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Metzler Lexikon Philosophie: Sprechakttheorie

von Austin und Searle entwickelte Position der Sprachphilosophie. Sie geht von der grundlegenden Annahme aus, dass das Sprechen einer Sprache eine regelgeleitete Form des Verhaltens ist. Damit verbindet sich als zweite Annahme, dass die Grundeinheit der sprachlichen Kommunikation nicht das Wort oder der Satz ist, sondern der Vollzug eines Sprechaktes, in dem ein sprachliches Symbol geäußert wird. Um den Handlungscharakter der Sprache näher zu bestimmen, wird von Searle im Anschluss an Austin folgende Unterscheidung vorgenommen: Bei jeder Äußerung vollzieht ein Sprecher gleichzeitig drei Akte: den Äußerungsakt, den propositionalen Akt und den illokutionären Akt. Äußerungsakte bestehen einfach in der Äußerung von Wortreihen, propositionale und illokutionäre Akte dagegen lassen erkennen, dass Wörter im Satzzusammenhang mit einer bestimmten Intention des Sprechers in bestimmten Kontexten und unter bestimmten Bedingungen geäußert werden. Die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen der illokutionären und der propositionalen Rolle zeigt sich in dem Umstand, dass derselbe Aussageinhalt (d.i. der propositionale Gehalt) wie bspw. »der Hund ist bissig« von einem Sprecher mit verschiedener Intention geäußert werden kann; bspw. als Warnung an andere, als (vorsichtige) Frage, als Empfehlung (eines Hundeverkäufers), als Feststellung (einer spezifischen Eigenart eines ganz bestimmten Hundes oder einer Hunderasse). Die Intentionen werden durch die illokutionäre Rolle des Sprechakts zum Ausdruck gebracht, der propositionale Gehalt verweist auf ein Objekt (den Hund) und prädiziert das Objekt (»ist bissig«). Auf der Grundlage dieser Unterscheidung erscheint es plausibel, dass jeder propositionale Akt in Abhängigkeit von einem illokutionären steht, d.h. man kann nicht auf ein Objekt verweisen und es prädizieren, ohne irgendeinen illokutionären Akt zu vollziehen (wie bspw. eine Behauptung aufstellen oder eine Frage stellen). Für jeden möglichen Sprechakt muss es deshalb ein sprachliches Element geben, dessen Bedeutung gewährleistet, dass seine aufrichtige Äußerung den Vollzug des betreffenden Sprechaktes darstellt.

Damit Regeln für die Äußerung bestimmter sprachlicher Elemente mit Regeln für den Vollzug von Sprechakten gleichgesetzt werden können, muss die Voraussetzung erfüllt sein, dass man alles, was man meinen kann, auch sagen kann. Diese Voraussetzung formuliert Searle als Prinzip der Ausdrückbarkeit. Es besagt, dass auch für den Fall von sprachlichen Beschränkungen eines Sprechers (zu einem gegebenen Zeitpunkt) diese keine notwendige, sondern nur eine kontingente Grenze darstellen, die zumindest potentiell zu überwinden ist, so dass dem Sprecher ein sprachliches Element für die Äußerung einer Intention zur Verfügung steht. In der weiteren sprachphilosophischen Erörterung zeigt Searle auf, wie Sprechakte dadurch vollzogen werden, dass in Übereinstimmung mit einer Reihe konstitutiver Regeln Ausdrücke geäußert werden. Die Grundlegung durch konstitutive Regeln besagt, dass diese Regeln (oder Regelsysteme) die Form und die Möglichkeit des Sprachverhaltens erst schaffen – vergleichbar den Regeln des Schachspiels. Searle bringt diesen Sachverhalt in die These, dass die semantische Struktur einer Sprache als eine auf Konventionen beruhende Realisierung bestimmter zugrundeliegender Regeln zu begreifen ist. Folgende Regeln gibt Searle dazu an: (1) Die Regel des propositionalen Gehalts (rules of propositional content) legt fest, dass der propositionale Akt dem illokutionären entsprechen muss, bspw. darf bei einem Versprechen der propositionale Akt nicht in der Vergangenheit liegen (»ich verspreche, etwas getan zu haben«). (2) Die Einleitungsregeln (preperatory rules) bestimmen die sprechhandlungstypischen Einschränkungen des Kontextes, bspw. macht ein Versprechen nur dann Sinn, wenn die versprochene Handlung seitens des anderen auch erwünscht ist, oder eine Aufforderung zu einer Tätigkeit, wenn diese nicht ohnehin schon vollzogen wird. (3) Die wesentliche Regel (essential rule) legt den mit einem illokutionären Akttyp verbundenen Charakter der pragmatischen Verbindlichkeit oder Ernsthaftigkeit fest, bspw. bei einem Versprechen die Verpflichtung zu dessen Einlösung, bei einer Frage das Interesse an einer Information, bei einem Befehl die Erwartung der Befolgung. (4) Die Aufrichtigkeitsregel (sincerity rule) legt für einen gegebenen Typus von Sprechakten bestimmte Einschränkungen im Hinblick auf die Einstellung des Sprechers fest, bspw. bei einem Versprechen die Bereitschaft des Einlösens, bei einer Bitte den wirklichen Wunsch nach Erfüllung. Der konstitutive Charakter dieser Regeln zeigt sich darin, dass sie die unabdingbaren Voraussetzungen für die Sprache als regelgeleitete Form intentionalen Handelns darstellen und deren Erfüllung die Voraussetzungen für das Gelingen von Sprechhandlungen sind.

Literatur:

  • J.L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte. Stuttgart 1972
  • R. B. Nolte: Einführung in die Sprechakttheorie John R. Searles. Freiburg/München 1978
  • E. v. Savigny: Die Philosophie der normalen Sprache. Frankfurt 1974
  • J. R. Searle: Sprechakte. Frankfurt 1973
  • D. Wunderlich: Pragmatik und sprachliches Handeln. Frankfurt 1972
  • Ders.: Zur Kontextualität von Sprechhandlungen. In: D. Wunderlich (Hg.): Linguistische Pragmatik. Frankfurt 1972.

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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