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Metzler Lexikon Philosophie: Staat

Begriff der modernen politischen Philosophie, der zunächst bei Machiavelli, unabhängig von der Regierungsform alle institutionellen Gewalten, die Macht über Menschen haben, bezeichnet. Zurückgehend auf die mittelalterliche Stände-Bezeichnung (status) nimmt daneben der S.-Begriff auch vorneuzeitliche Sinngehalte an. Ältere Bezeichnungen wie polis, res publica, civitas, regimen, imperium, aber auch die fiskalische Organisation und durchorganisierte territoriale Herrschaft prägen den S.-Begriff. Eine schulmäßige Definition ist aufgrund konkurrierender S.-Begriffe kaum möglich und orientiert sich deshalb an idealtypischen Abstraktionen, die zu einer ethisch indifferenten formalen Bestimmung führen, wie sie z.B. Max Weber im Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit gibt. Am bekanntesten ist die juristisch-politologische Bestimmung der drei notwendigen Elemente des St.es als politische Ordnung, die das Staatsvolk, als Gesamtheit der zum S. in einem besonderen Rechtsverhältnis stehenden Personen (Bürger), innerhalb des Staatsgebietes dauerhaft verbindet und der Staatsgewalt, d.h. einer einheitlichen Entscheidungs-, Verfügungs- und Befehlsgewalt unterwirft. Da die fortschreitende Globalisierung und Universalisierung des politischen Handlungsbedarfs diese an autarker Selbstbestimmung orientierte Definition zunehmend fragwürdig macht, wird häufig auf die allgemeinere Bestimmung des S. als organisierte Einheit zurückgegriffen. Der S. wird dabei meist als eine durch praktische Vernunft hervorgebrachte zweckrationale Organisation verstanden, der eine Einheit durch seine Institutionen herstellt und sichert. Je nach der Bestimmung des S.-Zweckes (Frieden, Ordnung, Soziabilität, Kultur) kann die Einheit näher gefasst werden als Friedens-, Entscheidungs-, Handlungs-, Wirkungs-, Rechts-, Macht- oder Solidareinheit. Die unterschiedliche Gewichtung von sittlichen, rechtlichen, ökonomischen, soziokulturellen und anthropologischen Argumenten führt zu differierenden S.-Ideen: Der sittliche S. soll zur Vollendung der Tugenden seiner Bürger beitragen; der eschatologische S. vollendet die Schöpfungsordnung; der Macht-S. zielt auf Erwerb, Erhaltung und Entfaltung der souveränen Macht; der Rechts-S. wird durch die Grundwerte Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit bestimmt; der Wohlfahrts-S. soll den materiellen Wohlstand, der Kultur-S. die Bildung, Erziehung und Kultur der Bürger fördern. Der totale S. behauptet die Identität von S. und Gesellschaft und ergreift tendenziell von allen Lebensbereichen seiner Untertanen Besitz.

Die Entstehung des S.es wird meist aus der Vertragstheorie, bei der ein rationaler Abschluss eines Gesellschaftvertrages vorausgesetzt wird, abgeleitet. Als mögliche Alternativen gelten die Herrschaftstheorie, derzufolge der S. durch gewaltsame Unterwerfung entstanden ist, und die Entwicklungstheorie, die eine natürliche, kontinuierliche und organische Entwicklung zum S. annimmt.

Das neuzeitliche Zeichen von Staatlichkeit ist die Verfassung. Nur durch sie nimmt der S. seine vollständige Gestalt an, wird die S.-Form bestimmt. Seit der Antike werden die »guten«, dem Gemeinwohl nützlichen Verfassungen, Monarchie (Regentschaft eines Königs), Aristokratie (Regentschaft der Besten) und Politie (gemischte Regentschaft) von den korrumpierten Gegenbildern, Tyrannis (despotische Alleinherrschaft), Oligarchie (Herrschaft der Besitzenden) und Demokratie (Herrschaft der Besitzlosen) unterschieden. Das Mittelalter sah in der theologisch-eschatologisch begründeten Monarchie die einzig legitime S.-Form. In der Neuzeit, vor allem seit der Aufklärung wird die Monarchie als Gegenmodell zur Republik, die Autokratie als Gegensatz zur Demokratie bestimmt. Heute steht der autoritäre und totale S. dem demokratischen Rechts- und Verfassungs-S. antagonistisch gegenüber. Die historische Entwicklung vom Stadt-S. über den Flächen-S. zum National-S. ist, wie die Auflösung der »Blöcke« und die Anforderungen einer global und international bestimmten Politik zeigen, keinesfalls abgeschlossen (Bürger, Gemeinwesen).

Literatur:

  • J. Isensee: »Staat«. In: Staatslexikon. Bd. 5. Freiburg/Basel/Wien 1988. Sp. 133 ff
  • G. Jellinek: Allg. Staatslehre. Berlin 1900, Nachdr. Darmstadt 1959
  • H. Kelsen: Der soziologische und der juristische Staatsbegriff. Tübingen 1922, Nachdr. Aalen 1962
  • R. Koselleck/W. Conze u. a.: Staat und Souveränität. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Bd. 6. Stuttgart 1978. S. 1 ff
  • M. Kriele: Einführung in die Staatslehre. Opladen 31988
  • C. Schmitt: Verfassungslehre. München 1928, Berlin 71989
  • S. Skalweit: Der »moderne Staat«. Ein historischer Begriff und seine Problematik. Opladen 1975.

JP

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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