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Metzler Lexikon Philosophie: Technik

(1) Unter T. wird im Gegensatz zur Natur als dem Vorfindlichen und nur um seiner selbst willen Seienden die Gesamtheit der Artefakte verstanden, d.h. alle gegenständlichen, künstlichen und den menschlichen Bedürfnissen, Zwecken oder Zielen dienenden Gebilde, sowie die menschlichen Tätigkeiten und Einrichtungen zur Herstellung und Verwendung von Artefakten. (2) T. steht als Begriff für die erlernbaren Regeln, Kunstfertigkeiten und Kenntnisse bei einer bestimmten Tätigkeit (z.B.T. des Gesangs) im Gegensatz zum Handlungsvollzug. (3) Der Begriff T. wird im Gegensatz zum Handwerk und zur Kunst gebraucht als die auf Bedürfnisbefriedigung und Arbeitsentlastung zielende, naturwissenschaftlich basierte sowie mehrheitlich maschinell erfolgende Naturausbeutung und Güterproduktion. – Die Reflexion über die T. setzt bei den antiken Sophisten ein. Protagoras etwa begründet die T. aus der naturgegebenen Hilflosigkeit des Menschen als zweckorientiertes Handeln, ohne das menschliches Leben weder erhalten noch befördert werden könne. Platon macht dagegen den Mittelcharakter von T., der T. zu beliebigen, auch schändlichen Zwecken tauglich macht, als ihren Mangel geltend. Diese Ambivalenz verschärft sich mit der explosionsartigen Entwicklung der T., die durch die im 18. Jh. einsetzende naturwissenschaftliche Fundierung möglich wird. Die frz. Aufklärer sehen in der T. eine Säule der menschlichen Vervollkommnung; Rousseau macht dagegen die T. für den moralischen Niedergang verantwortlich. Für Marx wirkt die T. einerseits als Entlastung von schwerer Arbeit, anderseits durch Produktivitätssteigerung als Grund für Arbeitslosigkeit und Armut. – In unserem Jh. stützt sich die apologetische Deutung der T. wesentlich auf Kapp und Dessauer. Für beide Autoren sind Erfindungen, verstanden als materielle Konkretisierungen von Vorstellungsgehalten, das Wesen der T. Leitend ist dabei nach Kapp die »Organprojektion«, d.h. der Entwurf von Artefakten nach dem Vorbild menschlicher Organe (etwa der Hammer als Nachbildung des Armes mit geballter Faust). Dessauer begreift das Erfinden als das Auffinden der jeweils einzig richtigen und prästabilierten Problemlösung. Technische Verbesserungen sind daher asymptotische Annäherungen an die prästabilierte Lösung. In der T. führe Gott die Schöpfung vermittels menschlicher Erfindungen fort. Nach Gehlen dient die T. der »Entlastung« und Selbsterhaltung des durch Instinktarmut gekennzeichneten »Mängelwesens« Mensch. Zur T. bestehe ein triebhaftes, nicht auf Nützlichkeit beruhendes Verhältnis, denn der in der T. geschaffene Gleichlauf der Maschinen erfülle das menschliche Bedürfnis, die Instinktarmut durch sich wiederholende gewohnte Handlungen zu kompensieren. Gehlen unterteilt die Technikentwicklung vermittels zweier Zäsuren, nämlich der »neolithischen Revolution« (nomadische Jägervölker werden zu sesshaften Ackerbauern und Viehzüchtern) und dem Übergang zur »Maschinenkultur« des Industriezeitalters. Über Zahl und Art solcher Epochenschwellen herrscht allerdings Uneinigkeit in der Technikphilosophie. Eindeutig negativ wird T. etwa von der Frankfurter Schule (Kritische Theorie) bewertet, wenn sie den Imperialismus von T. und technischer Rationalität hervorhebt. Mit dem Begriff »Gestell« kritisiert Heidegger die T., die zum fortschreitenden Vergessen der Seinsbedingungen führe. Mit »Gestell« sind drei Grundzüge der T. zusammengefasst, nämlich Herausforderung, Bestand und Bestandssicherung. Die T. »stellt« die Natur im Sinne von Herausfordern, d. h., die Natur kann sich nicht entfalten, sondern wird durch das technische Herstellen in Dienst gestellt und bestellbar wie eine Pauschalreise gemacht. Was bestellbar ist, wandelt sich zum verfügbaren Bestand, wie etwa ein Wasserkraftwerk einen Fluss zum Bestand technischer Prozesse degradiert. Die Sicherung dieses Bestandes erfordert weitere T., so dass die ursprüngliche Herausforderung der Natur zurückschlägt in den sich fortschreibenden, die Natur zunehmend verdeckenden Zwang, der T. mit T. zu begegnen. Technikphilosophie.

Literatur:

  • E. Cassirer: Form und Technik. In: Ders.: Symbol, Technik, Sprache. Hamburg 1985. S. 39–91
  • F. Dessauer: Philosophie der Technik. Bonn 1927
  • A. Gehlen: Die Seele im technischen Zeitalter. Hamburg 1957
  • J. Habermas: Technik und Wissenschaft als ˲Ideologie˱. Frankfurt 1968
  • M. Heidegger: Die Technik und die Kehre. Pfullingen 1962
  • E. Kapp: Grundlinien einer Philosophie der Technik. Braunschweig 1877
  • H. Lenk/G. Ropohl (Hg.): Technik und Ethik. Stuttgart 21993
  • K. Marx: Das Kapital (MEW. Bd. 23–25)
  • F. Rapp: Analytische Technikphilosophie. Freiburg/München 1978
  • J. Rohbeck: Technologische Urteilskraft. Frankfurt 1993
  • G. Ropohl: Technologische Aufklärung. Frankfurt 1991
  • H. Stork: Einführung in die Philosophie der Technik. Darmstadt 31991.

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