in der Selbstbeschreibung antikolonialistischer Bewegungen und postkolonialistischer Systeme spielt der S.-Begriff eine große Rolle. Eine politikwissenschaftliche Theorie des S. kann es nicht geben, weil sich S. als politischer Kampfbegriff einer intersubjektiv gültigen Definition entziehen muss. Gerade seine irisierenden Eigenschaften machen seine Anziehungskraft aus.

Literatur:

  • J. Droz (Hg.): Geschichte des Sozialismus. Frankfurt 1974 ff
  • R. Medvedev: Leninism and Western Socialism. London 1982.

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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